# taz.de -- Kulturgut Cyclocross: Dreckig quer durch den Matsch | |
> Um die Schönheit von Matsch und Schlamm lieben zu lernen, bieten sich | |
> ganz besondere Radsport-Events an. Zum Beispiel in Belgien. | |
Bild: Schöner Jubel, sauberer Sport: Wout Van Aert aus Belgien am Ziel | |
Cyclocross oder schlicht Cross, so nennt man beim Bund Deutscher Radfahrer, | |
was lange Querfeldeinrennen hieß. Die Anglifizierung des Namens hat leider | |
die Medienpräsenz dieser radsportlichen Winterdisziplin, bei der die | |
Aktiven so schön dreckig werden, nicht befördert. Sie lässt in den | |
vergangenen Jahren hierzulande doch gehörig zu wünschen übrig. Gäbe es im | |
kleinen, radsportverrückten Belgien nicht so viele Fans dieses Sports, man | |
müsste bei der Unesco beantragen, dass diese Disziplin des Rennsports, bei | |
der eine Art Rennrad über Stock und Stein, durch Matsch und Sand, über | |
Hürden und Treppen auf- und abbugsiert werden muss, in den Kanon | |
schützenswerter Kulturgüter aufgenommen wird. | |
Am vergangenen Wochenende fanden die [1][Cross-Weltmeisterschaften] im | |
belgischen Ostende statt. Irrwitzige Bilder wurden dort produziert. Bei | |
einer Passage über den Strand wurden die Radler durch das anlandende | |
Meerwasser geschickt, und manchmal sah es so aus, als könnten Teilnehmende | |
über das Wasser fahren. Das jedoch kann in Wahrheit nicht einmal Mathieu | |
van der Poel, der Holländer, der nun schon zum dritten Mal hintereinander | |
den Titel gewonnen hat. Der hat nicht nur das Rennen und seinen | |
Dauerrivalen, den Belgier Wout van Aert, dominiert, sondern bei der Fahrt | |
durch tiefe Spurrillen auch einen Sturz mit Überschlag produziert, der | |
absolute Slapstick-Qualität hatte. Es war gar drollig anzusehen, wie dieser | |
Musterathlet sich in den Modder geworfen hat. | |
Nach dem Rennen, so hat er es gesagt, sei er gleich nach Hause gefahren und | |
habe mit seiner Freundin ein wenig gefeiert. In Ostende war jedenfalls | |
nicht viel los. Im Ziel wartete kaum jemand auf die Aktiven. Coronabedingt | |
wurde das Rennen fanbefreit durchgeführt. Das ist besonders bitter. Eine WM | |
in Belgien hätte gewiss Zehntausende angelockt. So wie zu | |
Nichtpandemiezeiten Tausende auch zu kleineren Rennen in Belgien pilgern, | |
um erwachsenen Menschen zuzusehen, wie sie sich beim Sporttreiben schmutzig | |
machen. | |
## Feste mit Frittierfett, Partysound und großem Sport | |
Noch Wochen nach einem solchen Rennen, heißt es, soll der Duft von | |
Frittierfett über den Orten liegen und so mancher trägt ein Leben lang den | |
Partysound, mit dem der Bierkonsum der Fans an der Strecke angeheizt werden | |
soll, als Ohrwurm mit sich herum. Und wahrscheinlich versteht man nur in | |
Belgien genau, welches Rennen zur Superprestige-Kategorie gehört, warum | |
sich andere Weltcup-Rennen nennen dürfen und was das Besondere an den | |
Wettbewerben ist, die gar keiner Kategorie zuzurechnen sind. Welche | |
Auswirkungen diese Coronasaison ohne Fans an der Strecke auf die Zukunft | |
des Kulturguts Cyclocross in Belgien hat, ist nicht abzusehen. Vielleicht | |
muss man sich ja keine allzu großen Sorgen machen. In Belgien gibt es | |
vielerorts Cyclocross-Parcours für Hobbysportler. Es scheint dort einfach | |
normal zu sein, über einen Rennlenker gebeugt durchs Gelände zu radeln. | |
Dank des überfliegenden Holländers van der Poel und seiner Landsfrau | |
Lucinda Brand, die das WM-Rennen der Frauen gewonnen hat, sollen die | |
TV-Quoten in den Niederlanden ganz gut gewesen sein. In Deutschland ist die | |
Disziplin ganz weit hinten in der Nische gelandet. Zwischen dem | |
Mountainbikesport und dem Offroadtrend Gravelbike droht [2][das gute, alte | |
Querfeldeinrennen] regelrecht zermalmt zu werden. Immer weniger Menschen | |
leben, die sich noch daran erinnern können, dass Klaus-Peter Thaler, der | |
Gevelsberger, einmal Weltmeister geworden ist, nachdem er schon zwei Jahre | |
Radbundestrainer war. Wegen ausbleibenden Erfolgs seiner Schützlinge hat er | |
sich noch einmal selbst aufs Rad gesetzt und prompt das Regenbogentrikot | |
gewonnen. | |
Hitzige Debatten wurden Ende des 20. Jahrhunderts in Deutschland über die | |
Streckenprofile geführt. Thaler hat einmal eine WM boykottiert, weil er | |
fand, dass die Passagen, in denen man das Rad über Schlammpisten zu tragen | |
hatte, viel zu lang gewesen seien. Es war die Zeit, als Querfeldeinrennen | |
noch zum Kanon der Sportberichterstattung in den Wintermonaten gehörte. Und | |
heute weiß kaum noch jemand, dass die gebürtige Thüringerin Hanka | |
Kupfernagel im Jahr 2000 die erste Frauenweltmeisterin überhaupt war. | |
Schade eigentlich. | |
4 Feb 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=eeVvWaZ7C8g | |
[2] /Vom-Verband-geraedert/!1128118/ | |
## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
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