| # taz.de -- Cyclocross in Belgien: Brass, Matsch und Bratwurst | |
| > Räder statt Skier: In Belgien huldigt man einem ganz besonderen | |
| > Wintersport – ein Volksvergnügen mit Weltmeistern und Dosenbier. | |
| Bild: Belgischer Winterspaziergang | |
| Overijse taz | Vier Männer stehen im Wald. Fast jeder hält eine lange | |
| Fahnenstange in der einen Hand und eine Bierdose in der anderen. Auf den | |
| Fahnen ist ein Porträt von Eli Iserbyt zu sehen, Juniorenweltmeister im | |
| Querfeldeinradfahren und ein Dorfgenosse der Männer. Und ein Foto von | |
| Jolien Verschueren, Weltklassefahrerin und ein paar Kilometer weiter | |
| wohnhaft. Frankie Vandermeiren und seine Freunde sind extra aus Zonnebeke | |
| gekommen, 140 Kilometer aus der Provinz Westflandern bis in die Brüsseler | |
| Peripherie. Einige von ihnen machen das jedes Wochenende, samstags und | |
| sonntags. „Das ist Cross“, sagt Vandermeiren, ein ruhiger Mann um die 50. | |
| Cyclocross, wie Querfeldein international genannt wird, ist in den meisten | |
| Ländern eine Randsportart. Außer in Belgien. Hier sind die Rennen | |
| Volksfeste, und die Fahrer wahre Matadore des Matsches, denen in den | |
| Dörfern und Städtchen ihrer Herkunft oft ein eigenes „Supporterslokaal“ | |
| gewidmet ist. Matsch gehört nun einmal dazu, wenn die Saison vom frühen | |
| Herbst bis in den späten Winter dauert. Die meisten Rennen finden denn auch | |
| in Belgien statt, und in der erweiterten Weltklasse sind die Fahrer des | |
| kleinen Landes entsprechend überrepräsentiert. | |
| Früh an diesem Dezembersonntag sitzt Joost Iserbyt auf dem Marktplatz von | |
| Overijse, wo die Wohnmobile und Busse der Rennställe stehen. Wie die | |
| anderen Materialmänner kontrolliert er die Fahrräder. „Drei Sorten von | |
| Reifen gibt es beim Cross“, erklärt Iserbyt, Vater von Eli und selbst | |
| früher Mountainbiker: „Eine für Sand, eine mit mehr Profil für ein bisschen | |
| Matsch und eine mit großem Profil für richtigen Matsch.“ Wie es heute | |
| aussieht? In der Nacht hat es geregnet, der Boden ist noch nass. „Es ist | |
| nicht übertrieben matschig, aber genug“, so Iserbyt. | |
| Overijse, das ist nicht irgendein Rennen. „Traubencross“ lautet der | |
| offizielle Name, denn das hügelige Dorf vor den Toren Brüssels ist bekannt | |
| für den Anbau von Weintrauben. Hier begann 1960 die Geschichte des | |
| Cyclocross in Belgien, der zuvor in kleinerem Umfang nur in Frankreich | |
| betrieben wurde. Als „Mutter aller Crosse“ gilt das Rennen darum. | |
| ## Weltklasse und Bodenhaftung | |
| Frankie Vandermeiren und seine Freunde oben im Wald haben mit dem Jubiläum | |
| wenig am Hut. Sie lieben das Volksnahe, Unprätentiöse dieses Sports. „Wir | |
| kennen schon die Eltern der Fahrer“, sagt er, „und nach dem Rennen gehen | |
| wir runter auf den Markt und unterhalten uns mit ihnen.“ So ist das beim | |
| Cross in Belgien: Die Fahrer sind Weltklasse, doch die Veranstaltung | |
| versprüht die Bodenständigkeit der Kreismeisterschaft. „Es ist ein bisschen | |
| wie Kirmes: Wurst, Trinken und Fritten“, grinst Vandermeiren. „Und man muss | |
| nicht auf seinem Sitz bleiben, sondern kann sich frei entlang der Strecke | |
| bewegen.“ | |
| Ins Bild passen auch die Preise: Für 10 oder 15 Euro kann man einen Tag | |
| lang den verschiedenen Kategorien zuschauen: Anfänger, Jugend, Nachwuchs, | |
| Elite Damen und Elite Herren. Wo sonst treffen die Spitzenathleten | |
| Wochenende für Wochenende in Käffern wie Otegem, Loenhout und Baal | |
| aufeinander? Die meisten treten übrigens sowohl samstags als auch sonntags | |
| an. „Na klar“, feixt Frankie Vandermeiren, „es sind ja keine Fußballer.�… | |
| Ab mittags wird es im Wald oberhalb des Dorfzentrums immer voller. Zwischen | |
| den kahlen Bäumen hängt eine Leinwand, auf der man Eli Iserbyt und die | |
| anderen Nachwuchsfahrer mit Verve aus dem Startbereich schießen sieht. | |
| Hinter der ersten Kurve liegt eine dieser Steigungen, die typisch für | |
| Radrennen in Belgien sind. Keine extremen Höhenmeter, aber ein Hügel mit | |
| heftigem Gefälle. „Wadenbeißer“ nennt man diese Anstiege. Oben geht es ein | |
| Stück über Kopfsteinpflaster, dann in Schleifen und einer halsbrecherischen | |
| Abfahrt über die regennassen Wiesen, am Fußballplatz vorbei und hinein in | |
| den Wald. | |
| Hinter Wurstbude und Getränkestand liegt die spektakulärste Stelle des | |
| Kurses. Eine vertrackte Kurvenkombination auf tiefem Boden und abschüssigem | |
| Gelände, mit extra enger Streckenführung. Die meisten steigen hier ab und | |
| laufen ein paar Meter, die anderen fahren Schritt und greifen zwei Mal an | |
| die Absperrgitter. Eli Iserbyt läuft, sein Kontrahent, | |
| Nachwuchseuropameister Quinten Hermans, bleibt im Sattel. Iserbyt hat den | |
| besseren Start, fällt dann zurück, um Hermans auf den letzten Runden noch | |
| einzuholen. Auch Jolien Verschueren landet als Dritte auf dem Podium. Ein | |
| gelungener Tag für Frankie Vandermeiren und seine Truppe. | |
| Die Sonnenstrahlen fallen schon flach durch die Äste, als der Sprecher auf | |
| den Höhepunkt des Tages abzählt. Unten in der ersten Startreihe stehen | |
| Weltmeister Wout Van Aert und sein niederländischer Dauerherausforderer | |
| Mathieu van der Poel, Titelverteidiger in Overijse. Eine Brüsseler | |
| Brassband namens Brassed Up hat sich in Position gebracht, sieben Bläser | |
| und zwei Trommler, in roten Jacken und Weihnachtsmannmützen. | |
| ## Klassentreffen der Veteranen | |
| Dass Mathieu van der Poel dort als Erster ankommen wird, ist absehbar. | |
| Knapp sieben Minuten braucht er für eine der Runden, die auf 2.780 Metern | |
| Straße, Kopfsteinpflaster, Gras- und Waldboden kombiniert. Und so nimmt er | |
| wenig später auf dem Podium den Pokal entgegen – von der | |
| „Traubenbotschafterin“, wie sich das gehört, in Overijse. Die Brassband hat | |
| sich rechtzeitig eingefunden, der Abstieg war nicht leicht mit Instrumenten | |
| in der einen und einem Bierbecher in der anderen Hand. „Hup Holland Hup“ | |
| ist das Ständchen, das sie dem Sieger spielen. | |
| Ein paar hundert Meter weiter in der Markthalle trifft man sich kurz darauf | |
| zum Aufwärmen. Die Tische sind gedeckt, es riecht nach Gemüsesuppe. Einige | |
| Ehrengäste sitzen zusammen, mehr oder minder betagte Protagonisten des | |
| Cyclocross. „Das macht Laune, ein bisschen wie Klassentreffen“, findet Rolf | |
| Wolfshohl, in den Sechzigern dreimal Weltmeister. Seine 77 Jahre haben den | |
| Kölner nicht davon abgehalten, im Wald an der Strecke zu stehen. Was den | |
| Sport in Belgien ausmacht? „Wenn das Wetter schlecht ist, gibt es erst | |
| recht viele Zuschauer.“ | |
| Für Frankie Vandermeiren und seine Freunde steht wieder einmal die | |
| Rückreise an, nach einem langen Wochenende im Gelände. Nächsten Samstag | |
| wird es wieder losgehen, und danach bricht bald der schönste Teil der | |
| Saison an: vier Rennen zwischen Weihnachten und Neujahr. Andere nennen | |
| diese Tage besinnlich. Für Crossliebhaber ist sie Seligkeit voller Matsch | |
| und Dosenbier. | |
| 1 Jan 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Tobias Müller | |
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