# taz.de -- Retro-Radrennen in den Niederlanden: HeldInnenhaft durch Salatfelder | |
> Bei der L'Eroica sind nur Räder erlaubt, die älter als 30 Jahre sind. Das | |
> Spektrum der TeilnehmerInnen ist so divers wie die Gefährte. | |
Bild: Helm auf zum Gebet: Juliet Elliott bei der L’Eroica | |
„Ich wusste nicht, dass Holland so viele Berge hat“, meint Juliet Elliott | |
aus Bristol. Sie ist Profiradfahrerin und nimmt bereits zum dritten Mal an | |
L’Eroica teil. Vor zehn Jahren hat sie mit dem professionellen Radfahren | |
begonnen, und sie war schon in Italien und in England dabei. Während in | |
Frankreich die Fußball-EM stattfindet, hat sich Valkenburg in der | |
holländischen Provinz Limburg am ersten Juliwochenende ganz dem Radsport | |
verpflichtet. | |
Erfunden wurde das Retroradrennen für LiebhaberInnen historischer | |
Rennräder 1997 vom Italiener Giancarlo Brocci, einerseits aus Liebe zum | |
Radfahren, andererseits, um die strade bianche, die Schotterstraßen in der | |
Toskana, zu erhalten. Vom Insiderrennen hat sich die Eroica zum Symbol für | |
Umwelt, Nachhaltigkeit und nachhaltigen Lifestyle entwickelt. Erlaubt sind | |
nur Räder, die mindestens 30 Jahre alt sind. Die Zahl der vorwiegend | |
männlichen Teilnehmer wächst, Rad fahren ist trendy, und die Nachfrage nach | |
historischen Rädern steigt. | |
„Ich liebe Radfahren, und die Eroica ist immer ein schönes Event mit toller | |
Atmosphäre und super Strecken, wo der Spaß im Vordergrund steht. Ich bin | |
noch nie in Valkenburg Rad gefahren und deshalb sehr gespannt“, meint | |
Juliet vor dem Start. Zur Auswahl stehen 60, 100 und 160 Kilometer. Die | |
Beschaffenheit der Strecke macht die Fahrt zur echten Herausforderung. | |
Juliet fährt 100 Kilometer; trainiert hat sie für diese Strecke nicht, da | |
sie sowieso jeden Tag Rad fährt. „Es geht um den Spaß“, meint sie. | |
Mitfahren kann jeder. Das Spektrum der TeilnehmerInnen reicht von Frauen | |
auf Hollandrädern bis zu Radlegenden wie Jan Janssen und Erik Zabel. Die | |
RetroradlerInnen sammeln sich an diesem Julisonntag in Valkenburg, zum | |
Kaffee wird Eierlikör mit Sahne serviert. Ein Retroradler steht vor einem | |
alten Gebäude aus dem 17. Jahrhundert, sein Rad ist von 1927, das | |
Kettenblatt besteht aus Buchstaben, sein Shirt ist aus Merinowolle und der | |
Bart gezwirbelt. Fast scheint es, als wäre die Zeit stehen geblieben. | |
## In Sandsteintunneln kommt Clubfeeling auf | |
Ich treffe Nadja, sie nimmt zum ersten Mal teil, sie ist Triathletin und | |
hat sich für die 60 Kilometer entschieden, die sie mit ihrem Freund | |
bestreiten möchte. Durch einen Torbogen geht es über Kopfsteinpflaster, | |
vorbei an Geschäften, durch die noch fast menschenleere Stadt in die | |
Fluweelengrot, ein in Sandstein gehauenes Gangsystem. Ein Netz aus 70 | |
Kilometer langen Tunneln durchzieht den Berg. Im Winter findet hier ein | |
unterirdischer Weihnachtsmarkt statt. Es ist dunkel, Musik scheppert durch | |
die Höhle, Clubfeeling kommt auf. | |
Ich treffe Martin und Chris, sie sind mit dem Rad circa 150 Kilometer von | |
Wuppertal nach Valkenburg gefahren. Unterwegs verlieren wir Martin, er holt | |
uns im Salatfeld aber wieder ein. Wir fahren kilomerweit auf sandigen und | |
steinigen Straßen, vorbei an goldgelb glitzernden Kornfeldern, einem | |
Steinbruch, Kühen und leuchtenden Mohnblumen. Immer wieder stehen am | |
Straßenrand RadfahrerInnen, die ihre Reifen flicken. Juliet hatte keinen | |
Platten dieses Jahr, ein Bekannter dafür gleich zwei. | |
Wir quälen uns Aufstiege hoch und rasen Abfahrten runter. Es fängt an zu | |
regnen, einige Retroradler sind voller Schlamm. Mein Leihrad ist liebevoll | |
aufgebaut, es besteht nur aus Teilen, die etwa 30 Jahre alt sind. Die Fahrt | |
meistere ich in zwei Gängen, weil sonst die Kette abspringt, die Bremsen | |
sind gewöhnungsbedürftig; auf einer Abfahrt werde ich aus der Kurve | |
getragen und komme im Laub vor einem Abhang zum Stehen. Als ich nach vorne | |
blicke, fährt ein Traktor an mir vorbei. | |
Ein älterer Herr im Vintage-Look überholt mich: „How are you?“, fragt er. | |
„I am fine“, antworte ich. „Okay, have a nice ride“, sagt er und fährt | |
davon, ich hole ihn nicht mehr ein. War das Jan Janssen, 76, frage ich | |
mich, er hat 1968 die Tour de France gewonnen und ist hier ein Idol. Für | |
ihn ist die Eroica ein nostalgisches Event, das zeigt, wie hart Radrennen | |
früher waren. | |
## Müsliriegel und Bier am Verpflegungsstand | |
Unterwegs gibt es einen Verpflegungsstand mit Müsliriegeln, | |
elektrolythaltigen Getränken, Kaffee und Bier. Die Stimmung ist | |
ausgelassen. Als Chris aus Köln den Verpflegungsstopp erreicht, pumpt er | |
wie ein Maikäfer; er ist hier der einzige Raucher und ihm ist unterwegs die | |
Kniescheibe rausgesprungen. | |
Wir fahren zum Dreiländereck, wo sich Deutschland, Holland und Belgien | |
berühren. Wir passieren eine Brauerei auf Wegen, die eigentlich nicht | |
befahrbar sind. Nach 60 Kilometern erreiche ich mit einem Holländer, den | |
ich unterwegs kennengelernt habe, das Ziel. Die Wiese ist matschig, die | |
Sonne scheint wieder, vor einem Karussell steht eine Familie, der Mann mit | |
Rad ist komplett mit Schlamm bedeckt, eine Band spielt. | |
Retroräder, Holzfelgen, es gibt Bier und Pommes. Wir bekommen eine | |
Medaille, die auch als Flaschenöffner benutzt werden kann, und ein | |
Erinnerungsfoto. „Hast du gewonnen?“, frage ich Juliet. „Jede TeilnehmerIn | |
gewinnt hier, es geht um den Spaß am Radfahren, einen neuen Ort auf der | |
Welt zu sehen und neue Freunde zu finden“, antwortet sie und fügt hinzu: | |
„Sport verändert das Leben.“ | |
Die nächste Eroica findet am 2. Oktober in Italien statt, in der Toskana. | |
Die Rundfahrt ist seit 2008 immer schnell ausgebucht. „Frauen bekommen in | |
Italien automatisch einen Startplatz, weil weniger Frauen als Männer | |
teilnehmen, wie auch in Limburg. Das repräsentiert die Radfahrszene und die | |
Industrie“, so Juliet. Und fügt hinzu: „Der Frauenradsport wächst sehr | |
schnell, dennoch sind Frauen im Radsport unterrepräsentiert. Wir müssen | |
Frauen im Sport mehr unterstützen und sie sichtbarer machen, dann werden | |
mehr Frauen Rad fahren.“ | |
Die Letzten, die durchs Ziel fahren, sind Jools und ihr Freund Ian, Jools | |
nimmt das zweite Mal an der Eroica teil. Sie haben unterwegs selbst | |
gemachte holländische Marmelade erworben. „Das hat Spaß gemacht“, sagen s… | |
glücklich, „wir kommen wieder.“ | |
28 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Wibke Reckzeh | |
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