# taz.de -- Radball-Training in Niedersachsen: Kick it like Armstrong | |
> Fast wie Fußball, nur eben auf dem Fahrrad: Beim Verein Stahlrad Laatzen | |
> spielen Erwachsene und Jugendliche Radball. Ein Trainingsbesuch. | |
Bild: Mussten die Bewegungsabläufe erst lernen: Radballspieler | |
Laatzen taz | Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein ganz normales | |
Fahrrad. Doch ein bisschen anders ist das grün-gelbe Zweirad, mit dem | |
Michelle durch die Sporthalle rast, schon: Der Sattel liegt weiter hinten | |
und deutlich niedriger als bei normalen Fahrrädern, dafür hat der Lenker | |
zwei lange Griffe, die nach oben zeigen. | |
Beides aus demselben Grund: Gefahren wird hier im Stehen. Dann geht alles | |
ganz schnell: Michelle reißt den Lenker mit aller Kraft hoch und ruckartig | |
zur Seite. Mit dem Vorderrad kickt sie einen rot-weißen Ball durch die | |
Luft. Tor. Keine Chance für den Torwart, der ebenfalls auf dem Rad sitzt. | |
Jubelnd rollt Michelle zurück in die eigene Spielfeldhälfte. | |
Beim Verein Stahlrad Laatzen von 1897 e.V. trainiert die 14-jährige | |
Michelle Freyer die ungewöhnliche Sportart Radball zusammen mit fünf | |
anderen Jugendlichen und acht Erwachsenen. Der Verein ist einer von zwei | |
Radvereinen in der Region Hannover, die Radball anbieten, ist aber in | |
keiner der sechs Ligen in Deutschland vertreten. | |
Seit zwei Jahren sind Michelle und ihr jüngerer Bruder Dennis dabei, | |
mittlerweile haben auch ihre Freunde eine Vorstellung von dem Sport. „Als | |
ich am Anfang ein Referat in der Schule gehalten habe, haben alle gefragt: | |
Was ist das denn?“, erzählt Michelle und fügt stolz hinzu: „Eine Eins gab… | |
trotzdem.“ | |
## Lange Tradition | |
Obwohl Radball nicht so weit verbreitet ist wie viele andere | |
Ballsportarten, können die Spieler auf eine lange Tradition zurückblicken. | |
In Laatzen bekam der Sport in den 50er-Jahren eine Sparte im Radverein. | |
Erfunden wurde Radball Ende des 19. Jahrhunderts – nach Aussage des | |
Erfinders, dem amerikanischen Kunstradfahrer Nick Kaufmann, durch einen | |
lustigen Zufall. | |
„Eines Tages lief mir ein kleiner Hund vors Rad. Rasch hob ich das | |
Vorderrad und beförderte damit den Mops, so sanft es ging, aus dem Weg – | |
mich vor einem Sturz rettend, das Tier vor Verletzungen“, wird Kaufmann | |
zitiert. Aus dem Mops wurde ein Ball, und die neue Sportart war geboren. | |
Das erste Radball-Spiel fand dann am 14. September 1883 auf Hochrädern in | |
Rochester, New York statt. | |
Doch wie kommt es, dass der Sport in den fast 135 Jahren seiner Existenz | |
nicht populärer wurde? Kai Schulze, der seit einigen Monaten Koordinator | |
für Hallensport bei Stahlrad Laatzen ist, hat eine Vermutung: „Das größte | |
Problem ist, dass es so lange dauert. Man muss viele Monate üben, bis man | |
richtig spielen kann“, sagt Schulze, der selbst seit 15 Jahren Radball | |
spielt. | |
Allein das Fahren auf den speziellen Rädern bereite am Anfang selbst | |
erfahrenen Rennradfahrern Schwierigkeiten – besonders durch die direkte | |
Übersetzung: Wer rückwärts in die Pedale tritt, fährt rückwärts; wer gar | |
nicht tritt, bewegt sich nicht – und fällt schnell um. | |
Klingt gefährlich, ist es auch: An Blasen an den Händen und blaue Flecken | |
vom Hinfallen mussten sich die Radballer schnell gewöhnen. Ernsthafte | |
Verletzungen hat es in Laatzen bisher aber nicht gegeben, was selbst | |
Trainer und Spieler etwas überrascht. | |
## Füße auf den Pedalen lassen | |
Doch der hohe Schwierigkeitsgrad macht für Spartenleiter Schulze auch die | |
Faszination aus: „Wenn man erst mal einen gewissen Punkt erreicht hat, | |
lässt es einen nicht mehr los.“ Am Anfang habe er es sich selbst nicht | |
vorstellen können, minutenlang freihändig auf dem Fahrrad zu stehen oder | |
eben mit dem Rad Tore zu schießen. | |
Neben einem guten Gleichgewichtssinn und Geschicklichkeit ist beim Radball | |
vor allem Ausdauer gefragt, schließlich stehen pro Mannschaft nur zwei | |
Spieler auf dem Feld. „Dann gibt es oft auch kurze Sprints, da kommt also | |
alles zusammen“, sagt Schulze. Gespielt wird zweimal sieben Minuten. | |
Wichtigste Regel: Füße auf den Pedalen lassen. Wer auf den Boden tritt, | |
muss zur Strafe einmal hinter die eigene Torlinie radeln, das kann | |
entscheidende Sekunden kosten. Und so ist Radball dann doch nicht, wie oft | |
beschrieben, Fußball auf dem Fahrrad. Die Spieler kicken schließlich mit | |
dem Vorderrad – und wer ganz geschickt ist, mit dem Hinterrad –, die Füße | |
sind dagegen nur für die Fortbewegung da. | |
Oder wie der zweite Vorsitzende des Vereins, Niklas Gumboldt, es ausdrückt: | |
„Wäre es einfach, würde es ja 'Fußball’ heißen.“ | |
10 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Johanna Stein | |
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