# taz.de -- Tour de France: Aus Tradition gut | |
> Zweite Tour-Station: Belgien. Radsportnation der Manipulateure und | |
> Qualitätsdoper. Darauf einen leckeren "Belgierbecher" vom Tierarzt! | |
Bild: Tour-Radler in Belgien, 2004 | |
GENT taz Es muss für die Tour-de-France-Fahrer ein kleiner Schock gewesen | |
sein, als sie sich am Montag früh nach zwei Tagen in England auf belgischen | |
Straßen wiederfanden. So nett war es auf der Insel gewesen, in London | |
hatten eine Million Fans sie neugierig beäugt und höflich beklatscht, | |
ansonsten aber die sprichwörtliche britische Distanz gewahrt. | |
In Dünkirchen hingegen krochen die wilden flämischen Fans beinahe in die | |
Mannschaftsbusse hinein, hatten am Morgen schon Bierfahnen, trugen wilde | |
Hüte und Bemalungen und schwenkten unter lautem Gegröle ihre | |
allgegenwärtigen flandrischen Fahnen. Ihre Sympathien und Antipathien für | |
und gegen bestimmte Fahrer taten sie lauthals kund und trugen sie sichtbar | |
auf Transparenten vor sich her. | |
Belgien ist eine leidenschaftliche Radsportnation. Das Radeln macht dem | |
Fußball von der Popularität her starke Konkurrenz, es vergeht kein Tag, an | |
dem nicht zig Zeitungsseiten mit Radsportberichten gefüllt sind. Die | |
Flandern-Rundfahrt, der belgische Radklassiker im April, ist ein | |
Nationalfeiertag und zu jedem Kirmesrennen kommen die Leute zu Tausenden an | |
die Strecke. In jedem Dorf steht ein "Supporter Café" - eine jener | |
berüchtigten Fankneipen, die oft einem einzigen Fahrer oder einem Team | |
gewidmet sind und in denen sich alles um den Radsport dreht. | |
Zugleich wird kein anderes Radsportland so eng mit der Kultur des | |
systematischen, hemmungslosen Dopings in Verbindung gebracht wie Belgien. | |
Der "Pot Belge", der Belgierbecher, ist im Radsport sprichwörtlich: ein | |
teuflisches Gemisch aus Heroin, Kokain, Analgetika und Amphetaminen, der | |
den Fahrern über Jahre von ihren zumeist belgischen Pflegern gereicht | |
wurde, um die Strapazen besser auszuhalten. Und bis auf den derzeitigen | |
Superstar Tom Boonen gibt es kaum einen belgischen Spitzenfahrer, der nicht | |
zumindest einmal schon unter massivem Dopingverdacht stand. | |
Der große Eddy Merckx etwa war bereits vor dem ersten seiner fünf | |
Tour-de-France-Siege mit Amphetaminen im Blut aufgefallen. Der größte | |
Eintagesfahrer der 90er-Jahre, Johan Museeuw, gab in diesem Frühjahr zu, | |
von dem (belgischen) Tierarzt Jose Landuyt über Jahre die Mittel Aranesp | |
und Epo bekommen zu haben. Und dann ist da die traurige Geschichte von | |
Frank Vandenbroucke, dem nach Expertenmeinung größten Talent des belgischen | |
Radsports in den vergangenen Jahren, das nach mehreren Verhaftungen wegen | |
Besitzes von Dopingmitteln einen Selbstmordversuch begang und in der | |
Psychiatrie landete. Die Liste der Belgier, die mit Doping im Radsport in | |
Verbindung gebracht werden, lässt sich beinahe beliebig fortsetzen. | |
Da ist Willy Voet, der Pfleger des Teams Festina, der 1998 jenen Skandal in | |
Gang setzte, der die Tour ins Wanken brachte. Voet hatte in seinem | |
Kofferraum bei der Einreise nach Frankreich, absurde Mengen von Epo für | |
seine Mannschaft verstaut; da ist weiter der T-Mobile Masseur Jef Dhont, | |
der mit seinen Memoiren die Geständniswelle im einstigen deutschen | |
Vorzeigeteam auslöste; da ist der Teamleiter der belgischen Mannschaft | |
Quick Step, Patrick Lefevere, der Museeuw und Vandenbroucke betreute, als | |
Fahrer selbst gedopt hat und den T-Mobile-Manager Bill Stapleton gerade | |
erst als "Vertreter des alten Denkens" bezeichnete; und da ist der frühere | |
Rennfahrer Rudy Pevenage, der Vertraute, Trainer und Berater von Jan | |
Ullrich, der nachweislich regen SMS-Verkehr mit Eufemiano Fuentes pflegte. | |
Trotz dieser eindrucksvollen Liste belgischer Doper und Dopinghelfer glaubt | |
jedoch Marc Gheyselink, ein altgedienter belgischer Radsportreporter für | |
die Zeitung Het Laatste Nieuws, nicht an eine besondere belgische Neigung | |
zum Betrug und zur Selbstmedikation. "Es ist einfach so, dass wir ein Land | |
mit einer tief verwurzelten Radsporttradition sind", sagt Gheyselink. "Und | |
wo es viel Radsport gibt, gibt es eben viel Doping." | |
Weil der Radsport in Belgien aber eine so lange Tradition hat, so | |
Gheyselink weiter, tut er sich besonders schwer damit, die alte Mentalität | |
des Dopens und Schweigens abzuschütteln. Die Positionen in den Mannschaften | |
vom Direktor bis zum Masseur sind durchweg mit ehemaligen Rennfahrern | |
besetzt, die wiederum Söhne von Pflegern und ehemaligen Rennfahrern sind | |
und die das Dopingwissen und die -praktiken sowie die Radsport-interne | |
Privatmoral von Generation zu Generation weitergeben. "Wenn wir als | |
Journalisten heute kritische Fragen stellen", berichtet Gheyselink, "dann | |
werden wir immer noch angegriffen. Johan Bruyneel (der belgische | |
Exrennfahrer und Chef der Lance-Armstrong-Mannschaft Discovery) hat | |
beispielsweise erst letztens zu mir gesagt, ich würde in die eigene Suppe | |
spucken und an dem Ast, auf dem wir alle sitzen, sägen." Aber immerhin | |
scheint sich das belgische System zumindest von der Seite der vorher bloß | |
devoten Presse langsam zu ändern. | |
Gheyselinks Zeitung Het Laatste Nieuws berichtet von der Tour de France | |
zumindest zur Hälfte ausschließlich über Dopingthemen. Es ist ein zarter | |
Anfang, an den zutiefst verkrusteten Strukturen zu kratzen. | |
10 Jul 2007 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Moll | |
## TAGS | |
Radsport | |
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