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# taz.de -- Nachruf auf Wilhelm Knabe: „Ökologisch radikal sein“
> Er war Mitgründer der Grünen – und seiner Partei in manchem voraus. Nun
> ist Wilhelm Knabe im Alter von 97 Jahren gestorben.
Bild: Wilhelm Knabe im Jahr 2017 an seinem Wahlkampfstand in Mülheim an der Ru…
Berlin taz | 1944 war Wilhelm Knabe, 21 Jahre, Jagdflieger in Ausbildung.
Doch es gab keine einsatzfähigen Flugzeuge mehr, ein Glück für ihn. 1945
ließ ihn ein Waffen-SS-Unteroffizier laufen, obwohl er ihn als Deserteur
hätte töten lassen können. Dass überleben Zufall ist, war eine prägende
Erfahrung.
Im Krieg brannte sich noch eine andere fundamentale Erkenntnis ein: der
Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie. „Bei den Deutschen und den
Sowjets war der einzelne Soldat nur eine Nummer. Er war nichts wert. In der
US-Armee war auch der Soldat ein Individuum“, schrieb er in seiner vor zwei
Jahren erschienen Biografie.
Nach 1945 blieb er im Osten. Obwohl ihm das SED-Regime suspekt war, sah er
eine drängende Aufgabe. Der Braunkohleabbau in der Lausitz hinterließ
Mondlandschaften. Knabe, Forstwissenschaftler, entwickelte Methoden, schon
beim Abbau der Kohle die giftigen Stoffe zu isolieren. Als die Spielräume
in der DDR immer enger wurden, floh er 1959 in den Westen.
Der Terror des Krieges und die Enge der Diktatur waren für ihn wie für
viele seiner Generation Grunderfahrungen. Er schätzte die Demokratie, weil
er deren Abwesenheit kannte. Auch im Westen, im Ruhrgebiet, blieb er ein
eigenwilliger Kopf, der schon in den fortschrittsgläubigen 60er und 70er
Jahren die Schattenseiten der industriellen Moderne sah. Er engagierte sich
gegen Autobahnbau und erkannte, dass „endloses Wachstum nicht geht. Das
bedeutet immer mehr Flächenverbrauch. Aber die Fläche ist endlich.“
## Ungewöhnliche Kontakte
Es war naheliegend, dass Knabe 1980 einer der Mitbegründer der Grünen
wurde. Er war älter als die meisten anderen Grünen, auch abgeklärter. Er
engagierte sich in den 80er Jahren für die Opposition in der DDR und
versuchte in seiner Zeit als Parteivorsitzender die heftigen Kämpfe
zwischen Fundis und Realos zu moderieren. Er pflegte als grüner
Bundestagsabgeordneter gute Kontakte zu Union und FDP – was damals für
Grüne eher ungewöhnlich war.
Dass Demokraten zusammenarbeiten müssen, war für ihn biografisch fundierte
Selbstverständlichkeit. Die Grünen fremdelten 1989 mit der
Wiedervereinigung – Knabe nicht. Darin glich er Erhard Eppler, dem
ökologischen Sozialdemokraten, den die Aversion der westdeutschen Linken
gegen die deutsche Einheit ratlos machte.
Knabe konnte mit linken Grünen und bürgerlichen Politikern, auch weil er
wusste, dass die ökologische Herausforderung die kollektive Anstrengung
aller erfordert. Um politisch bei den Grünen Karriere zu machen, war er
vielleicht zu eigenwillig, zu wenig Profi-Politiker. In den 90er Jahren
wurde er zweiter Bürgermeister in Mülheim an der Ruhr. Es war die erste
schwarz-grüne Koalition in einer deutschen Großstadt.
Knabe war seiner Partei, die in den 80er Jahren heftig um ihren Kurs rang,
voraus. Er war schon vor 40 Jahren bürgerlich, liberal und ökologisch, eben
so, wie die Grünen geworden sind. „Die Grünen haben gelernt, dass sie die
Menschen gewinnen müssen, um etwas durchzusetzen. Aber sie müssen
ökologisch radikal sein“, sagte er, als ich ihn vor einem Jahr besuchte.
Und: „Die Vernunft muss stärker werden als die Gier.“
## Eine letzte Warnung
Im Zentrum seines Denkens und Handelns stand die Natur. Und die Sorge, dass
uns das Naturverständnis abhandenkommt. „Wenn ich einen Schwarzspecht nicht
erkenne, ist es mir egal, ob es ihn gibt. Nur was man kennt, kann man
lieben“, sagte er bei unserem letzten Telefonat im Oktober.
Am 30. Januar ist er, 97 Jahre alt, an den Folgen einer Covid-19- Infektion
gestorben.
31 Jan 2021
## AUTOREN
Stefan Reinecke
## TAGS
Grüne
Ökologie
Umwelt
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Fridays For Future
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