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# taz.de -- Einkaufen ohne Kaufhausmusik: Kein Gedudel wegen Pandemie!?
> Was ist bei Karstadt los? In der noch offenen Lebensmittelabteilung ist
> alles still. Wo ist bloß die Kaufhausmusik geblieben?
Bild: Das Kaufhaus Karstadt am Hermannplatz – da lief die Weihnachtsbeleuchtu…
Zuerst ist mir gar nichts aufgefallen. Es war noch während des ersten
Lockdowns im vergangenen Jahr, als ich mal wieder meinen Einkaufswagen
durch die Lebensmittelabteilung des Karstadt am Hermannplatz schob.
Ich bin gerne dort, gibt es hier doch ausgefallene Produkte, die ich in
meinem langweiligen Rewe ums Eck nicht finde. Ich zuckelte also durch die
Obst- und Gemüseabteilung, vorbei an den Süßwaren und plötzlich dämmerte es
mir: Es fehlt was. Nur was genau? Ungefähr auf Höhe der Käsetheke wurde es
mir klar: Es fehlt die Musik. Es fehlt das sprichwörtliche
Kaufhausgedudel, diese gehirnerweichende Klangtapete, die eigentlich jeder
Supermarkt, auch dieser, sonst immer auslegt.
Beim nächsten Shopping am selben Ort – es war kurz nach dem Lockdown, die
Coronalage hatte sich einigermaßen beruhigt – war freilich wieder alles wie
immer. Sanft wurden meine Ohren von dezentem Musikgesäusel umspült. Doch
jetzt, einen weiteren Lockdown später, ist es wieder so im Karstadt am
Hermannplatz: kein Geblubber aus den Lautsprechern, sondern Stille.
Das kann kein Zufall sein, dämmerte es mir. Da muss sich tatsächlich jemand
etwas dabei gedacht haben. Kaufhausmusik – dazu gibt es diverse Studien –
hat schließlich eine beruhigende Wirkung auf Einkaufende und regt zum
Verweilen ein. Der Puls fährt runter, man fühlt sich wohl und will das
Shoppingparadies gar nicht mehr verlassen.
## Erste Entzugserscheinungen
Und genau das will man ja schließlich nicht in einer Pandemie: dass die
Kunden stundenlang umherflanieren und ihre Aerosole verteilen. Sie sollen
vielmehr zügig ihr Klopapier greifen und was sie sonst noch so benötigen
und dann schnell zur Kasse weiterziehen. Auch damit sich vor dem Eingang
keine Schlangen mit drängelnden Wartenden bilden, die zudem im Freien noch
nicht mit klanglichem Süßholz sediert werden können.
Zu Hause habe ich mich dann erst einmal – vielleicht waren es bereits die
ersten Entzugserscheinungen von den fehlenden Weichspülerklängen – durch
meine liebsten Easy-Listening-Platten gehört. Kaufhausmusik, manche sagen
dazu auch Fahrstuhlmusik oder Muzak, kann schließlich auch mehr sein als
das Abspielen von bedeutungslosem Schlagerpop, wie es heute in den
Shoppingwelten üblich ist. Nämlich durchaus ein ehrwürdiges Genre. An den
ausgefuchsten Orchester-Arrangements eines Les Baxter oder Martin Denny
kann man sich ernsthaft delektieren. Vordergründig ist das Zuckerwatte für
die Ohren, in Wahrheit aber große Kunst.
Ich habe mir dann überlegt, wie man die löblichen Bemühungen der
Lebensmittelabteilung des Karstadt am Hermannplatz, das Einkaufen
coronagemäßer zu gestalten, noch verfeinern könnte. Etwa durch den Einsatz
von Black Metal oder Gabba. Da würden bestimmt einige der Kunden förmlich
auf der Flucht durch die Flure rennen. Ein paar Mitarbeiter vielleicht aber
auch einen Gehaltszuschlag verlangen. Aber was soll’s: Das sollte einem das
Bemühen zur Eindämmung einer Seuche ja wohl wert sein.
Je verdienstvoller ich die Maßnahmen der verantwortungsbewussten
Supermarktleiter in Neukölln fand, desto mehr habe ich mich darüber
aufgeregt, dass in meinem weniger umsichtigen Rewe einfach weiter dieses
Musikgeblubber durch die Einkaufshalle verteilt wurde, mit dem die Kunden
zu schier bewegungslosen Zombies verwandelt werden sollen. Also rief ich
bei Karstadt an, um wenigstens meinen Dank zu hinterlassen.
Dort wurde mir jedoch mitgeteilt, das vorbildliche Ausbleiben von Musik
habe letztlich nur indirekt etwas mit Corona zu tun. Es sei einfach nur so,
dass während der Lockdowns nun mal ausschließlich die Lebensmittelabteilung
geöffnet haben dürfe, der Rest des Hauses jedoch geschlossen ist. Und die
Musikanlage, die sonst das ganze Kaufhaus beschallt, sei nur von einem
gerade geschlossenen Bereich aus bedienbar.
31 Jan 2021
## AUTOREN
Andreas Hartmann
## TAGS
Kolumne Durch die Nacht
Einkaufen
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Neue Musik
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