# taz.de -- Der Hausbesuch: Hart erarbeitete Kreativität | |
> Tanja Kriebel und Wenzel Taraba sind Partner, privat und beruflich. In | |
> Trier entwerfen sie Mode, die man nicht anzieht, sondern trägt. | |
Bild: Modedesigner in Trier: Wenzel Taraba und Tanja Kriebel zu Hause | |
Tanja Kriebel und Wenzel Taraba leben in Trier und entwerfen Mode. Er | |
spricht gern laut und sie hat einmal einen Raben großgezogen. | |
Draußen: In der Bruchhausenstraße reichen die Baumkronen bis an die Giebel | |
der klassizistischen Häuser. In einem leben Wenzel Taraba und Tanja | |
Kriebel. „Seit ich in Trier lebe, wohne ich in dieser Straße“, sagt Taraba, | |
„nur die Hausnummern haben sich geändert“. | |
Drinnen: Ein Stuhl, den Marcel Breuer entwarf, steht im Zimmer. Dasselbe | |
Modell hängt an der Wand als Kleiderstange. Taraba bietet Kaffee an, | |
Kriebel holt einen Beistelltisch. Auch ein Designerstück. Im Hintergrund | |
läuft Jazzmusik. | |
Alter: Wer nach dem Alter der beiden fragt, kriegt erst mal keine Antwort. | |
„Das ist keine Kategorie, in der wir denken“, sagt Tanja Kriebel, und | |
Wenzel Taraba fügt nach einigem Zögern hinzu: „Jahrgang 68.“ Wer dagegen | |
fragt, was Mode ist, steckt sofort mitten in einem Gespräch: „Der Spiegel | |
des Zeitgeistes“, „Kommunikation“, „Ausdruck gesellschaftlicher | |
Bedürfnisse“, „Ausdruck der persönlichen Haltung“. | |
Kriebels Maske: Besser man versucht die Annäherung an ihr Metier nicht vom | |
Großen aus, sondern vom Detail. Tanja Kriebels Coronamaske etwa: eine | |
Strickmütze mit integriertem Mundschutz. „Die hab ich schon vor 25 Jahren | |
entworfen.“ Vor allem in Japan hat Kriebel sie verkauft, dort trage man | |
einen Mundschutz nicht erst seit Corona. | |
International: Damals hatte Kriebel auch einen Termin beim Chef der | |
Düsseldorfer Modeagentur Klauser. Anfangs schien er genervt, habe in ihr | |
eine hartnäckig Übermotivierte vermutet, „aber mit jeder Sekunde, die er | |
die Kollektion betrachtete, hellte sich seine Miene weiter auf“. | |
Schließlich nahm die Agentur Kriebel auf. So begann ihr internationales | |
Geschäft. | |
Aufwachsen: Kriebel wuchs in einem Dorf bei Siegen auf, zwischen Frankfurt | |
und Köln, und war häufig allein, weil ihre Eltern arbeiteten und das Haus | |
abgelegen lag. „Das hatte den Vorteil, dass ich in keine Formen gepresst | |
wurde.“ Ihre Mutter habe ihr Stifte gegeben. Damit sei sie zufrieden | |
gewesen. In ihrem Bauwagen, finanziert vom Taschengeld, zeichnete sie, | |
schrieb Texte und Gedichte. Keiner habe ihr gesagt: „Das geht nicht“ oder | |
„so macht man das nicht“. Also sei sie davon ausgegangen, alles sei | |
machbar. | |
Das Machbare: Die Ausbildung zur Schneiderin hat sie mit 16 Jahren | |
begonnen. Danach ging sie auf eine Modefachschule in Köln und studierte | |
später Modedesign in Trier und Madrid. | |
Der Schockverliebte: In Trier lernten sich Kriebel und ihr Mann Wenzel | |
Taraba kennen. Kriebel lief auf einer Modenschau und Taraba sei sofort | |
„schockverliebt“ gewesen. Er glaubte aber, sie sei vergeben. „Selbst wenn | |
es sich altmodisch anhört: Ich würde in tausend Jahren nicht versuchen, | |
mich irgendwie in eine Beziehung einzumischen“, sagt er. | |
Fachlicher Rat: Wenzel Taraba studierte auch Modedesign, war 29 und gehörte | |
zu den Ältesten an der Uni. Eines Tages suchte er fachlichen Rat für | |
Strickmode, sie hatte sich in dem Bereich schon einen Namen gemacht. „Ich | |
sollte meine Mappe mitbringen“, sagt Taraba, „als ob ich mich bei ihr | |
bewerbe.“ Kriebel huscht ein Lächeln über die Lippen. „Er wollte ja was v… | |
mir, da wollte ich auch wissen, was er so macht.“ | |
Die Begegnung: Sie trafen sich um acht Uhr abends, tauschten sich über | |
Strick- und Herrenmode aus, sprachen über Formen, Schnitte, Verarbeitung | |
und verabschiedeten sich um vier Uhr morgens. Taraba kapierte: Sie ist | |
Single. Kurze Zeit später waren sie ein Paar. „Mir war nach fünf Minuten | |
klar, dass ich so eine Frau schon immer gesucht habe“, sagt Taraba. | |
Wenzel Taraba: Er trägt selbstgefertigte Maßkleidung, Sneaker mit | |
radieschenfarbenen Socken und spricht mit leichtem Akzent, weil er in der | |
Slowakei aufgewachsen ist. „Mit zwei Brüdern und einer Schwester“, sagt er. | |
„Unser Haus war so groß, wir haben immer geschrien, wie auf einem | |
Fußballfeld.“ Lautes und leidenschaftliches Sprechen liebe er. | |
Schneider: Seine Mutter entschied, dass er Schneider werden soll. Die | |
Ausbildung schloss er in der DDR ab. Nach dem Mauerfall lebte er eine Zeit | |
lang in einem Flüchtlingsheim „mit 20 anderen in einem Schlafsaal“. Von | |
dort zog er nach Konstanz, wo er im Theater die Hauptdarsteller | |
kostümierte. Er erzählt von russischen Artisten, mit denen er trank und | |
feierte, und von einem Kollegen, der drei Jobs hatte, um seine Familie zu | |
ernähren, und ein klappriges Damenrad fuhr, aber immer die schönsten | |
Nadelstreifenanzüge trug. Seinen Meister machte Taraba nebenbei. Später | |
studierte er in Trier Mode und bekam danach einen Job bei Hugo Boss. | |
Schnell weg: Aber da war alles „viel zu steif, wie in einem Büro“. Taraba | |
regt sich noch heute darüber auf. Er kündigte, zog zurück nach Trier und | |
stieg in Tanja Kriebels Geschäft ein. | |
Herrenschnitte, Frauenkleider: Während Kriebel sich kreativ austobt und | |
auch mal Herrenschnitte für Frauenkleider nutzt, sieht Taraba sich eher als | |
klassischen Herrenschneider. Er sei nicht der 100 Prozent kreative Mensch, | |
„aber der Witz mit der Kreativität ist ja der: Man kann mit Fleiß und | |
Schweiß 98 Prozent von diesen 100 erreichen.“ Nur zwei Prozent seien der | |
Genius. Tanja Kriebel habe den, einfach so. Seine 98 Prozent seien hart | |
erarbeitet, sagt er. | |
Prinzip: Fragt man, was ihre Arbeit ihnen bedeute, sagt Taraba etwas | |
nachdenklich: „Alles im Prinzip. Also mir.“ Und Kriebel ergänzt: „Wenn m… | |
für etwas brennt, dann empfindet man es nicht als Stress oder als Arbeit.“ | |
Es gehe darum, Kleidungsstücke zu entwerfen, die die Persönlichkeit | |
unterstreichen. | |
Nackter Po: In Paris habe sie auf einer Party mal ein Kleid getragen, vorne | |
streng und hochgeschlossen, hinten ein 25 Zentimeter breiter Streifen aus | |
schwarzem Seidenorganza, ihr Po war für alle sichtbar. Mit den Augen | |
anderer im Rücken bewege man sich anders, sagt Kriebel, die Haltung müsse | |
den Blicken standhalten. „Wer die Aufmerksamkeit derart auf sich zieht, | |
muss ein gewisses Maß an Selbstsicherheit mitbringen.“ | |
Kleid anziehen, Kleid tragen: Ein Kleid anziehen und ein Kleid tragen seien | |
zwei verschiedene Dinge, sagt Kriebel. Wenn eine Kundin komme und ein Kleid | |
anziehe, das sie nicht „ausfüllt“, verkaufe sie es ihr nicht. Das habe auch | |
was mit Verantwortung zu tun. | |
Verantwortung: Kriebel verkauft ihre Kollektionen nicht mehr international. | |
Sie wolle in dieser „Scheinwelt“ nicht mehr mitmachen. „Die Modebranche h… | |
sich selbst überholt. Vier bis sechs Kollektionen im Jahr, die Leute kommen | |
da nicht mehr mit.“ Ohnehin könne man anziehen, was einem gefalle, sagt | |
Taraba. Kriebel glaubt an einen gesellschaftlichen Umbruch. „Man achtet | |
darauf, was man isst, wie Lebensmittel hergestellt werden, wie | |
umweltverträglich etwas ist.“ | |
Werte und Geschichten: Und was halten die beiden von Billigklamotten? „Das | |
sind die Teile, die als Erstes weggeschmissen werden!“, echauffiert sich | |
Taraba, „zu denen baut man keine Beziehung auf“. Die Modeindustrie gehört | |
zu den klimaschädlichsten Branchen. Deswegen prüfen Wenzel und Taraba die | |
Lieferketten und recherchieren gründlich. „Man will ja auch keine Wolle von | |
Merinoschafen, denen ohne Betäubung die Haut am Hintern weggeschnitten | |
wurde“, sagt Kriebel. | |
Überhaupt Tiere: Ein Shirt mit einem Raben hängt im Raum. Das hat auch eine | |
Geschichte. Kriebel erzählt, sie habe mal einen sehr jungen Raben gefunden. | |
Er lag verletzt am Straßenrand. Sie habe ihn aufgepäppelt, ihm das Fliegen | |
beigebracht. Und dann das Shirt entworfen. | |
23 Jan 2021 | |
## AUTOREN | |
Clemens Sarholz | |
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