# taz.de -- Nach der Absage der Eishockey-WM: Sein ein und alles | |
> Die Absage der Eishockey-WM ist für die Sportler in der | |
> Oppositionsbewegung in Belarus ein Erfolg. Sie haben Mut für weitere | |
> Proteste geschöpft. | |
Bild: Wohlfühlambiente: Alexander Lukaschenko bei einem Eishockeyturnier im No… | |
MINSK taz | Das Bild tauchte nur einen Tag nach der [1][Absage der | |
Eishockey-WM in Minsk] in diversen sozialen Medien auf: Präsident Alexander | |
Lukaschenko in voller Eishockeykluft inklusive Schläger und Helm sitzt im | |
Präsidentenstuhl seines Kabinetts und diktiert der Vorsitzenden des Rates | |
der Republik, Natalja Katschanowa, etwas in den Block. Ein etwas | |
lächerliches Szenario und ein Bild des Trotzes, denn der Fakt, dass er sein | |
Land nun nicht mehr als vorbildlichen Organisator sportlicher | |
Großereignisse präsentieren kann, macht dem Autokraten mehr zu schaffen, | |
als er zugeben kann. | |
„Es ist zu sehen, dass ihn der Verlust des Turniers und die IOC-Sanktionen | |
berühren“, meint etwa Sergej Tschaly. Der Ökonom und Politikexperte war | |
einst selbst im Wahlkampfteam von Lukaschenko aktiv, gehört aber heute dem | |
Koordinationsrat der Opposition um Swetlana Tichanowskaja an. Auch die | |
ehemalige Schwimmweltmeisterin Aljaksandra Herasimenia, nun Präsidentin des | |
[2][belarusischen Sportsolidaritätsfonds], bezeichnete die Absage als eine | |
der größten Niederlagen des Präsidenten, vor allem auch, weil die | |
Initiative von Sportlern aus seinem eigenen Land vorangebracht worden sei. | |
„Theater, Literatur, Wissenschaft, intellektuelle Debatten – all das gehört | |
nicht zu seinen Interessengebieten und ist ihm ziemlich egal. Aber der | |
Sport – das ist sein ein und alles. Und gegen sein geliebtes Eishockey | |
vorzugehen, das empfindet er wirklich als persönlichen Verrat.“ | |
Persönlich schienen auch einige Lukaschenko treue Journalisten die Absage | |
der WM zu nehmen. Der Resortleiter Sport der Regierungs-Postille Belarus | |
Today, Sergej Kanashits, schrieb beispielsweise: „Das ist politisches | |
Banditentum. Keine Untersuchung, kein Prozess, keine Fakten.“ Dass es in | |
Belarus mittlerweile über 190 politische Gefangene gibt (zur Eishockey WM | |
2014 waren es sieben) war Kanashits keine Erwähnung wert. | |
Die richtig schrillen Töne waren unterdessen aus Moskau zu vernehmen. Fast | |
hätte man annehmen können, Russland hätte die WM verloren. Schon öfter mal | |
aufgefallen durch groteske Wortmeldungen ist Witali Milonow, seit 2016 | |
Abgeordneter in der Staatsduma und für die Putin-Partei Einiges Russland im | |
Ausschuss für internationale Angelegenheiten aktiv. Die Absage der WM in | |
Minsk sei, so Milonow „eine völlige Gemeinheit, Schurkerei und | |
Eishockey-Homosexualität“. Und der ehemalige Schwergewichtsboxer Nikolai | |
Walujew, auch er ist Duma-Abgeordneter, fügte hinzu: „Das Land denkt und | |
atmet nicht so, wie das einige andere Länder erwarten. Und siehe da, hier | |
ist das Ergebnis. Ich bin sehr enttäuscht.“ | |
## „Unbedeutende Individuen“ | |
Wjatscheslaw Bykow, zwischen 2006 bis 2011 Trainer der russischen | |
Eishockeynationalmannschaft und seit 2003 Schweizer Staatsbürger, findet es | |
sogar schwer, den Schädlingen in der IIHF einen entsprechenden Namen zu | |
geben: „Ich weiß nicht einmal, wie ich sie nennen soll. Für mich sind das | |
ja keine wirklichen Persönlichkeiten, sondern nur unbedeutende Individuen. | |
Sie fangen an, ihre schmutzigen Hände an den Sport anzulegen.“ | |
In einem für ihn optimalen Wohlfühlklima war es dann der Vorsitzende des | |
belarusischen Eishockey-Verbandes, Dmitry Baskow, in einem TV-Interview für | |
den staatstragenden Ersten Kanal in Russland unwidersprochen eine deutliche | |
Nachricht an den Sportsolidaritätsfond in seinem Land richten konnte: „Sie | |
feiern einen Sieg, indem sie dem belarusischen Volk diese Feiertage | |
genommen haben. Jetzt können sie nicht mehr als Belarusen bezeichnet | |
werden! Jetzt sind sie nur noch Verräter!“ | |
„Wenn wir Verräter sind“, so fragte daraufhin [3][die Basketballspielerin | |
Elena Levchenko], eine der wichtigsten Repräsentanten des | |
Sportsolidaritätsfonds und selber für mehrere Wochen in Haft, „können wir | |
dich dann auch Mörder nennen?“. Denn es ist ausgerechnet Baskov, der | |
exemplarisch für die zunehmende Gesetzlosigkeit in Belarus steht. Der | |
42-Jährige steht unter dringendem Tatverdacht, am Gewaltverbrechen gegen | |
den im November [4][getöteten Roman Bondarenko] beteiligt gewesen zu sein. | |
Der IIHF hat mittlerweile eine eigene Untersuchung im Fall Baskov | |
eingeleitet. Mehrere Länder, darunter auch der WM-Co-Gastgeber Lettland, | |
haben gegen Baskow ein Einreiseverbot verhängt. In Belarus gibt es kein | |
Strafverfahren gegen ihn. Er ist nach wie vor auf freiem Fuß. | |
## Der Fall Baskow | |
Dafür sitzen die Journalistin Katerina Borisowitsch und der Anästhesiarzt | |
Artjom Sorokin seit nunmehr über zwei Monaten in Untersuchungshaft. | |
Borisovich, eine der profiliertesten Gerichtsreporterinnen in Belarus, | |
hatte nach der Tatnacht Sorokin interviewt, der zu den behandelnden Ärzten | |
gehörte, die versucht hatten, Bondarenkos Leben zu retten. Sorokin hatte | |
sich dabei über die Behauptung, dieser sei betrunken gewesen, empört und | |
damit Lukaschenko direkt widersprochen. | |
Alles kein Problem für Baskow. Als IIHF-Chef Rene Fasel vor zwei Wochen in | |
Minsk eintraf, um sich von Lukaschenko an die Brust ziehen zu lassen, | |
wartete dort auch Baskow auf ihn und ließ sich mit Fasel ablichten. Das | |
Foto entzündete in Belarus einen wahren Shitstorm gegen den scheidenden | |
Weltverbandspräsidenten, der sich danach überrumpelt zeigte und sagte: Ich | |
kenne Baskow seit Langem, und er kam auf mich zu und sagte: ‚Rene, Selfie, | |
bitte!‘ Ich hätte nicht gedacht, dass das Foto veröffentlicht wird. Wir | |
müssen zugeben, dass wir da Opfer einer Manipulation geworden sind.“ | |
Das Foto gemacht und verbreitet hatte übrigens Artjom Karkotski, einstiger | |
Eishockeyspieler und enger Freund von Baskow. Wenig später konnte man auf | |
seinem Instagram-Account ein kurzes Video sehen, wie er tapfer und mit | |
heiligem Zorn eine Dose Nivea-Creme nahm und in den Mülleimer beförderte. | |
Nivea hatte ebenso wie Skoda, Liqui Moly und andere Firmen erklärt, der WM | |
nicht als Sponsoren zur Verfügung zu stehen, sollte sie wie geplant auch in | |
Minsk stattfinden. | |
Pressbol, die größte Sportzeitung in Belarus, hatte danach geschrieben, | |
dass es am Ende ausgerechnet die „Haie des Kapitalismus“ gewesen seien, die | |
mit dem Thema „Menschenrechte“ auf der Flagge die WM in Minsk unmöglich | |
gemacht hätten. | |
Echte Freude über die Entscheidung des IIHF kam bei den Mitgliedern des | |
belarusischen Sportsolidaritätsfonds auf. Dessen Geschäftsführer, der in | |
die Ukraine geflüchtete Aljaksandr Apeikin, erklärte am Tag der Absage der | |
WM auf seinem Facebook-Account: „Freunde, wir haben mal wieder die | |
Weltpresse für unsere Sache erobert!“ Den nächsten Erfolg konnte die | |
Vereinigung schon eine Woche nach der Absage der Eishockey-WM feiern. Die | |
WM im Modernen Fünfkampf wird im Juni nicht wie geplant in Minsk | |
stattfinden. | |
24 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Eishockey-WM-wurde-Belarus-entzogen/!5745351 | |
[2] https://bssf.team/en/?fbclid=IwAR0PHxQ-bY_4mvLkw3vFJqsHnKqqlksJ-Psy8vM9gC8w… | |
[3] /Proteste-in-Belarus/!5728275 | |
[4] /Gewalt-in-Belarus/!5728458 | |
## AUTOREN | |
Krystap Ruchkin | |
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