# taz.de -- Bildung im TV: Revival des Schulfernsehens | |
> In der Pandemie wird tief in die pädagogische Trickkiste gegriffen. | |
> Heraus kommt: das Schulfernsehen. Es könnte die Bildungsgerechtigkeit | |
> fördern. | |
Bild: Yeah! Endlich den ganzen Tag Fernsehen | |
Die Verlängerung des Lockdowns bis Mitte Februar ist beschlossen. Für die | |
meisten Schüler*innen ist weiterhin Distanzlernen angesagt. Im | |
Familienalltag bedeutet das: eingefrorene Videokonferenzen und stapelweise | |
Arbeitsblätter. Könnte Schulfernsehen zur Rettung des coronagepeinigten | |
Bildungssystems werden? | |
In Großbritannien kündigte die BBC zu Beginn dieses Jahres an, jeden Tag | |
mehrere Stunden Unterricht auszustrahlen. Wenig später zogen die | |
Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland nach und verkündeten, das Angebot an | |
Schulsendungen zu erweitern. Es folgten Sendungen mit mal mehr, mal weniger | |
Lehrplanbezug. Der WDR etwa strahlte wie bereits in den Weihnachtsferien | |
jeden Tag eine Folge der „Sendung mit der Maus“ aus. Der SWR möchte | |
Abiturient*innen mit der Reihe „Sternchenthemen“ auf den | |
Deutsch-Abschluss vorbereiten. | |
Der HR will mit dem „Kinderfunkkolleg“ auf spielerische Weise die | |
Klassenstufen drei bis sechs erreichen. Mit der Mediathek von „Alphalernen“ | |
setzt der BR auf Systematik: Nach Klassenstufen und Fächern sortiert können | |
Schüler*innen sich Erklär-Clips anschauen. ARD alpha sendet werktags von | |
9 bis 12 Uhr Lernformate. Bereits im Frühjahr stellte die ARD mit „Schule | |
zu Hause“ zusätzliche Lernsendungen zur Verfügung. | |
Zwischen 1964 und 1972 in der BRD eingeführt, sollte das Schulfernsehen | |
dazu beitragen, eine „Bildungskatastrophe“ abzuwenden. Vor allem Lernende | |
auf dem zweiten Bildungsweg nutzten die Fernsehsendungen, die zu Beginn | |
abgefilmten Unterrichtsstunden glichen: Berufstätigen ermöglichte es, sich | |
den Abiturstoff nach Feierabend selbst zu erarbeiten. Etwa 1.500 | |
Unterrichtsstunden entstanden. In der DDR gab es bereits seit den 1950ern | |
explizite Bildungssendungen. | |
## Gute Erreichbarkeit | |
Könnte das Schulfernsehen in der Pandemie wieder einen seiner | |
Gründungszwecke erfüllen und mehr Bildungsgerechtigkeit schaffen? | |
„Schulfernsehen kann bestimmt die Effektivität des Distanzlernens erhöhen | |
und die Lehrkräfte entlasten, aber nicht die Gerechtigkeitslücken | |
schließen“, sagt Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen | |
Lehrerverbands. „Die Lehrer erleben gerade, wie von Haus aus lernschwache | |
Schüler jetzt vollkommen abtauchen. Dagegen hilft nur Präsenzunterricht.“ | |
Optimistischer ist Schulpädagogik-Professor Klaus Zierer. „Wenn | |
Schulfernsehen systematisch die Themen des Lehrplans durchnimmt, kann es | |
ungeheuer wichtig für Bildungsgerechtigkeit sein“, so Zierer. Fernsehen sei | |
schließlich in 99 Prozent aller Haushalte mit Schulkindern vorhanden. „Mit | |
einem von Lehrern, Familien und Wohnort unabhängigen Programm wäre man | |
sowohl von Breitbandausbau und digitalen Endgeräten als auch von der | |
Medienkompetenz einzelner Lehrkräfte unabhängig“, sagt Zierer. | |
Damit Kinder nicht „vor der Glotze hängen“, sondern aktiv bleiben und | |
mitdenken, sei die Rhythmisierung des Programms über den Tag zentral. Kurze | |
Inputs müssten sich mit Selbstlernphasen abwechseln. „Ein Grundschüler | |
könnte beispielsweise in drei zwanzigminütigen Inputs von 9 bis 9.20 Uhr, | |
10 bis 10.20 Uhr und 11 bis 11.20 Uhr alle wichtigen Lerninhalte des Tages | |
in Deutsch, Mathe und Sachkunde vermittelt bekommen; dazwischen könnten | |
Aufgaben in Einzelarbeit gelöst oder die Inhalte in einer Gruppenarbeit | |
über digitale Plattformen vertieft werden“, schlägt Zierer vor. | |
Kultusministerien, Sender und Lehrkräfte sollten sich zusammentun, um | |
Bestände zu sichten und noch nicht behandelte Themen filmisch | |
aufzubereiten. „Ein solches Angebot könnte man durchaus mit den besten | |
Lehrpersonen des Landes in ein bis zwei Wochen auf die Beine stellen“, sagt | |
Zierer. Die Sender sollten ihrem Bildungsauftrag nachkommen. Dass die | |
Systematisierung bestehenden Materials ein erster Schritt ist, damit | |
Lehrkräfte auf das Angebot zurückgreifen, unterstreicht Lehrerverbandschef | |
Meidinger. Er veranschlagt dafür jedoch „mehrere Wochen bis Monate“. | |
Zierer sieht jetzt vor allem die Kultusministerkonferenz (KMK) am Zug. | |
Trotz Länderhoheit bei der Bildung gäbe es gemeinsame Standards. „Für ein | |
Notprogramm, das sich an ihnen orientiert, gilt eben gerade nicht, dass | |
Bildung Ländersache ist.“ Eine Antwort der KMK zu ihren Plänen für ein | |
Revival des Schulfernsehens stand bis Redaktionsschluss jedoch aus. | |
21 Jan 2021 | |
## AUTOREN | |
Franziska Schindler | |
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