# taz.de -- Verfallendes Stasi-Gelände: Vermodernde Geschichte | |
> Mit der Erstürmung der Stasi-Zentrale war 1990 die Staatssicherheit | |
> Geschichte. Teile des Areals werden seitdem sich selbst überlassen. | |
Bild: Damals wie heute ist das Stasi-Gebäude verschlossen, heute allerdings au… | |
BERLIN taz | Auf dem Areal der ehemaligen Zentrale des Ministeriums für | |
Staatssicherheit (MfS) befindet sich ein zweistöckiger Bunker. Ein Ort, an | |
dem die Geschichte wortwörtlich anfassbar wäre, denn die Stasi war gut | |
ausgestattet: Wasseraufbearbeitungsanlagen, Notstromaggregate, | |
Telekommunikationsstationen; alles ist nach wie vor vorhanden. | |
Schade nur, dass ein Zugang zum Objekt nicht möglich ist. Denn der Bund, | |
dem das Gebäude gehört, hat einen der beiden Notausgänge zugemauert und das | |
Areal, auf dem sich der andere Notausgang befindet, verkauft. Seitdem ist | |
das Objekt polizeilich gesperrt. | |
Solche Anekdoten kann Christian Booß vom Bürgerkomitee „15. Januar“ viele | |
erzählen. Das Komitee, ursprünglich im Rahmen des Runden Tischs entstanden, | |
hatte sich 2016 neu gegründet. Unter anderem, um sich mit der Zukunft der | |
MfS-Liegenschaften zu befassen. Und dass dies jemand tut, scheint auch | |
notwendig. Denn ein Großteil des Plattenbauareals steht tatsächlich leer – | |
inmitten einer Stadt, geplagt durch einen beispiellosen Mangel an Wohn- und | |
Büroflächen. | |
Das Bürgerkomitee hatte zu einem Rundgang auf dem Areal eingeladen, da es | |
am Freitag 31 Jahre her sein wird, dass eine Großdemonstration die Tore des | |
Ministeriumskomplexes öffnete – und damit das Treiben der Stasi endgültig | |
beendete. Doch in der Folge habe sich alles um die Aktenbestände der Stasi | |
gedreht, erzählt Booß, weshalb die Immobilienbestände vergessen wurden. | |
## Stinkende Häuser und ein Frauenknast | |
Zynisch könnte man von einer gelungenen Erhaltung der erdrückenden | |
Stasi-Atmosphäre sprechen. Überall dominiert der braun-graue DDR-Stil, an | |
den meisten Fassaden bröckelt der Putz, manche Wände sind voller Graffiti – | |
nicht jene der schönen Sorte. Fast erwartet man, auf ein | |
Erschießungskommando zu treffen, wenngleich es solche hier nie gegeben | |
haben soll. | |
Einige Gebäude wurden von privaten Betreibern aufgekauft. Haus 1 des | |
gigantischen Areals wurde in das Stasi-Museum umgewandelt. Doch in weiteren | |
Teilen des Gebäudekomplexes ist nichts geschehen, seit der | |
Staatssozialismus 1990 zusammengebrochen ist. | |
Zum Beispiel sei da Haus 7, ein Plattenbau der 1950er Jahre im | |
stalinistischen Stil. Hier waren einst die „Abwehreinheiten“ des MfS | |
beherbergt, also die Schwerpunkte Flucht und Opposition. Das Haus stinke | |
wortwörtlich vor sich hin, wie das Booß unter Bezugnahme auf das | |
Kanalisationssystem beschreibt. Vor Jahren habe die Stadt die gesamte | |
Fassade mit Säcken zugehangen, weil der Putz bröckle. Doch vor zweieinhalb | |
Jahren seien die Abdeckungen plötzlich verschwunden, ohne dass sich an der | |
Situation etwas geändert habe. | |
Auch auf dem Areal befindet sich die letzte Bausubstanz von Altlichtenberg. | |
Denn auch Lichtenberg habe einmal ein Gründerzeitviertel besessen, erklärt | |
Booß, dessen Kern sich auf dem Stasigelände befinde. Doch der Wohnblock | |
stehe seit den 1990er Jahren leer, da die Senatskulturverwaltung plane, ein | |
DDR-Großarchiv mit einer Lagerfläche von viereinhalb Fußballfeldern zu | |
schaffen. Geschehen sei aber noch nichts – und es sei angesichts der Größe | |
des Projekts zu erwarten, dass dies noch eine Weile so bleibe. | |
Und schließlich ist da noch der Saal des ehemaligen sowjetischen | |
Militärtribunals, in dem rund 100 Todesurteile vollstreckt wurden. Das | |
Gefängnis, etwa 1900 erbaut, ist heute übrigens immer noch ein Knast. Es | |
bietet ein erzwungenes Zuhause für die rund 100 Insassinnen der Frauen-JVA | |
Lichtenberg. Man setze mittlerweile aber nicht mehr auf Folter, sondern auf | |
Resozialisierung. Sogar einen Garten solle es geben. Damit ist der schönste | |
Ort auf dem Areal wohl ein Gefängnis. Wird Zeit, das sich was tut. | |
14 Jan 2021 | |
## AUTOREN | |
Timm Kühn | |
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