Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Neues Tanznetzwerk im Norden: Auf in die Provinz
> Das Projekt „tanz.nord“ will Tanzschaffende aus Hamburg und
> Schleswig-Holstein zusammenbringen und für mehr Auftrittsmöglichkeiten
> sorgen.
Bild: Nur ein paar Schritte bis zur vitalen Tanzszene: Paar beim Tango-Kurs am …
Das Tanztheaterentwicklungsland Schleswig-Holstein profitiert von einer
Aufbauhilfe Nord, für die dem Hamburger Dachverband freie Darstellende
Künste (DFDK) in Kooperation mit K3, dem Zentrum für Choreographie auf
Kampnagel, Fördermittel genehmigt wurden. Das einjährige Pilotprojekt
„tanz.nord“ soll helfen, eine Szene für zeitgenössische Bewegungskunst im
äußersten Norden der Republik zu entwickeln. Das ist aber keine Hamburger
Solidaritätsaktion aus reiner Nächstenliebe, sondern soll auch auf eine
Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die eigene Klientel und somit auf eine
Win-win-Situation hinauslaufen.
Die vitale Tanzszene in Hamburg sei vielseitig aufgestellt. Sie sei gut
organisiert, habe diverse Auftrittsmöglichkeiten, teilweise gute
Arbeitsbedingungen, ein treues sowie immer wieder neues, junges Publikum
und feiere Festivals zur Selbstverständigung, sagt Ulrike Steffel aus dem
Netzwerkbüro des DFDK, „aber Hamburg hat keine Fläche“. Nach vier, fünf
Aufführungen müssten dort entwickelte Tanz-Produktionen eingemottet werden.
Angesichts der dafür investierten Arbeit, Zeit, Liebe, Ideen und Gelder sei
das natürlich nicht nachhaltig, so Steffel: „Zudem denken die umtriebigen
Tanzschaffenden international, orientieren sich an Berlin, Brüssel, London,
New York, wollen dort gastieren, das ist kein zukunftsfähiges Modell.“
Steffel begründet das einerseits mit dem ökologischen Fußabdruck des
weltweiten Hin- und Herjettens, andererseits mit Erfahrungen aus der
Coronapandemie, eher vor der Haustür denn global aktiv sein zu können.
Jedenfalls lieferte die Lockdown-Zeit den Impuls für den auf Regionalität
ausgerichteten Öffnungs- und Vernetzungsprozess „tanz.nord“.
Schleswig-Holstein darf sich nun auf Darbietungen, Expertisen,
Fortbildungen und Kunstvermittlungsformate aus Hamburg freuen und selbst
durchführen. Im Gegenzug bekommen die hansestädtischen Tanzschaffenden neue
Auftritts- und damit Verdienstmöglichkeiten in der Nachbarschaft. Zudem
würden partizipative Tanzprojekte mit Schülern, Senioren oder Geflüchteten
von Künstlertandems aus den beiden Bundesländern realisiert. Und das ist
längst nicht alles.
Ideal passt das Konzept zum Notfallprogramm „Tanzpakt Reconnect“, das Teil
der Bundesinitiative „Neustart Kultur“ ist. Nach dem
Coronapolitik-bedingten Berufsausführungsverbot für Tänzer*innen werden nun
deutschlandweit 51 Maßnahmen mit insgesamt 5,5 Millionen Euro gefördert, um
den Lockdown-Kahlschlag ein paar Farbtupfer aufzusetzen, „damit der Tanz in
der Krise und über sie hinaus in unserer Gesellschaft wirksam bleibt“, wie
es offiziell heißt.
## Entwicklungshilfe für den Tanz
Das Projekt „tanz.nord“ wird mit 240.000 Euro gefördert, Hamburg und
Schleswig-Holstein steuern zusätzlich je 10.000 Euro bei. Das sind Summen
in völlig neuen Dimensionen für das nördlichste Bundesland. „Die freie
Theaterszene wurde hier nicht entwickelt, der zeitgenössische Tanz noch
stiefmütterlicher behandelt und aus Hamburg strahlte bisher leider nichts
herüber. Ich finde aber, diese Kunstform sollte nicht weiterhin ganz fehlen
in unserem Bundesland“, sagt Inken Kautter, die das Projekt als Leiterin
des Kultur- und Bildungszentrums (KuB) Bad Oldesloe mitorganisiert.
Nach der Schließung der Tanzsparte am Theater Lübeck im Jahr 1995 gibt es
derzeit nur noch in Kiel eine fest angestellte Compagnie, das prämoderne
Ballett unter der Leitung von Yaroslav Ivanenko sowie als freies
Profi-Ensemble noch Tanz-Ort-Nord in Schleswig-Holstein. „Da aber einige
Tänzer und Choreografen aus privaten oder beruflichen Gründen, etwa für
Jobs als Tanz- oder Ballettlehrer, trotz allem hier leben, gibt es
natürlich Potenzial“, so Kautter.
Auf Nachfrage, wo es wie viel Tanzkunst derzeit im Norden gebe, verweist
das Kieler Kultusministerium auf die Website des im Februar 2020
gegründeten Tanz und Performance Netzwerks Schleswig-Holstein. Es führt für
das Bundesland zehn mit Tanz beschäftigte Gruppen auf. „tanz.nord“ sei der
Startschuss, um zukünftig mehr als nur sporadisch mal einzelne Tanzprojekte
zu unterstützen, heißt es in Kiel. Gerade habe man eine zweijährige
Konzeptionsförderung an das Neumünsteraner Künstlerkollektiv
Merle-Mischke-Klee vergeben.
Performer Mark Christoph Klee hofft, dass sich die Akteure des Landes nun
erst mal finden, kennenlernen und ein Gefühl von Szene entwickeln, was in
einem Flächenland viel schwieriger als in einer Großstadt sei. Zudem gelte
es, etwas gegen den gravierenden Tanz-Nachwuchs-Mangel zu tun. Die
jahrzehntelange Vernachlässigung der Tanzförderung habe auch zur Folge,
dass es kaum Orte und keine Zuschauer für diese Kunst gebe.
„Standardtanz und Ballett geht zwar immer, aber zeitgenössischer Tanz, da
erlebe ich in Schleswig-Holstein null Resonanz“, sagt Kautter. Es müsste
also auch eine Grundausbildung stattfinden, um potenzielle Besucher
langfristig zu interessieren. Weswegen Nachgespräche, Stückeinführungen,
Warm-ups, tanztheoretische Vorträge oder Workshops vertiefende Einblicke in
die Kontexte dieser Kunstform geben sollen. Für einen Praxis-Einblick sind
Showcases konzeptioniert.
Leerstehende Ladenlokale in Flensburg und Bad Oldesloe sowie ein
öffentlicher Platz in Hamburg sollen Produktions- und Aufführungsort von
neu entstehenden Kurzstücken werden und Zufallsbegegnungen vorbeibummelnder
Passanten mit dem Tanz ermöglichen. Was die hansestädtischen Künstler*innen
davon haben? „Sie kommen mal raus aus der Hamburg-Bubble und ihrer
Metropolen-Perspektive, können den Schritt nach draußen in die Provinz
wagen und eine Arbeit mal ganz nah an einem Tanz-unerfahrenen Publikum
entwickeln“, so Steffel.
## Zukunftsvivion moderner Tanzabend
Drei bereits bestehende Choreographien werden zudem Covid-19-kompatibel
wiederaufgenommen und mit Gastspielförderung an neu für den Tanz gewonnenen
Spielorten in Schleswig-Holstein gezeigt. Das KuB in Bad Oldesloe und die
Theaterwerkstatt Pilkentafel in Flensburg stehen schon bereit, heißt es.
„Es soll aber ein richtiges Tour-Netzwerk in Schleswig-Holstein für
Tanzschaffende beider Bundesländer aufgebaut werden“, betont Steffel. „Wenn
wir einige Städte finden, die zumindest zweimal im Jahr einen modernen
Tanzabend anbieten, das wäre ja schon mal was“, so Kautters Zukunftsvision.
Ein Problem der „tanz.nord“-Förderung: Das Geld muss bis 31. Oktober 2021
ausgeben sein. Wenn Corona noch länger eine Kulturverbotspolitik zur Folge
hat, wird es schwer, alle geplanten 40 Veranstaltungen auch umzusetzen.
Bisher konnte nur eine Zoom-Konferenz als Informationsveranstaltung
realisiert werden. Ende Januar begegnen sich online je acht Tanzschaffende
der beiden Bundesländer zu einem Arbeits- und Vernetzungstreffen. Gehofft
wird, im März mit Proben beginnen zu dürfen, sodass im Sommer neben dem
großen Musik- auch ein kleines Schleswig-Holstein Tanz-Festival an diversen
Orten stattfinden könnte.
13 Jan 2021
## AUTOREN
Jens Fischer
## TAGS
Zeitgenössischer Tanz
Tanz
Hamburg
Schleswig-Holstein
Kulturförderung
Zeitgenössischer Tanz
Zeitgenössischer Tanz
## ARTIKEL ZUM THEMA
Osnabrücker Tanzstück „Zeit“: Fesselnde Dichte
Choreografin Marguerite Donlon beschäftigt sich als neue Direktorin der
Osnabrücker Dance Company mit dem Phänomen Zeit. Es ist ein furioser
Einstand.
Bremen und Hannover gründen Tanzensemble: Recherche am eigenen Körper
Bremen und Hannover gründen mit „Tanzraum Nord“ ein gemeinsames
Tanzensemble. Aufführungen soll es auch in anderen Städten geben.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.