Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Fünfter toter Obdachloser in Hamburg: Mit den Kräften am Ende
> Am Freitag starb wieder ein Obdachloser auf der Straße. Der Druck auf die
> Stadt, die Menschen einzeln unterzubringen, wächst.
Bild: Haben Angst vor Infektionen in den Notunterkünften: Obdachlose in Hamburg
Hamburg taz | Ein weiterer toter Obdachloser: Nachdem ab Silvester
innerhalb von fünf Tagen vier Männer auf den Straßen Hamburgs gestorben
waren, fand ein Passant am Freitagvormittag auf der Reeperbahn einen
weiteren regungslos liegenden Obdachlosen. Ein Reanimationsversuch blieb
erfolglos.
Die Häufung der Todesfälle sorgt vielerorts für Entsetzen.
Straßensozialarbeiter:innen mahnen, dass [1][immer mehr Obdachlose
gegenwärtig mit ihren Kräften am Ende sind] – und befürchten ein Anhalten
der hohen Todeszahlen, wenn die Stadt nicht eingreift.
Zwar sind die Todesursachen in allen Fällen noch nicht endgültig geklärt,
allerdings geht die Polizei in keinem der Fälle von Fremdverschulden aus.
Obdachlosenunterstützer:innen sehen die derzeitige Häufung von Todesfällen
als Folge der widrigen Umstände für Obdachlose in der Stadt.
Die Todesfälle im Einzelnen: [2][An Silvester] war ein vermutlich
48-Jähriger, der sich mit weiteren Obdachlosen oberhalb der Landungsbrücken
befand, mittags nicht mehr ansprechbar. Die anderen Obdachlosen alarmierten
die Polizei, doch die ankommenden Sanitäter:innen konnten nur noch seinen
Tod feststellen.
## Der nächste Tote auf der Reeperbahn
Tags darauf entdeckte ein Passant einen auf dem Boden liegenden Obdachlosen
am Schanzenpark. Da er auf ein Ansprechen nicht mehr reagierte, rief der
Passant den Notarzt. Auch dort konnten die Sanitäter:innen nur noch den Tod
des 59-Jährigen feststellen.
Am 2. Januar nahm ein Anwohner auf dem Hauptfriedhof Altona einen
Feuerschein wahr. Die Polizei vermutet, dass ein 65-jähriger Obdachloser in
seinem Zelt einen Gaskocher – zum Kochen oder zum Aufwärmen – benutzte und
das Zelt und seine Kleidung dabei Feuer fingen. Der Mann konnte sich noch
aus dem Zelt retten, starb aber noch auf dem Friedhof. „Er ist vermutlich
den Verbrennungen erlegen“, sagt Polizeisprecher Florian Abbenseth.
Am frühen Montagmorgen fand ein Anwohner einen Obdachlosen in Altona unter
dem Vorbau eines Hauses liegen. Auch er war nicht mehr ansprechbar, auch
hier konnten die Sanitäter:innen nur noch den Tod des 45-Jährigen
feststellen.
Am Freitagvormittag gegen elf Uhr versuchten von einem Passanten
herbeigerufenen Polizist:innen erfolglos, einen Obdachlosen zu reanimieren.
Er lag regungslos auf der Reeperbahn, teilt die Polizei mit.
## Pandemie beschränkt Hilfsprogramme
Schon seit dem Spätsommer ist laut Stephan Karrenbauer, Sozialarbeiter beim
Obdachlosenprojekt Hinz & Kunzt, die Verelendung vieler Obdachloser auf den
Straßen zu sehen gewesen. Das Sterben habe unmittelbar mit der Pandemie zu
tun: Viele Einrichtungen konnten seither nicht mehr ihr volles
Hilfsprogramm anbieten; Obdachlose seien auf sich allein gestellt.
„Die Akkus sind bei vielen jetzt komplett leer“, sagt Karrenbauer. Johan
Graßhoff, Sozialarbeiter bei der Diakonie, bestätigt das. Die Pandemie habe
die Lage immer dramatischer werden lassen. „Viele resignieren“, sagt
Graßhoff.
Trotz des [3][seit Anfang November laufenden Winternotprogramms] blieben
Karrenbauer zufolge tagsüber wie nachts weiter vergleichsweise viele
Obdachlose draußen. „In den Massenunterkünften haben viele Angst vor einer
Infektion“, sagt Graßhoff. Die Sozialbehörde betont allerdings seit dem
Beginn des Programms, dass eine Infektion nicht mehr als anderswo zu
befürchten sei.
„Wir streben eine lockere Belegung in Zwei- und Dreibettzimmern an“,
betonte Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) zum Start des Programms. Es
gebe „ausreichend Platz“ für obdachlose Menschen. Ein „niedrigschwelliges
Angebot vor nächtlicher Erfrierung“, so schreibt es die Sozialbehörde auf
ihrer Homepage, sei damit gegeben.
Doch nach Ansicht von Graßhoff und Karrenbauer brauchen Obdachlose, gerade
angesichts zurückliegender anstrengender Monate, mehr Ruhe. „In einer
Massenunterkunft sind viele Menschen und es ist laut – da kann niemand zur
Ruhe kommen“, gibt Graßhoff zu bedenken.
## Keine Reaktion der Sozialbehörde
Immerhin rund 120 Obdachlose kommen derzeit in Hotelzimmern unter. Das von
mehreren Vereinen und Organisationen initiierte Projekt „Hotels for
Homeless“ hat mithilfe von Spenden die Hotelzimmer angemietet. Bereits im
Frühjahr, während der ersten Welle, ermöglichten Spenden befristete
Übernachtungen für Dutzende Obdachlose. „Wir haben mit den angemieteten
Hotelzimmern nun aber unsere Kapazitätsgrenzen erreicht“, sagt Karrenbauer.
Karrenbauer und Graßhoff unterstützen eine [4][Forderung der
Linksfraktion]: „Der Senat muss noch in dieser Woche damit beginnen, erste
Hotelzimmer für die Betroffenen zur Verfügung zu stellen“, fordert deren
Sprecherin Stephanie Rose.
Auch die CDU-Fraktion hatte das in den vergangenen Monaten gefordert. „Ich
fürchte andernfalls, dass das nicht die letzten Toten diesen Winter gewesen
sein werden“, sagt Karrenbauer. Im vergangenen Winter waren mindestens neun
Obdachlose auf der Straße verstorben.
Die Sozialbehörde reagierte, auch auf Nachfrage der taz, bislang nicht auf
diese Forderung.
11 Jan 2021
## LINKS
[1] /Junge-Obdachlose-in-Hamburg/!5735063
[2] https://www.hinzundkunzt.de/weitere-obdachlose-in-hamburg-gestorben/
[3] /Vorsitzende-ueber-Winternotprogramm/!5729296
[4] /Hotelzimmer-fuer-Obdachlose-gefordert/!5722360
## AUTOREN
André Zuschlag
## TAGS
Sozialbehörde Hamburg
Hinz&Kunzt
Hamburg
Die Linke Hamburg
Obdachlosigkeit
Winternotprogramm
Obdachlosigkeit in Hamburg
Sozialbehörde Hamburg
## ARTIKEL ZUM THEMA
Vorsitzende über Winternotprogramm: „Wir erwarten keinen Dank“
Aline Zieher hat als Vorsitzende des Fördervereins Winternotprogramm die
Grenzen ihrer Hilfsmöglichkeiten erfahren. Trotzdem macht sie weiter.
Obdachlose in der Corona-Krise: Ein Schutzraum für jeden
Damit Menschen jetzt nicht auf der Straße schlafen, sammeln Hamburger Geld
für Hotels. In Hannover gibt es Spenden schon, aber die Stadt ziert sich.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.