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# taz.de -- Streit um Bürgschaften für Syrer*innen: Hamburg stellt sich stur
> In vielen Bundesländern sehen die Behörden davon ab, Geld von
> Bürger*innen zu fordern, die für Syrer*innen bürgten. Hamburg hingegen
> hält daran fest.
Bild: Eine Bürgschaft kann Leben retten, weil eine Einreise per Flugzeug damit…
Hamburg taz | Vielen Syrer*innen haben die Landesaufnahmeprogramme
wahrscheinlich das Leben gerettet. Über sogenannte
Verpflichtungserklärungen sicherten im Jahr 2015 und in den Jahren davor
und danach Zehntausende Privatpersonen und Institutionen zu, für den
Lebensunterhalt der Geflüchteten in Deutschland aufzukommen.
Und zwar so lange, bis diese hier einen Asylstatus und damit ein Recht auf
Sozialleistungen in Deutschland zugesprochen bekamen. Auf diese Weise
konnten Syrer*innen Familienangehörige per Flugzeug nachholen, statt sie
dem Todestrip über das Mittelmeer auszusetzen.
Viele der Bürg*innen [1][mussten sich danach allerdings vor Gericht mit den
Sozialämtern] auseinandersetzen. Der Streitpunkt ist bei allen betroffenen
Bürg*innen die Frage, wie lange ihre finanzielle Verpflichtung eigentlich
gilt. Der entsprechende Paragraf im Aufenthaltsgesetz beantwortete diese
Frage damals nicht.
Beim Unterschreiben gingen die Bürg*innen davon aus, dass ihre
Verpflichtung enden würde, sobald die Geflüchteten anerkannt und damit
sozialleistungsberechtigt würden. Vor Gericht bekamen sie damit zum Teil
Recht. In Hamburg ist dazu bisher noch nichts entschieden worden. Der erste
Fall wird am Montag vor dem Verwaltungsgericht verhandelt.
## Nach fünf Monaten kam der erste Zahlungsbescheid
Michael N. (Name geändert), der am Montag als Kläger gegen die Stadt
Hamburg vor Gericht steht, unterstützte zusammen mit einem Freundeskreis
die Familie von Fathi Mustafa. Er konnte daher seine Eltern, seine beiden
Brüder und seine Oma auf legalem Weg nach Deutschland nachholen. Michael N.
bürgte für Mustafas Oma. Im Oktober 2015 unterschrieb er die Verpflichtung,
im Januar 2016 landete die Syrerin in Hamburg. „Es war eine gute
Möglichkeit zu helfen“, sagt N.
Ein Jahr nach ihrer Ankunft bekam Mustafas Großmutter den subsidären
Schutzstatus und damit einen Anspruch auf Grundsicherung zugesprochen. Fünf
Monate später flatterte der erste Zahlungsbescheid bei N. ins Haus. Er
legte Widerspruch ein und vereinbarte mit der Rechtsabteilung der Behörde,
die Zahlung zu stunden, bis das Gericht darüber entschieden hat. Für ihn
geht es um 14.760 Euro.
Mittlerweile hat die Gesetzgeberin den Paragrafen im Aufenthaltsgesetz
geändert, seit August 2016 heißt es dort explizit, dass die finanzielle
Verpflichtung nicht mit einem positiven Asylbescheid endet, sondern künftig
für fünf Jahre gilt. Vor diesem Zeitpunkt abgeschlossene Bürgschaften, wie
die von N., befristete sie rückwirkend auf drei Jahre. [2][Das
Bundesverwaltungsgericht bestätigte den Anspruch der Jobcenter,] bereits
ausgezahlte Gelder von den Bürgen zurückzufordern.
Aber die Oberverwaltungsgerichte der Länder fanden trotzdem Lösungen, die
Bürg*innen nicht im Regen stehen zu lassen, wie es unter anderem auch der
niedersächsische Innenminister [3][Boris Pistorius (SPD) gefordert hatte].
Letztlich stellt sich in jedem einzelnen Fall die Frage, von welchem
Gültigkeitszeitraum eine objektive Beobachterin zu dem Zeitpunkt ausgehen
musste, zu dem ein Bürge oder eine Bürgin die Verpflichtung unterschreibt.
## Der Richter will Michael N. Recht geben
Laut der Anwältin Cornelia Ganten-Lange, die Michael N. bei der Verhandlung
am Montag vertritt, stellte der zuständige Verwaltungsrichter bereits in
Aussicht, der Einschätzung des Klägers zu folgen. Das bedeutet, dass
Michael N. wohl Recht bekommen wird. Ganten-Lange versteht daher nicht,
warum das Amt daraufhin trotzdem nicht von der Forderung absah, sondern es
auf die Verhandlung ankommen lässt. Vor allem auch deshalb, weil
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) im Januar 2019 [4][die Jobcenter
anwies, von den Forderungen gegenüber den Bürg*innen abzusehen].
Der Fall von N. liegt allerdings noch etwas anders, weil hier das
Grundsicherungsamt des Hamburger Bezirks Altona zuständig ist. Trotzdem:
„Auf Bundesebene wurde ein politischer Strich unter die Forderungen
gezogen“, sagt Anwältin Ganten-Lange. In Schleswig-Holstein etwa sehen die
Behörden von den Forderungen ab. In Niedersachsen entschied das
Oberverwaltungsgericht Lüneburg zugunsten der Bürg*innen, [5][andere
Verwaltungsgerichte folgten dem Urteilsspruch], obwohl er nicht bindend
ist. „Nur Hamburg stellt sich quer“, sagt Ganten-Lange. Das Bezirksamt
Altona äußerte sich am Donnerstag nicht zu dem laufenden Verfahren.
Für Fathi Mustafa ist es nicht nachzuvollziehen, dass die Bürg*innen, die
ermöglichten, dass seine Familie auf sicherem Wege nach Deutschland kommen
konnte, nun vor Gericht ziehen müssen. „Es war doch alles legal“, sagt
Mustafa. Er findet den Streit auch politisch falsch. „Diese Menschen haben
Leben gerettet, sie verdienen das nicht. Sie müssten vielmehr als Helden
anerkannt werden“, fordert er.
Für Michael N. ist das Hin und Her mit der Behörde zwar nervig, aber nicht
überraschend. „Der Staat ist nach der Menschenrechtskonvention und der
europäischen Gesetzeslage verpflichtet, Asyl zu gewähren, aber er wälzt die
Verantwortung auf die Bürger ab“, kritisiert er. Das passe in das große
Gesamtbild, wie in Deutschland mit Asylrechten umgegangen werde.
7 Jan 2021
## LINKS
[1] /Fluechtlings-Buergen-zur-Kasse-gebeten/!5563865
[2] https://www.bverwg.de/260117U1C10.16.0
[3] /Jobcenter-wollen-Geld-von-Buergen/!5483983
[4] /Forderungen-an-Fluechtlingsbuergen/!5565413
[5] https://www.haz.de/Nachrichten/Politik/Niedersachsen/Oberverwaltungsgericht…
## AUTOREN
Katharina Schipkowski
## TAGS
Asylrecht
Syrer
Integration
Schwerpunkt Flucht
Zehn Jahre Arabischer Frühling
Schwerpunkt Flucht
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