# taz.de -- Lernen vom Biber: Besser nagen, als angenagt werden | |
> Der Biber ist cool, denn er nagt an der Welt. Menschen müssen nicht | |
> bewundert, aber bemerkt werden. | |
Bild: Biber als Vorbild – besser an einem Baum, als an sich selbst zu nagen | |
Meine liebsten Beschäftigungen der vergangenen zwei Wochen waren Kochen, | |
Rummikub spielen und Joggen. Möglicherweise waren es sogar meine einzigen | |
Beschäftigungen, abgesehen von Arbeiten und Einkaufen. | |
Kochen mag ich, weil Essen zubereiten und Essen essen mich [1][glücklich | |
macht]. Außerdem hab ich während des Frühjahrs-Shutdowns gelesen, dass die | |
haptische Erfahrung des Lebensmittelschnippelns sich positiv auf das | |
menschliche Gehirn auswirkt und Glücksstoffe freisetzen kann – besonders, | |
wenn Berührungen von anderen Menschen gerade zu kurz kommen. | |
Rummikub mag ich, obwohl es ein Gesellschaftsspiel ist. Es geht um Farben | |
und Zahlen und Reihen und Gruppen, aber am wichtigsten ist mir das Klacken | |
der naturweiß-glänzenden Urea(!)-Steine, wenn man sie beim Mischen über den | |
Tisch verteilt. Und dann ist da noch Joggen. Joggen ist ein Garant für | |
bessere Laune, bei mir meistens erst hinterher, seltener währenddessen – | |
eigentlich. Neuerdings freue ich mich sogar schon vor dem Joggen aufs | |
Joggen, und das liegt nicht so sehr am Sport, sondern an einem Biber. | |
Vor zwei Wochen habe ich bei einer sonst ereignislosen Laufrunde zum ersten | |
Mal seine Spuren bemerkt. Unten am Ufer, an einem fast schüchtern | |
angenagten Baum. Dann wurden die Spuren täglich mutiger und mehr. Für mich | |
als Stadtkind eine totale Sensation – umso mehr, als ich gelernt habe, dass | |
[2][Otter] sich in Flussbetten einen Glücksstein aussuchen, den sie ein | |
Leben lang in einer kleinen körpereigenen Tasche aufbewahren. Und weil ich | |
ja ein Stadtkind bin, sind Biber für mich etwas größere, holznagende Otter. | |
Jedenfalls sind Biber cool. | |
## Biber nimmt Dinge in die Hand | |
Besonders der an meiner Laufstrecke. Ich nehme an, dass es sich um einen | |
einzelnen handelt, weil er sich vermutlich auch an Kontaktbeschränkungen | |
halten muss. So wie Menschen ist der Biber außerdem zu einem Leben ohne | |
Winterschlaf verdammt. Er muss also auch in der dunklen Jahreszeit 24/7 | |
weitermachen. Aber anders als wir passiven Menschen nimmt der Biber die | |
Dinge selbst in die Hand: Er nagt an der Welt und lässt nicht die Welt an | |
sich nagen. | |
Beim Joggen denke ich, dass an der Welt zu nagen gar nicht unbedingt | |
schlecht ist. Vielleicht könnten wir das vom Biber lernen: Nicht nur | |
zuzusehen, wie sich die schweren Dinge im eigenen Körper ausbreiten, | |
sondern sich auch mal selbst in die Welt hineinzuschreiben. Teenager machen | |
das, wenn sie ihre Initialen mit einem Schlüssel in die aufgeweichte | |
Sperrholzplatte einer Bushaltestelle ritzen. | |
## Menschen müssen bemerkt werden | |
Andere sprühen ein „ich war hier“ an blanke Fassaden. Oder legen einen | |
Garten an. Alles davon ist irgendwie richtig und deutlich anständiger als | |
die Geste machtversessener Männer, die sich ihre eigenen [3][Denkmäler | |
errichten]. Menschen müssen überhaupt nicht bewundert werden, aber bemerkt, | |
denke ich. Erst recht, wenn gerade die Welt an ihnen nagt. | |
22 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.rtl.de/cms/selbstversuch-kann-gesundes-essen-gluecklich-machen-… | |
[2] /Die-Wahrheit/!5720626 | |
[3] /Kultursenator-ueber-Bismarck-Denkmal/!5725542 | |
## AUTOREN | |
Lin Hierse | |
## TAGS | |
taz.gazete | |
Kolumne Poetical Correctness | |
Biber | |
Kolumne Poetical Correctness | |
Kolumne Poetical Correctness | |
Kolumne Poetical Correctness | |
Kolumne Poetical Correctness | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Diskurse in der Krise: Wege aus der Gelatine | |
Die soziale, die ökologische, die pandemische, die diskursive Krise – alle | |
brauchen eine neue Ehrlichkeit. Denn die Sprache hat sich abgenutzt. | |
Zum Ende des Jahres: Wie geht gemeinsames Nachdenken? | |
Es gibt Orte, vielleicht auch Zeiten, in denen Träume es besonders schwer | |
haben, weil die Realität den Menschen bereits sehr viel abverlangt. | |
Nach rassistischem Attentat in Hanau: Die Routine | |
Für viele war es nur ein weiterer Skandal. Unsere Autorin denkt seit dem | |
rassistischen Attentat in Hanau an jedem 19. des Monats an die Opfer. | |
Hoffnung als politisches Prinzip: Euphorie muss systemrelevant sein | |
Beim Anprangern von Missständen bleibt Freude oft auf der Strecke. Doch die | |
Bilder nach der USA-Wahl zeigen, wie wichtig sie auch politisch ist. |