# taz.de -- AKW Saporischja soll wieder ans Netz: Risikofall Reaktor 5 | |
> Mit europäischer Unterstützung wird das ukrainische AKW Saporischja | |
> modernisiert. Doch es droht eine Katastrophe. | |
Bild: Die sechs Reaktoren des AKW Saporischja: Vor allem Reaktor 5 bereitet Umw… | |
Kiew taz | Pünktlich zum 1. Januar soll Reaktor 5 des größten AKW Europas | |
wieder ans Netz – zumindest wenn die ukrainische Regulierungsbehörde am 24. | |
Dezember ihr finales Okay gibt. Zum Jahreswechsel wird Reaktor 5 dann genau | |
260 Tage vom Netz getrennt gewesen sein. Hauptprobleme bei den laufenden | |
Reparaturen am AKW Saporischja sind die Reservedieselgeneratoren und | |
fehlende Ersatzteile. Und so kämpfen ukrainische Umweltschützer gegen einen | |
Weiterbetrieb des Reaktors. | |
Anfang Dezember, so berichtet die Atomexpertin Ilona Sajez auf dem | |
ukrainischen Portal [1][petrimazepa.com], seien im Reaktor 59 vom | |
„komplexen Programm zur Erhöhung der Sicherheit“ vorgesehene Maßnahmen | |
umgesetzt worden. 35 jedoch nicht! Obwohl die Sicherheitsmaßnahmen für das | |
AKW Saporischja nicht komplett durchgeführt worden sind, üben der Konzern | |
Energoatom und das Amt des ukrainischen Präsidenten massiven Druck auf die | |
Regulierungsbehörde aus, die Wiederaufnahme von Reaktor 5 zügig umzusetzen, | |
erzählt Sajez. | |
Sajez weiß, wovon sie spricht. Noch vor wenigen Jahren hatte sie als | |
Mitarbeiterin der Presseabteilung von [2][Energoatom] Journalisten erklärt, | |
wie sicher doch die Atomenergie sei. Wie wichtig Dieselgeneratoren in AKWs | |
sind, hat die Katastrophe in Fukushima gezeigt. Dort hätten die | |
Dieselgeneratoren die Kühlung der Atomreaktoren aufrechterhalten müssen. | |
Doch der Tsunami hatte sie zerstört, weshalb die Reaktorblöcke überhitzten | |
– und es zur Kernschmelze kam. | |
Die Modernisierungsmaßnahmen in ukrainischen Atomkraftwerken werden auch | |
mit europäischem Geld finanziert. Die [3][Europäische Bank für Wiederaufbau | |
und Entwicklung (EBRD)] wie auch Euratom haben einen Kredit von 600 | |
Millionen Euro gegeben. „Das Programm zur Erhöhung der Sicherheit der | |
ukrainischen AKWs sollte eigentlich 2020 abgeschlossen sein. Nun hat man | |
die Umsetzung auf 2023 hinausgeschoben“, sagt Oleg Savitsky, | |
Vorstandsmitglied der ukrainischen Umweltorganisation Ökodia, gegenüber der | |
taz. | |
## Problem Dieselgeneratoren | |
Im Rahmen dieses Programms sollten auch alle 20 Dieselgeneratoren vom Typ | |
ASD-5600 im AKW Saporischja modernisiert werden. „Doch die Modernisierung | |
dieser Dieselgeneratoren wurde nicht gemacht“, warnt Savitsky. „Wir wissen | |
nicht, in welchem Zustand diese 20 Dieselgeneratoren sind. Was wir jedoch | |
wissen, ist, dass bei keinem dieser Generatoren die elektronischen | |
Steuerungssysteme modernisiert wurden. Es ist wirklich ein großes Problem, | |
dass EBRD und Euratom Geld an den korrupten Konzern Energoatom gegeben | |
haben, aber die Verwendung dieser Gelder nicht ordentlich kontrollieren. | |
Die Sicherheit des AKW Saporischje ist derzeit ernsthaft gefährdet.“ | |
Bei einer Anhörung am 17. Dezember hatten Vertreter der Atomwirtschaft | |
zugesagt, dass man die Dieselgeneratoren reparieren werde und man für die | |
Reparatur von einem der Generatoren bereits eine Ausschreibung | |
fertiggestellt habe. „Das bedeutet aber, dass man bis zum 1. Januar noch | |
keinen funktionsfähigen Dieselgenerator in Block 5 haben wird“, meint | |
Savitsky. | |
Benötigt werden die Dieselgeneratoren nur bei Stromausfall. Das scheint ein | |
hypothetischer Fall zu sein, hatte es doch in der Ukraine noch nie einen | |
landesweiten Stromausfall gegeben. Savitsky ist da allerdings nicht so | |
optimistisch. „Am 27. November sind drei Blöcke des Kohlekraftwerks | |
Burschtyn gleichzeitig ausgefallen. Nur durch eine kurzfristige Lieferung | |
von Strom durch den ungarischen Netzbetreiber Mavir konnte verhindert | |
werden, dass das Netz instabil wurde“, berichtet Savitsky. | |
## Gefahr eines Stromausfalls | |
Schon am 17. November war das gesamte Kraftwerk Dobrotwir (Baujahr 1956) | |
ausgefallen. Die Vorfälle vom 17. und 27. November sollten der Ukraine eine | |
Warnung sein, so Savitsky. Schließlich seien die meisten Kohlekraftwerke | |
des Landes mit ihren mehr als 60 Jahren Laufzeit sehr veraltet. | |
„Angenommen, es fallen, wie in Burschtyn und Dobrotwir geschehen, mehrere | |
Kohlekraftwerke gleichzeitig aus und Nachbarstaaten wie Ungarn, Belarus | |
oder Russland speisen nicht kurzfristig Strom ins ukrainische Netz ein, | |
kann es zu einer landesweiten Instabilität des Netzes kommen.“ | |
„Sobald die Netzfrequenz unter 49,8 Hertz fällt, werden Kraftwerke vom Netz | |
gehen. Dies wiederum kann einen landesweiten Blackout auslösen“, erklärt | |
Savitsky. Und genau in einer solchen Situation hänge die Existenz der | |
Atomkraftwerke von gut funktionierenden Dieselgeneratoren ab. Im | |
schlimmsten Fall könnten bei einem großen Blackout und defekten | |
Dieselgeneratoren mehrere Reaktoren fast gleichzeitig havarieren. | |
## Die Energiewende wurde ausgebremst | |
„Es muss nicht ein Blackout sein, es braucht nur ein Mast einer | |
Hochspannungsleitung zerstört werden, und schon kann ein Atomkraftwerk ohne | |
Strom sein“, erklärt Olexi Pasyuk, Direktor der ukrainischen Sektion von | |
Bank Watch Network, gegenüber der taz. Im Januar, so Pasyuk, sei ein | |
Hochspannungsmast im Gebiet Saporischja umgekippt, weil jemand Metallteile | |
und große Schrauben entwendet hatte. | |
Die derzeit missliche Lage in der Energiepolitik sollte eigentlich Anlass | |
für eine Energiewende sein. Doch die Ukraine setzt weiter auf fossile | |
Energien und Atomkraft. „Noch bis 2019 waren erneuerbare Energien vom Staat | |
gefördert worden. Doch nun will das Energieministerium die Laufzeit der | |
Kohlekraftwerke um weitere sechs Jahre verlängern. Mit dieser Politik | |
werden die erneuerbaren Energien immer mehr vom ukrainischen Markt | |
verdrängt“, kritisiert Savitsky. Zur Erinnerung: Laut WHO hat die Ukraine | |
die höchste durch Luftverschmutzung bedingte Todes- und Krankheitsrate | |
Europas. | |
Hoffnung setzen ukrainische Umweltschützer denn auch vor allem in den | |
Westen. „Wenn schon Kredite für die Modernisierung von ukrainischen AKWs | |
gegeben werden, sollte der Westen auch kontrollieren, wie es mit den | |
Modernisierungsmaßnahmen aussieht“, meint Olexi Pasyuk. „Mit der | |
Modernisierung hat man die Laufzeitverlängerung der AKWs gerechtfertigt. | |
Nun aber stellt sich heraus, dass diese Modernisierungsmaßnahmen nur sehr | |
fragmentarisch umgesetzt werden.“ Langfristig erwarten Umweltschützer, dass | |
der Westen dem Land beim Übergang zu erneuerbaren Energien helfe. | |
In der Ukraine gibt es vier AKWs mit 15 Reaktoren. Sie produzieren mehr als | |
50 Prozent des verbrauchten Stroms. Bei 11 dieser Reaktoren wurde die | |
ursprünglich auf 30 Jahre angelegte Laufzeit bereits verlängert. Sollte | |
Reaktor 5 wieder ans Netz gehen, wäre es einer mehr. | |
23 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] http://www.petrimazepa.com | |
[2] https://www.energoatom.com.ua/en/ | |
[3] https://www.ebrd.com/de/home | |
## AUTOREN | |
Bernhard Clasen | |
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