Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Theater-Horrortrip ins rechte Milieu: Zombies mit Schmiss
> Unter den Bändern der Korporierten faulen die Geschwüre. Lydia Haiders
> „Am Ball“ am Wiener Schauspielhaus ist ein Horrortrip ins rechte Milieu.
Bild: Das Vogelwesen Clara Liepsch wirbt um Aufmerksamkeit
Ende Januar, noch in der dunklen Zeit des Jahres, öffnet sich in der Wiener
Hofburg für eine Nacht der Schlund zur Hölle. Zum österreichischen Sektor,
genauer gesagt, auch wenn die darin Festgesetzen behaupten, es sei der
deutsche. Die Rede ist vom Wiener Akademikerball, der mit dem akademischen
Leben so viel zu tun hat wie Globuli mit der Wissenschaft. Die alte Rechte,
die auch in Österreich den Kern der neuen bildet, ist nicht nur im Bierzelt
zu Hause, sondern feiert alljährlich auf dem feinen Parkett der imperialen
Residenz.
Die Subkultur der schlagenden Studenten- und Altherrenvereine ist in Wien
so sub gar nicht und noch immer ganz gut vernetzt im Staat, der nicht der
ihre ist. Zum „nationalen Lager“ zählte man in Österreich traditionell
jene, die traditionell gegen Österreich waren. Das Urteil der Geschichte
nicht zu akzeptieren verdammt dazu, durch eine Welt zu irren, die man nicht
versteht.
Die [1][Burschenschaft Hysteria] hatte im Jahr 2017 den Ball als
partycrasher heimgesucht, um unerlöster Männlichkeit die Rettung durchs
„goldene Matriarchat“ zu bringen, ohne sichtbaren Erfolg. Dieses Ereignis
bildet sicher den gedanklichen Rückraum für einen 2019 veröffentlichten
Text von Lydia Haider „Am Ball. Wider erbliche Schwachsinnigkeit“. „Am
Ball“ enthält im Gegensatz zum Standarddeutschen auch die Bedeutung von
„auf dem Ball“. Evy Schubert hat den Prosatext mit der Schauspielerin Clara
Liepsch solistisch ins Bild gesetzt bevor Theater daraus wurde,
zwangsläufig.
Flüchtige Bilder, unbetretene Bühnen
Die Pandemie kehrt im Theater auf eine recht erhellende Weise die
Verwertungslogik um. Der Film zum Stück zum Ball liefert das Merchandising
vor dem Kernprodukt. Das determiniert seine Haltung, formt seine Ästhetik.
Anpreisend und zugleich verbergend kreist die Kamera um das leere Zentrum
einer kommenden Aufführung. Die flüchtigen Bilder von unbetretenen Bühnen
und unhantierten Requisiten haben immer etwas Befremdliches und zugleich
Anziehendes. Theater, das noch nicht ist, scheint Mythen produzieren zu
wollen, wo es längst keine mehr gibt.
Über das Schweifen des Blicks, das sich in der Beobachtung verlieren
könnte, legen sich rigoros jene Aufmerksamkeitszyklen, die das Medium
strukturieren: Werbeblock, Außenaufnahme, somnambule Sequenz, ein
großformatiges Lächeln mit einer Spur Bescheid wissendem Zynismus und
weiter geht’s. Blutige Schnitzel werden geklopft. Ein schulterhoher
Pappmaché-Pimmel lässt männliche Überlegenheitsfantasien implodieren. Wer
über die Pfade konventioneller Online-Kartenbestellung den Zugangscode für
den Streamingkanal löst, den überrumpelt der Einbruch der
„Telegesellschaft“ ins Private.
„Mit dem Publikum telefonieren“
Bildschirmfüllend adressiert Clara Liepsch als schwarz gefiedertes
Vogelwesen die Betrachtenden, spricht, wirbt um Aufmerksamkeit, um
grundsätzliche Sympathie, um die stille Übereinkunft zwischen
Schauspielerin und dem/der jeweils einzelnen ZuschauerIn, jenes wienerische
„Eh-schon-Wissen“, das sich weitere Erörterungen lieber erspart. „Mit dem
Publikum telefonieren“ nennt man an Wiener Theatern die verbreitete
subkutane Kommunikation von der Bühne in den Zuschauerraum, die auch ohne
und gegebenenfalls gegen das funktioniert, was gerade gespielt wird. Im
Streaming radikalisiert sie sich vollends. Man wird als einzelne/r direkt
und persönlich im eigenen Territorium angerufen, kann aber nicht
zurückrufen.
Gemeinsam mit ihrer Co-Autorin Esther Straganz haut Lydia Haider in „Am
Ball“ der Rechten ihren Biologismus um die Ohren. Die Leugnung des
Sozialen, die alle Ursachen in den Genen sucht, kann selbst nur ein
ererbter Defekt sein. Das ist ziemlich einfach, aber reicht erst mal,
zumindest für den Atem eines Textes, der atemlos durch die Motive und
Gemeinplätze einer apokalyptischen Literatur eilt.
In sieben Räumen öffnen sich gleichsam sieben Siegel der feinen Leute und
des deutschnationales Grauens bis hin zur Gasentwicklung im siebten, dem
Raucherraum. Was die Geschichte widerlegt hat, fliegt nur noch als
Fleischfetzen durch die Prunksäle. Unter den bunten Bändern der
Korporierten faulen die Geschwüre. Die „Schmisse“ der Untoten platzen auf
wie stinkendes Selchfleisch.
Die Apokalypse war bekanntlich schon, so bleibt „Am Ball“ bei aller
Steigerungen eher flächige Kunde des vorhandenen Unheils. Es braucht nicht
mehr die Vision der finalen Katastrophe, wie sie Josef Haslinger in seinem
Roman „Opernball“ herbei halluziniert. Beide Szenarien teilen die Bedeutung
des Ballvergnügens als Metapher für die sündige, todgeweihte Welt. Barocke
Angstlust ergötzt sich an ihrem Untergang ebenso wie am blendenden Glanz.
„Am Ball“ ist „Eat the Rich“ und „Plötzlich Prinzessin“ zugleich.
17 Dec 2020
## LINKS
[1] /Kolumne-Knapp-ueberm-Boulevard/!5484671
## AUTOREN
Uwe Mattheiß
## TAGS
Wien
Theater
Nationalismus
Theater
Theater
Theater Berlin
Schwerpunkt Rechter Terror
Rechtspopulismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kabarettistisches Theater aus Graz: Schaurige Traditionen
„I am from Austria“ nennt sich ein neues Infotainment-Format am
Schauspielhaus Graz. In Folge 3 geht es um die FPÖ und Burschenschaften.
Premiere-Streaming im Burgtheater: Der Haifisch trägt Prothese
Bunt gewandete, neoliberale Milieustudie: Johan Simons inszeniert am Wiener
Burgtheater „Richard II.“ von William Shakespeare.
Thomas Ostermeier über geschlossene Bühnen: „Da fallen die Masken“
Die Perspektiven fehlen, geprobt wird trotzdem. Der Intendant der
Schaubühne Berlin erzählt über Theateralltag in der Coronapandemie.
Rechtsextreme in Österreich und Deutschland: Spur nach NRW
Die österreichische Polizei stellt ein Arsenal auf 70 Waffen und 100.000
Schuss Munition sicher. Die Spur führt zu einer rechten Miliz in
Deutschland.
Kolumne Knapp überm Boulevard: Sauhilde und Sprenghilde
„Hysteria“ ist eine echte hardcore Burschenschaft – nur halt links und
feministisch. Im einheitlichen Festgewand mit Schärpe und Kopfbedeckung.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.