# taz.de -- Drei Meinungen aus Sicht der Schulen: „Ich sehe das als Chance“ | |
> Lieber Präsenzunterricht oder Homeschooling? Oder im Wechselbetrieb | |
> beides? Die Lage ist kritisch. Wir haben in drei Schulen in Neukölln | |
> nachgefragt. | |
Bild: Ein alltägliches Bild überall in Berlin, hier am Eingang zu einer Grund… | |
Cordula Heckmann ist Schulleiterin der Rütli-Schule in Neukölln: | |
„Die Corona-Ampel zeigt für uns Dunkelorange. 65 Schüler*innen und 9 | |
Lehrer*innen sind gerade in Quarantäne, hinzu kommen die extrem hohen | |
Fallzahlen in Neukölln. Daher haben wir mit der Schulaufsicht eine | |
individuelle Lösung gefunden: Die Klassen sieben bis elf lernen seit zwei | |
Wochen in A- und B-Gruppen zu Hause und in der Schule. Präsenz- und | |
Distanzunterricht wechseln nicht wöchentlich, sondern täglich. So verlieren | |
wir den Kontakt zu den Schüler*innen nicht. | |
Der Lockdown im Frühling hat uns komplett überrumpelt. Jetzt fühlen meine | |
Koleg*innen und ich uns viel besser vorbereitet. Die Schüler*innen sind | |
nun bei der Plattform Lernraum Berlin angemeldet und wir Lehrer*innen in | |
der Lage, diese zu bespielen. Im Sommer haben wir hausinterne | |
Fortbildungen besucht: Wie richte ich einen Klassenraum auf der | |
Lernplattform ein? Wie stelle ich Material online? Wie organisiere ich | |
digitale Klassenarbeiten? Wie lade ich zu einer Videokonferenz ein? | |
Die Pandemie und die damit vorangetriebene Digitalisierung sehe ich als | |
Chance, Unterricht neu zu gestalten. Die neuen Tools eröffnen | |
Möglichkeiten, die wir auch nach Corona weiter nutzen können. Kinder, die | |
wegen einer Erkältung oder einer Magen-Darm-Grippe nicht in die Schule | |
kommen können, können von zu Hause über die Lernplattform verfolgen, was | |
ihre Klasse in Mathe oder Englisch Neues gelernt hat. Außerdem können | |
Lehrer*innen den Unterricht mithilfe des Hybridmodells individueller | |
gestalten, und Schüler*innen werden zu selbstorganisiertem Lernen motiviert | |
und befähigt.“ | |
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Astrid-Sabine Busse ist Leiterin der Grundschule in der Köllnischen Heide | |
in Neukölln und Vorsitzende des Interessenverbands Berliner Schulleitungen | |
(IBS): | |
„Grundschulen auf Hybridunterricht umzustellen wäre fatal. Der Lockdown im | |
Frühjahr war für unsere Schüler*innen eine Katastrophe. Besonders | |
diejenigen, die ohnehin Schwierigkeiten beim Lernen hatten, haben sich in | |
dieser Zeit noch mal verschlechtert. Viele der Kinder teilen sich ein | |
Zimmer mit ihren Geschwistern. Während des Lockdowns waren alle beieinander | |
– da ist es sogar in der Schule ruhiger. | |
Und selbst wenn alle Kinder einen ruhigen Arbeitsplatz und einen Laptop zu | |
Hause hätten: Man kann Grundschüler*innen nicht sechs Stunden lang per | |
Videokonferenz unterrichten. Sie können sich Inhalte noch nicht | |
eigenständig beibringen und sind daher auf ihre Eltern angewiesen. Doch | |
nicht alle Eltern können ihre Kinder bei Aufgaben unterstützen, zum | |
Beispiel weil sie arbeiten müssen oder ihnen das Wissen fehlt. | |
Gerade in den ersten Schuljahren ist der direkte Kontakt zwischen | |
Schüler*innen und Lehrer*innen essenziell und digital nicht zu ersetzen. | |
Das zeigt auch eine Lernstandserhebung, die wir nach den Sommerferien | |
durchgeführt haben. Bei den Kleinsten waren die Lücken am größten. Die | |
Zweitklässler*innen wiesen starke Defizite beim Lesen und Schreiben auf. Um | |
diese zu beheben, habe ich Honorarkräfte eingestellt, die den verpassten | |
Stoff nun mit den Kindern aufarbeiten. | |
Obwohl ich hoffe, dass wir niemals auf das Wechselmodell umstellen müssen, | |
sind wir vorbereitet. Die Klassen haben wir schon in A- und B-Gruppen | |
eingeteilt. Mit einem Tag Vorlauf könnten wir den Hybridunterricht | |
starten!“ | |
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Katrin S. ist Lehrerin an einer Sekundarschule in Neukölln und möchte zum | |
Schutz ihrer Schüler*innen anonym bleiben: | |
„Die Corona-Ampel zeigt Rot, daher fahren wir seit Montag das | |
Wechselmodell. Meine Schüler*innen sind 15 bis 16 Jahre alt und heilfroh | |
darüber. Sie hatten Angst, sich mit dem Virus anzustecken – zu Recht. | |
Derzeit sind 300 Schüler*innen in Quarantäne. Hybridunterricht ist in der | |
jetzigen Situation das Beste, was ich mir vorstellen kann. Trotzdem habe | |
ich Angst, wieder Kids zu verlieren – wie im Frühling während des ersten | |
Lockdowns. | |
Bei einigen ist der Tagesablauf damals ganz schön verrutscht. Manche haben | |
morgens um sechs noch Aufgaben abgeschickt, da sind sie gerade ins Bett | |
gegangen. Wenn ich dann schon wach war, habe ich mit ihnen per Whatsapp | |
geschrieben, um irgendwie Kontakt zu halten. Ein paar Schüler*innen haben | |
aber auch gar nichts abgegeben, da war ich schon froh, wenn wir ab und an | |
mal telefoniert haben. | |
Mein Vorschlag: diejenigen bevorzugt in Präsenz unterrichten, die im | |
Frühjahr schon Schwierigkeiten mit Homeschooling hatten. Zusätzlich | |
brauchen wir Hausaufgabenhilfen im Kiez, Anlaufstellen für Kinder, die | |
während des Homeschoolings Gewalt erfahren, und Sozialarbeiter*innen, die | |
Kids zu Hause besuchen oder mit ihnen spazieren gehen. Allen voran aber | |
brauchen wir besser ausgestattete Schulen. | |
An meiner Schule gibt es nicht mal WLAN. Deswegen kann ich die | |
Klassenhälfte, die zu Hause lernt, auch nicht per Video zuschalten. Diese | |
Jugendlichen müssen dann Aufgaben über die Lernplattform „itslearning“ | |
bearbeiten. Viele haben aber keine Laptops und so zerstörte Handy-Displays, | |
dass sie die Arbeitsblätter nicht richtig lesen können. Vom Senat hat meine | |
Klasse sechs Laptops bekommen – längst nicht genug für 20 Schüler*innen. | |
Daher gebe ich ihnen Kopien mit nach Hause, und das im 21. Jahrhundert!“ | |
28 Nov 2020 | |
## AUTOREN | |
Rieke Wiemann | |
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Michael Müller | |
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dafür in seiner Senatskanzlei und ist noch entspannt genug für Witzeleien. |