# taz.de -- HBO-Thrillerserie „Wasteland“: Das ganz normale Böse | |
> Wenn ein Dorf am Ende ist: Die Serie „Wasteland“ ist herausragend. Sie | |
> bietet das ganz große Drama um menschliche Niedertracht. | |
Bild: Suchen ihre Tochter: Hanka (Zuzana Stivinová) und ihr Exmann Karel (Jaro… | |
Es ist kein schönes Leben mehr im kleinen Ort Pustina (zu Deutsch „Wüste“) | |
im tschechisch-polnischen Grenzgebiet. Die Region ist von Arbeitslosigkeit | |
gebeutelt, Abhilfe scheint nur ein Großinvestor schaffen zu können, der den | |
örtlichen Braunkohletagebau [1][massiv ausbauen will.] Dafür soll das Dorf | |
weichen. | |
Den Bewohnern sind attraktive Entschädigungen für ihre Häuser angeboten | |
worden, und die meisten sind geneigt, das Angebot anzunehmen. | |
Bürgermeisterin Hanka Sikorová (Zuzana Stivínová) allerdings stemmt sich | |
gegen die Pläne. Die Stimmung im Ort ist gereizt. | |
Da beginnen Dinge zu geschehen, die die Politik vorübergehend in den | |
Hintergrund rücken lassen: Zunächst wird ein Esel, der zu Hankas | |
Kindergarten gehörte, grausam getötet. Kurz danach verschwindet Hankas | |
14-jährige Tochter Míša auf dem Weg von der Schule nach Hause. In Verdacht | |
gerät auch ihr Vater Karel (Jaroslav Dušek), ein ehemaliger Kunstlehrer mit | |
psychotischen Schüben, der seine Arbeit sowie den Kontakt zur Familie | |
verloren hat und in einer Datsche im Wald lebt. | |
Seine erste Szene zeigt ihn bei einem aggressiven Geschlechtsakt mit einer | |
Prostituierten. Später kann er sich an nichts erinnern. Aber Karel Sikora | |
ist nicht der einzige männliche Bewohner von Pustina mit einem | |
Kontrollproblem. Je genauer man die Personen von Folge zu Folge | |
kennenlernt, desto deutlicher wird, dass kaum jemand das ist, was er auf | |
den ersten Blick zu sein scheint. | |
Der unscheinbare Fahrer des Schulbusses etwa ist in Wirklichkeit ein | |
brutaler Schlägertyp, und der nette Freund von Klára (Eliška Křenková), der | |
Schwester der verschwundenen Míša, kocht heimlich Drogen. („Das tut hier | |
doch jeder“, rechtfertigt er sich lahm, als es irgendwann herauskommt.) | |
„Wird es jetzt immer so sein?“, fragt Klára ihre Mutter verzweifelt. „Da… | |
wir niemandem mehr trauen können?“ | |
## Wüstenähnliche Kulisse | |
Als zweiter großer Schauplatz neben dem Dorf fungiert ein [2][Heim für | |
Schwererziehbare,] das in einem heruntergekommenen Renaissance-Schlösschen | |
untergebracht ist. Das einst prachtvolle Gebäude, einsam auf einem Hügel | |
vor der wüstenähnlichen Kulisse des Braunkohletagebaus gelegen, gibt eine | |
grandiose visuelle Chiffre für die kulturpessimistische Grundierung des | |
Ganzen ab. | |
Von seinen jugendlichen, sämtlich männlichen Bewohnern sind manche hier, | |
weil ihre Eltern nicht mit ihnen fertig wurden, andere deshalb, weil sie zu | |
jung für den Knast sind. Bei vielen, darunter auch Filip, dem heimlichen | |
Ex-Freund von Míša, kann es beides sein. | |
Die Kriminalhandlung treibt das Geschehen voran, macht aus dem fesselnden | |
Achtteiler aber noch lange keinen „Krimi“ – und aus dem Kommissar keinen | |
Helden. Der Hauptmann, wie der Ermittler hier heißt, ist eine Nebenfigur, | |
ein uncharismatischer Durchschnittstyp, der seinen Job macht, und der | |
Pathologe ist ein bleicher Kellermolch in Badelatschen. Verbrechen machen | |
diese Leute traurig, Profilneurosen liegen ihnen fern. | |
## Niemand ist völlig schuldlos | |
Wahrscheinlich wissen sie längst, was auch wir spätestens nach dieser Serie | |
einsehen müssen: dass es oft wenig Sinn ergibt, zwischen guten und | |
schlechten Menschen zu unterscheiden, weil Menschen kaum jemals völlig | |
schuldlos sind. Sogar zum Mörder werden könnte ein „guter“ Mensch im | |
Affekt. (Aber das passiert hier zum Glück dann doch nicht. Dafür wird unter | |
anderem gezeigt, wie jemand gleichzeitig ein gewalttätiger Narziss und ein | |
Held sein kann.) | |
„Wasteland – Verlorenes Land“ bietet jedenfalls ganz großes Drama um die | |
ganz normale menschliche Selbstbezogenheit, die zu zerstörerischer | |
Niedertracht – und Schlimmerem – ausarten kann. Und dabei ist es auch noch | |
großartig anzusehen. Eine sorgfältige Ästhetik setzt Schauplätze und | |
Menschen bedeutungsvoll in Szene, oft aus einer distanzierten, gern auch | |
mal abseitigen Position der Kamera heraus, was die Bilder gleichzeitig | |
erhöht und dezent verfremdet. So lässt sich auch das Böse viel besser | |
aushalten. | |
6 Dec 2020 | |
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## AUTOREN | |
Katharina Granzin | |
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