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# taz.de -- Verschärfung von Coronamaßnahmen: Stille Nacht
> Der Lockdown light hat nicht die gewünschte Wirkung erbracht, Infektions-
> und Todeszahlen steigen. Bayern justiert nach, andere Länder könnten
> folgen.
Bild: Weihnachtsmarkt als Menschenrecht? In der Berliner Friedrichstraße stehe…
Wenn Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) in diesen Tagen zu
sehen ist, wirkt er meist sehr viel ernster als etwa sein bayerischer
Amtskollege Markus Söder (CSU). Nach den in der Vorwoche verschärften
Maskenregeln und der Limitierung privater Treffen auf maximal fünf
Teilnehmer tauchen online und auf öffentlichen Werbetafeln immer
[1][häufiger Appelle der sächsischen Regierung] an die Bevölkerung auf.
„Wir müssen handeln. Jetzt. Machen Sie bitte weiter mit. Es geht um uns
alle“, mahnt Kretschmer.
Zugleich räumt er ein: Die Novembermaßnahmen haben nicht zur erhofften
Eindämmung der zweiten Welle geführt. Und er schließt nicht mehr aus, dass
schon in den nächsten Tagen die Maßnahmen noch weiter verschärft werden
müssen.
Für Bayern hat Söder dies bereits am Sonntag getan. Das könnte von anderen
Bundesländern mit hohen Infektionszahlen – wie eben Sachsen – schon sehr
bald übernommen werden. Denn immer mehr wird klar: Der Anfang November in
Kraft getretene „Lockdown light“ hat seine Wirkung verfehlt.
Dabei konnte man noch vergangene Woche den Eindruck gewinnen, dass die
Maßnahmen zumindest ein bisschen wirken. Der exponentielle Anstieg, den es
den Oktober über gegeben hatte, wurde gestoppt. Und vier Wochen lang ging
die Zahl der täglich gemeldeten Neuinfektionen leicht zurück: Der
7-Tage-Mittelwert, der Mitte November mit rund 18.870 Fällen pro Tag seinen
bisherigen Höchstwert erreicht hatte, sank bis Mitte der vergangenen Woche
auf 17.700.
## Immer mehr Tote
Doch in den letzten Tagen hat sich [2][der Trend wieder gedreht] und ist
deutlich auf 18.540 gestiegen. Noch dramatischer ist die Entwicklung bei
den Todesfällen: Die Zahl der täglich gemeldeten Coronatoten steigt
permanent weiter an. Derzeit sind es im 7-Tage-Mittel 382 pro Tag – 25
Prozent mehr als vor einer Woche und jeden Tag fast sechs Mal so viele wie
zu Beginn des Lockdown light Anfang November.
Die Bundesregierung, die härtere Maßnahmen gefordert hatte, aber von den
Ländern ausgebremst worden war, sieht sich nun bestätigt. „Das ist weit
entfernt von der erhofften Trendwende“, sagte Regierungssprecher Steffen
Seibert am Montag. „Das füllt die Intensivstationen in einem Maße, das wir
nicht lange hinnehmen können.“
Und auch in den Ländern wächst die Erkenntnis, dass mehr passieren muss.
„Die Zahlen haben sich anders entwickelt, als es notwendig ist“, gibt nun
auch Sachsens Ministerpräsident Kretschmer zu.
Diese Aussage scheint für sein Bundesland eher untertrieben. Dort ist die
Zahl der Neuinfektionen in den letzten Wochen regelrecht explodiert. Die
Inzidenz lag mit 301 Fällen pro 100.000 Einwohner*innen in den letzten 7
Tagen zuletzt mehr als doppelt so hoch wie im Bundesschnitt.
## Ostdeutschland trifft es besonders
Deutliche Anstiege – wenn auch auf weitaus niedrigerem Niveau – gab es in
den letzten Wochen auch in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg. Und
auch Berlin und Hamburg verzeichneten nach einem zwischenzeitigen Rückgang
in den letzten Tagen wieder steigende Werte.
Über die Gründe, warum es anders als im Frühjahr und Sommer nun die
ostdeutschen Bundesländer besonders hart trifft, kann nur spekuliert
werden. Denn bei 70 bis 90 Prozent der Fälle kann die Infektionskette gar
nicht mehr nachverfolgt werden. Was aber schon auffällt: Die sächsischen
Rekord-Infektionszahlen werden in auffälliger Weise von Regionen
hochgetrieben, die für eine Häufung von Corona-Ignoranten und ihre
AfD-Sympathien bekannt sind.
„Die Ursachen sind vielfältig und nicht mehr vollständig nachvollziehbar“,
sagt auch die Thüringer Sozialministerin Heike Werner (Linke) von ihrem
Bundesland. Zugleich gingen auch in Thüringer Städten wie zuletzt am
Sonntag in Rudolstadt Hunderte sogenannte Querdenker gegen die
Pandemie-Auflagen auf die Straße – die meisten ohne Masken.
In Berlin, Köln und einigen anderen Städten tobt eine Debatte, ob der
Glühweinausschank vieler Restaurants und Bars sich zum Infektionstreiber
entwickelt hat. Als prominenter Kritiker tat sich SPD-Gesundheitsexperte
Karl Lauterbach hervor. Er berichtet, wie er in Köln Leute ohne Abstand und
Maske, aber mit Glühwein oder Bier gesehen hat. „Glühweinstände unterlaufen
unsere Kontaktbeschränkungen. Ich verstehe nicht, weshalb die Stadt Köln
das zulässt“, [3][schrieb er auf Twitter].
## Katastrophenstichwörter
Und Bayern, wo die Infektionszahlen von Beginn der Pandemie an stets mit am
höchsten waren? Um seiner Entschlossenheit im Kampf gegen das Virus
Nachdruck zu verleihen, hatte Ministerpräsident Markus Söder die
Kabinettssitzung um zwei Tage auf Sonntag vorverlegt und per Video eine
[4][Verschärfung der bisherigen Regeln] beschlossen. Am Dienstag soll der
Landtag sie absegnen, ab Mittwoch sollen sie gelten. Stichworte:
Katastrophenfall, Ausgangsbeschränkungen, Wechselunterricht,
Sylvesterpartyverbot.
Warum ausgerechnet Bayern schon wieder besonders hart betroffen ist, vermag
zwar auch der CSU-Chef nicht zu erklären, insgesamt erklärt er sich die
hohen Zahlen jedoch mit dem „Schlendrian“ der Bürger. Anders als im
Frühjahr gingen viele zu lax mit den Auflagen um. Offenbar um diese
Menschen aufzurütteln, bediente sich Söder einer besonders drastischen
Sprache: „Alle vier Minuten stirbt ein Mensch in Deutschland an Corona“,
wiederholte er mehrfach.
Konkret bedeuten die neuen Beschlüsse: Der sogenannte Teillockdown wird
beendet, der Katastrophenfall ausgerufen. Neue Ausgangsbeschränkungen sehen
vor, dass die eigene Wohnung nur noch verlassen werden darf, wenn triftige
Gründe vorlägen. Unter triftig versteht die Regierung aber beispielsweise
auch das vorweihnachtliche Shopping. Auch Treffen mit Personen eines
weiteren Hausstandes sind weiterhin erlaubt.
Die von Weihnachten bis zum Jahreswechsel vorgesehenen Lockerungen wurden
eingeschränkt, allerdings nicht komplett revidiert: Sie gelten nur noch vom
23. bis 26. Dezember. Silvesterpartys sind also nicht möglich.
Gottesdienstbesuche sind erlaubt, aber nur mit Maske und ohne Gesang.
Stille Nacht!
## Sie hat es doch gesagt!
Aus dem Umfeld von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist zu vernehmen, dass sie
Verschärfungen mit Ausgangsbeschränkungen wie in Bayern für „richtig und
notwendig“ hält. Ihr wäre schon im Oktober lieber gewesen, einen auf wenige
Wochen begrenzten, aber harten Lockdown zu setzen. Doch sie scheiterte
damit stets am Widerstand der Länderchefs.
Ob es noch vor Weihnachten zu einem weiteren Spitzengespräch zwischen Bund
und Länderregierungen kommen soll, wie es Lauterbach angesichts der
bundesweit steigenden Zahlen fordert? Die Kanzlerin stehe in ständigem
Austausch mit den Bundesländern, sagt Regierungssprecher Seibert. „Das kann
jederzeit zu einer Bund-Länder-Beratung auf Chefebene führen.“
7 Dec 2020
## LINKS
[1] https://www.coronavirus.sachsen.de/wir-gegen-corona-8251.html
[2] https://twitter.com/MKreutzfeldt/status/1335831491792818176?s=20
[3] https://twitter.com/Karl_Lauterbach/status/1335525192760778753?s=20
[4] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/corona-bayern-ruft-erneut-katast…
## AUTOREN
Michael Bartsch
Dominik Baur
Malte Kreutzfeldt
Felix Lee
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