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# taz.de -- Die Wahrheit: Adventskalender des Grauens
> Die Adventskalender von heute bieten nicht nur Bierdosen, Hautcreme und
> Sexspielzeug, sondern auch hutzelige Gesellen wie Ministerpräsidenten.
Früher war alles noch schön und klar und einfach: Es gab exakt einen Typ
von Adventskalendern, und hinter jedem Türchen klebte ein Stück der
gleichen Schokolade. Nur die verrückten Ökos mit ihrem
Konsumverweigerungstick bastelten sich ihre eigenen Kalender mit
Kleingeschenken in aus durchgescheuerten Socken genähten Minipaketen, die
sie in Kaufhäusern zum grob geschätzt dreißigfachen Wert des bösen
Konsum-Schoko-Kalenders zusammengekauft hatten.
Inzwischen haben wir uns längst an Adventskalender mit Bierdosen, Hautcreme
und Sexspielzeug gewöhnt. Aber die diesjährige Ausgabe ist wirklich ganz
besonders bescheuert: Hinter jedem Türchen springt ein hutzeliger Gesell
hervor, sie nennen ihn „Ministerpräsident“ oder „Gesundheitsminister“,…
erzählt eine kleine, wirre Coronageschichte.
Das Tolle ist: Ganz egal, wie sie lautet – am Ende sind wir dem Lockdown
unabwendbar wieder einen Tag nähergekommen. In gewisser Weise finde ich das
sehr beruhigend, es weckt vorweihnachtliche Kindheitserinnerungen, denn
damals schmeckte die Schokolade ja auch immer gleich, ganz egal, ob sie in
der tagesaktuellen Rentier-, Weihnachtsstern- oder Schneeflockenform
daherkam.
Die Kinder jedenfalls sind begeistert. Noch ehe sie an ihrem
Adventskalender mit spitzen Fingern aus den durchgescheuerten Socken die
liebevoll von uns verpackten Kleingeschenke pulen, stürzen sie morgens vor
den Fernseher, um sich im „Morgenmagazin“ zu vergewissern, dass die
nächsten Coronaferien auch wirklich kommen. 13 Mal werden wir noch wach /
heißa, dann ist Lockdown-Tag!
Es erfüllt sie mit später Genugtuung, dass sie dann auch bald endlich zu
Hause bleiben dürfen, während ich ja bereits wieder seit November wegen der
Schließung aller Bühnen und Kneipen abends nicht mehr zu Auftritten losmuss
und meine Frau längst schon wieder im Homeoffice sitzt. Nur die Kinder
müssen sich morgens noch durch Dunkelheit und Kälte bis zur Schule
durchschlagen, wo sie dann den Tag über eingemummelt in Decken und Schals
bei geöffnetem Fenster Filme angucken, die Vertretungslehrer ihnen zeigen,
weil regulärer Unterricht wegen Unterausstattung, Risikogruppenkahlschlag
und den jüngsten Anrufen vom Gesundheitsamt schon lange nicht mehr
stattfindet.
Dafür haben sie in der Schule jetzt einen ganz besonderen Adventskalender:
Jeden Morgen, wenn die Kinder das Türchen zum Klassenzimmer aufmachen, ist
dahinter wieder ein Mitschüler verschwunden. Der musste in Quarantäne, weil
er Symptome zeigt oder die Mutter positiv getestet wurde. Es ist ein
bisschen wie in dem alten Kinderlied mit den zehn kleinen N-Wörtlein. Oder
wie in „Jurassic Park 2“, wenn die Gruppe sich aufmacht, die Insel zu
überqueren, um zum Hubschrauberlandeplatz zu gelangen. Mal sehen, wer am
Ende noch übrigbleibt.
Immerhin, die Hälfte haben wir schon geschafft. Wir bleiben optimistisch.
11 Dec 2020
## AUTOREN
Heiko Werning
## TAGS
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Schwerpunkt Coronavirus
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