# taz.de -- Debütalbum von Britin Beabadoobee: Headbanging fürs Schlafzimmer | |
> Corona verwirft Pop-Distinktionsgrenzen – zumindest bei der charmanten | |
> britischen Neoslackerin Beabadoobee und ihrem Debütalbum „Fake it | |
> Flowers“. | |
Bild: Geht auch mal vor die Tür: Beabadoobee alias Bea Kristi | |
„I Wish I Was Stephen Malkmus“ heißt ein Song, den Bea Kristi alias | |
Beabadoobee 2019 veröffentlicht hat. Er klingt tatsächlich, als habe die | |
20-jährige Londonerin viel Freude an „Crooked Rain, Crooked Rain“ (1994) | |
gehabt, dem schön schrägen und doch poppigen Album von Malkmus’ einstiger | |
Band Pavement. | |
Nun ist der US-Gitarrist mit der dengeligen Stimme zweifellos eine | |
[1][coole Socke] und verdient dafür Bewunderung, dass er sich nicht auf | |
seiner Vergangenheit ausruht, sondern immer noch experimentierfreudige | |
Musik macht. Aber darum geht es Kristi wohl gar nicht. Eher darum, was sie | |
als Nachgeborene auf den damaligen Zeitgeist projiziert. | |
„Ich wünschte, ich lebte in den Neunzigern“, erklärte sie unlängst dem | |
britischen Online-Magazin NME. Auf ihrem Debütalbum „Fake It Flowers“ läs… | |
Beabadoobee den kathartischen Indierock jener Zeit wieder aufleben, als | |
Amalgam aus Smashing Pumpkins, Alanis Morrisette und den Pixies. | |
## Die Rückblickenden | |
Nun wird die Vergangenheit im Pop immer wieder recycelt. Beziehungsweise | |
die jeweils aktuelle Vorstellung davon, was an einer Zeit bemerkenswert | |
erscheint; nicht nur Pop, auch seine Geschichtsschreibung morpht. Heute | |
stehen bei der Deutung der 1970er Jahre andere Themen im Vordergrund als | |
vor zwanzig oder dreißig Jahren. Letztlich verrät diese Dekadendiagnostik | |
oft ebenso viel über die Rückblickenden wie über die Zeit, auf die geschaut | |
wird. | |
Doch was war besonders an den Neunzigern? Standen die nicht schon auf eine | |
Art für das Ende der (Pop-)Geschichte, zumindest auf dem Terrain von | |
Gitarrenmusik? So sah es zumindest der britische Theoretiker [2][Mark | |
Fisher] in „Gespenster meines Lebens. Depression, Hauntology und die | |
verlorene Zukunft“ (2014). Darin diagnostizierte er, dass kaum Neues hören | |
könne, wer in den Nullern das Radio einschaltet – verglichen damit, was | |
1995 an Novitäten zu hören war. Während sich vorher alles immer innerhalb | |
kürzester Zeit geändert hatte. | |
Anders als bei anderen Retrospektiven auf die Neunziger, bei denen es darum | |
ging, dass die Technokultur frisch und angeblich utopieoffen war, scheint | |
sich Kristi das Slackertum in die Gegenwart zu wünschen – auch wenn das | |
damals bereits eher Behauptung als gelebte Realität war. | |
## Klima allgegenwärtiger Desillusionierung | |
Und sie dockt damit an eine Ästhetik an, die seinerzeit schon für [3][das | |
Gestern] stand: Gitarrenrock, glaubwürdige Innerlichkeit, das Gegenmodell | |
zum „Digital ist besser“-Optimismus. Nicht zuletzt war Indierock seinerzeit | |
auch Reaktion darauf, was als Fake empfunden wurde. Dass Slackertum im | |
2020er-Klima allgegenwärtiger Desillusionierung wieder anschlussfähig | |
scheint, muss daher kaum verwundern. | |
Alte Distinktionsgrenzen sind Kristi herzlich egal: Nirvana-Zitate stehen | |
bei ihr neben Cranberries-Einflüssen. Offenbar interessiert sie vor allem | |
das Kathartische, das in beidem mitschwingt – so weit die Bands sonst auch | |
stilistisch auseinanderliegen. Diese Blaupause nutzt sie, um im bouncenden | |
„Care“ vom Umgang mit Kindheitserinnerungen zu erzählen, beim entrückten | |
„Emo Song“ einen lügenden Ex anzuklagen und beim hymnenhaften „Charlie | |
Brown“ mit grungiger Laut-leise-Dynamik autodestruktive Tendenzen | |
auszuleuchten. | |
Trotz offenbar schwieriger Jugendjahre klingt Kristis Story fast zu schön, | |
um wahr zu sein. Von ihrem Vater bekam sie zur Aufmunterung eine Gitarre | |
geschenkt, nachdem sie mit 17 von der Schule flog. Gleich „Coffee“, der | |
eher schrammelige Auftaktsong, den sie damit schrieb, fand großen Zuspruch; | |
der Legende nach hatte sie ihn nur für ihre Freunde bei Youtube | |
hochgeladen. Dann sampelte ihn der kanadische Rapper [4][Powfu]; sein Song | |
„Death Bed“ ging auf TikTok viral. Und die Newcomerin bekommt viel | |
Aufmerksamkeit, obwohl sie wenig wirklich Neues in die Welt bringt. | |
Ein frischer Blick aufs einstige Gestrige oder unerwartete Soundsynergien | |
gelingen „Fake It Flowers“ kaum. Trotzdem ist Beabadoobees Sound mehr als | |
epigonal; dazu ist sie wiederum zu eigen und charmant spannungsreich, wie | |
sie tagebuchhafte Kompositionen mit krachigen Gitarrenhooks zusammenbringt. | |
Und was könnte besser in diese Zeit passen als Musik, die das Headbanging | |
zurück ins Schlafzimmer holt, in diesem Corona-Hausarrest? | |
25 Nov 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Neues-Soloalbum-von-Stephen-Malkmus/!5580413 | |
[2] /Grundlagenwerk-zur-Poptheorie/!5044540 | |
[3] /Popautor-ueber-Kontrollverlust/!5111933 | |
[4] https://www.youtube.com/watch?v=jJPMnTXl63E | |
## AUTOREN | |
Stephanie Grimm | |
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Pop | |
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Band | |
taz Plan | |
Kevin Coyne | |
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