# taz.de -- Browser Ballett über Satire: „Nicht nach unten treten“ | |
> Christina Schlag und Schlecky Silberstein wollen Perspektiven von | |
> Minderheiten einbeziehen. Ein Gespräch über Sensibilität, Humor und Lisa | |
> Eckhart. | |
Bild: Eine komplizierte Sache, das Lachen? Christina Schlag und Schlecky Silber… | |
taz: Frau Schlag, Herr Silberstein, steht es aktuell schlecht um den | |
deutschen Humor? | |
Schlecky Silberstein: Ich glaube, man muss über jeden Humor fröhlich sein, | |
den man hat. Ich weiß gar nicht, wo wir im internationalen Maßstab stehen. | |
Aber ich fühle mich noch nicht übersättigt von dem Humorangebot in | |
Deutschland. | |
Christina Schlag: Der deutsche Humor ist jetzt nicht als der beste bekannt. | |
Ich würde zumindest behaupten, dass es ihn noch gibt. | |
Silberstein: Das Interessante ist ja, dass wir Deutschen uns selbst keinen | |
Humor attestieren. Humor und deutsch, wenn man das so zusammendenkt, da | |
wird man meistens still. Ich glaube, dass wir durch unsere Geschichte ein | |
bisschen unlockerer mit Humor umgehen. Das Humorverständnis in Deutschland | |
ist eigentlich sehr gut ausgeprägt. Ich habe aber oft das Gefühl, dass man | |
denkt: Ich, in mir drinnen, in meinen Synapsen, finde es lustig. Aber ich | |
bin mir jetzt nicht sicher, ob ich lachen soll oder nicht. | |
In den letzten Wochen und Monaten wurde vermehrt darüber debattiert, | |
[1][was Satire alles darf]. Ist das überhaupt die richtige Frage? | |
Schlag: Erst mal ist Lachen ein Impuls. Und Impulse zu hinterfragen, ist | |
zwar schwierig, aber gut. Die Frage ist ja immer: Wie bringe ich das rüber, | |
was ich sagen will. Ich kann beispielsweise gezielt provozieren und damit | |
bei anderen Leuten etwas auslösen, was eine Debatte anstößt. Oder ich kann | |
versuchen, das anders zu verpacken. Darin liegt der feine Unterschied, was | |
eine gute Satire ausmacht, oder was Satire sollte und was nicht. | |
In der aktuellen Debatte stehen vor allem Bühnenaussagen von Dieter Nuhr | |
und [2][Lisa Eckhart im Zentrum]. Ihre Verteidiger:innen argumentieren, | |
Nuhrs und Eckharts Satire sei von der Kunstfreiheit gedeckt. Steckt darin | |
nicht ein Bezugsfehler? Schließlich verbietet niemand, dass die beiden ihre | |
Aussagen in die Welt lassen. | |
Schlag: Ich glaube, es geht in der Debatte viel darum, was solche Satire | |
auslöst. Ich bin mir nicht sicher, ob die Mittel, die manchmal gewählt | |
werden, die besten sind. Wir beim „Browser Ballet“ versuchen uns daran zu | |
halten, nicht „nach unten“ zu treten, die Perspektiven von Betroffenen oder | |
Minderheiten einzubeziehen, anstatt einfach nur Klischees zu reproduzieren. | |
In den aktuell diskutierten Satiresendungen wird gelacht über Menschen mit | |
Behinderung, über #MeToo, über Schüler:innen, die sich für den Umweltschutz | |
engagieren. Rassistische und antisemitische Klischees sind auch nicht weit. | |
War deutsche Satire schon immer so und es fällt uns erst jetzt auf? Oder | |
hat sich da etwas verschoben? | |
Silberstein: Ich glaube, es hat sich total viel dadurch verändert, dass wir | |
ja in den letzten 20 Jahren eine ganz gewaltige Umwälzung der | |
Öffentlichkeit mitbekommen haben. Der Diskursraum ist ja gigantisch im | |
Vergleich zum Jahr 2000 zum Beispiel. Es ist unglaublich dynamisch | |
geworden. Ich glaube, da gibt es gerade bei allen – auch bei uns – | |
Orientierungsprobleme. Und da passieren wahrscheinlich sehr, sehr oft | |
Fehler. Wichtig ist, dass man sich im Eifer des Gefechts oder der Emotionen | |
an die Grundregeln hält – und die Gegnerschaft noch mal prüft. Also: Ist | |
das ein Gegner, der sich wehren kann? Ist es ein Gegner, der damit rechnen | |
kann, weil er in der Öffentlichkeit steht, viel Geld oder viel Einfluss | |
hat? Wenn man sich an diese Leitplanken hält, kommt man durch dieses Chaos | |
einigermaßen gut durch. | |
Diese Grundregeln scheinen jedenfalls im Kabarett in letzter Zeit | |
missachtet worden zu sein. | |
Schlag: Ich bin mir ehrlich gesagt nicht so sicher. Ich glaube, dass die | |
Wahrnehmung eine andere ist. Manche Sachen wurden auch vorher schon gesagt. | |
Aber jetzt sind wir sensibilisiert dafür und reagieren anders. Ich finde, | |
das ist eine Chance. Kabarettist*innen oder Satiriker*innen, die älter | |
sind, einer anderen Generation angehören, haben auch noch ein anderes | |
Weltbild. Das kann für uns eine Möglichkeit sein. Wenn das Bewusstsein aber | |
nicht da ist, „passieren“ solche Dinge. | |
Lisa Eckhart ist 28. Da funktioniert das Generationenargument nicht ganz. | |
Schlag: Man muss auch sehen, dass es viele andere gibt in der | |
Comedybranche, die einen anderen Ansatz haben als sie. Wir leben in einer | |
pluralistischen Gesellschaft, in einer Demokratie, und es gibt | |
unterschiedliche Ansätze und Meinungen. Das finde ich auch legitim. Eckhart | |
ist eine Person von sehr vielen, die einen anderen Ansatz für sich gewählt | |
hat. Ob man das gut findet oder nicht, ist Privatsache. | |
Wofür Eckhart ja aber besonders kritisiert wird, ist [3][ein Gag], der sich | |
auf antisemitische Klischees stützt und sexuelle Belästigung verharmlost. | |
So etwas unter Kunstfreiheit zu verbuchen – liegt da nicht schon der | |
Fehler? | |
Schlag: Ich verstehe den Einwand. Ich glaube aber, was Eckhart macht, ist | |
eine Form, etwas rüberzubringen, für die man sich oder gegen die man sich | |
entscheiden kann. Man kann Sachen reproduzieren oder eben auf anderem Wege | |
aufzeigen. Ich würde deshalb nicht sagen, so etwas sollte zensiert werden. | |
Silberstein: Ich tue mich grundsätzlich schwer, über Leute zu reden, mit | |
denen ich nicht mal ein Bier getrunken habe. Das ist ja sowieso ein | |
Phänomen unserer Zeit: Ich entdecke selbst bei mir, wie ich relativ | |
vorschnell über Leute urteile, nur auf Basis dessen, was ich zum Beispiel | |
auf Social Media von ihnen sehe. Und das ist ja auch nicht ganz fair. Man | |
kann aber die Frage vielleicht ganz gut damit beantworten, dass jeder | |
verantwortlich ist für das, was er tut und was er sagt. | |
In der englischsprachigen Comedy gelingt es ganz gut, nicht gegen Dritte zu | |
wettern. Da geht es mehr um die eigenen Verstrickungen und die Widersprüche | |
der Welt. In Deutschland wirkt es eher, als würden die Bühnen zur | |
Wutbürgerhölle verkommen. | |
Silberstein: Der englische Humor lebt sehr vom Understatement. Keine andere | |
Kultur wie die angloamerikanische hat es geschafft zu etablieren, dass es | |
hilfreich sein kann, über sich selbst zu lachen. Es gibt gerade sehr viele, | |
die versuchen, die Art und Weise, worüber wir lachen, zu formen. Und das | |
ist ein spannender Prozess. Ich würde gar nicht so sehr gucken, was in | |
letzter Zeit verkniffen oder nicht so optimal war im deutschen Humor, | |
sondern eher gucken, was da noch wachsen kann. | |
Was ist Ihre Herangehensweise in diesem Prozess? | |
Schlag: Wir sind ein diverses Team und versuchen, aus möglichst vielen | |
Blickwinkeln Sachen zu betrachten. Natürlich ist das manchmal schwierig. | |
Aber wenn es gelingt, sind wir froh, etwas „geschaffen“ zu haben, das auf | |
mehreren Ebenen funktioniert, und in dem sich Leute aller Couleur | |
wiederfinden. Das ist unser Anspruch. Es geht nicht darum, gezielt gegen | |
eine Gruppe anzugehen, sondern eher gesamtgesellschaftliche Phänomene | |
runterzubrechen und zu parodieren. | |
Das „Browser Ballet“ gibt es bereits seit vier Jahren erfolgreich als | |
Format im Internet. Nun hat es den Sprung ins Fernsehen geschafft. Was | |
dürfen Zuschauer:innen erwarten? | |
Silberstein: Wir nennen es die Verfilmung einer Show oder eine Parodie auf | |
Shows. Es wird natürlich Filme in der Machart geben, wie man sie schon von | |
uns kennt. Weil wir jetzt aber 30 Minuten Zeit haben, haben wir mehr | |
Gelegenheit zur Kontextualisierung. | |
Sehen Sie es als ein Upgrade, vom Internet ins Fernsehen zu kommen? | |
Silberstein: Das Internet ist das, wo wir herkommen. Das ist ein Teil | |
unseres Universums. Und jetzt haben wir eben noch eine weitere Plattform. | |
Wenn wir es richtig gut machen, gibt es auch eine Wechselwirkung zwischen | |
den beiden Kanälen. Es bedeutet natürlich auch, dass online alles genauso | |
bleibt, wie es ist. Das Fernsehen ist eine Ergänzung, die das ganze | |
Universum „Browser Ballet“ komplett macht. Vielleicht gibt es uns dann auch | |
irgendwann auf Vinyl. | |
„Browser Ballett“, ab 3. Dezember, 23.35 Uhr im Ersten | |
3 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Ausladung-der-Kabarettistin-Lisa-Eckhart/!5706011 | |
[2] /Streit-um-Kabarettistin-Lisa-Eckhart/!5702242 | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=sbeRwNsgG54&amp&t=3003s | |
## AUTOREN | |
Erica Zingher | |
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