# taz.de -- Zu Besuch bei Kalla Wefel: Kämpfer wider die Dummheit | |
> Der Osnabrücker Kabarettist und Autor Kalla Wefel hat ein Leben gelebt, | |
> so reich an schrägen Geschichten, dass es für drei reicht. | |
Bild: An der Wand Gitarren – und die Marx Brothers als Plakat: Kalla Wefel in… | |
OSNABRÜCK taz | Es gibt nicht viele, die Bücher schreiben, nur um Wörter | |
zu erklären. Wörter, die es vielleicht nur in ein oder zwei Vierteln einer | |
Stadt gibt, gab oder gegeben haben könnte. Wörter wie „Sonneküken“, | |
„Pielepoggen“ oder „Schmöttke“. [1][Kalla Wefel] ist einer, der Spaß … | |
solchen Sachen. Am Vorabend des Lockdown light, ganz spät im Oktober, hat | |
er sein Buch „Kär, Kär, Kär! 3.0“ herausgebracht. Wer reinschaut, weiß | |
danach, wie Osnabrückerisch geht. Hartnäckig hält sich die Legende, Wefels | |
Vorgänger von „Kär“ sei das meistverkaufte Buch in Osnabrück, abgesehen … | |
der Bibel – und Hitlers „Mein Kampf“. | |
Mit Wörtern kennt Kalla Wefel sich aus. Der ehemalige Ex-Osnabrücker ist | |
mehr als 30 Jahre lang als Kabarettist herumgetourt, seine Programme trugen | |
Titel wie „Motzen ist mein Yoga!“. Wefel war auch Journalist, hat für | |
Verlage lektoriert, Literatur übersetzt. Er hat schrille | |
Science-Fiction-Satiren wie „Markenzeichen: No-Name“ geschrieben, in denen | |
auffallend oft eine Lola vorkommt, weil Wefel die Kinks liebt. Deren Song | |
„Lola“ aus dem Jahr 1970 hat er auch eingedeutscht, vor einer halben | |
Ewigkeit, und noch heute singt er das Stück manchmal auf der Bühne. | |
Wefel hat Theater gespielt, Germanistik und Philosophie studiert, einen | |
(erklärtermaßen linken) Buchladen aufgemacht – und immer wieder | |
geschrieben, allein über den VfL Osnabrück eine ganze Handvoll Bücher. Auch | |
eigene Songs hat er getextet, einen davon angelehnt an Herbert Grönemeyers | |
„Männer“: „Reiche nehmen den Armen, / Reiche klagen allen ihr Leid. / | |
Reiche prassen nur heimlich, / Reiche erblassen höchstens vor Neid. / Oh, | |
Reiche sind so entsetzlich...“. Mit dem Kabarett hat er jetzt übrigens | |
aufgehört. „Alles ist so billig und primitiv geworden“, sagt er. Und dann | |
sagt er einen Namen und klingt ziemlich wegwerfend: Dieter Nuhr. | |
Wefel, bürgerlich heißt er übrigens Karl Heinz, ist ein Original. Ein | |
zutiefst kritischer Geist, der antritt gegen „intellektuelle | |
Kernschmelzen“. Mit Neonazis hat er sich angelegt, mit radikalen Christen. | |
Manchmal wurde er dann selbst zur Zielscheibe, manchmal traf die Vergeltung | |
nur seinen alten Ford: Mehr als ein Dutzend Seitenspiegel hat der schon | |
eingebüßt – die lassen sich leicht runtertreten. Jeder einzelne sei für ihn | |
„eine Trophäe des guten Geschmacks“ gewesen, schreibt Wefel in seiner | |
Autobiografie „Unglaublich wahre Geschichten“, erschienen 2019: „Ein | |
Kleinkunstpreis, wie er größer nicht sein kann; ein Grimme-Preis, wie er | |
grimmiger nicht möglich ist.“ | |
## Über die Grenze mit Klaus Kinski | |
Wer Wefel erzählen hört, merkt schnell: Dieser Mann hat ein Leben geführt, | |
so reich an Begegnungen, an Umbrüchen, dass man sich wundert, dass Wefel | |
nicht zwei Leben geführt hat oder gar drei. Fast 70 Jahre alt ist er | |
inzwischen, aber er hat „jede Menge geiler Pläne“. Macht ihm sein Alter | |
etwas aus? „Überhaupt nicht. Aber die Dummheit macht mir was aus, die | |
unfassbare Dämlichkeit mancher Menschen.“ Und dann sagt er einen andern | |
Namen, wieder ziemlich wegwerfend: Donald Trump. „Faschist!“, sagt er, | |
„Rassist!“ Auch von „diesen ganzen Covidioten“ hält er nichts: „Frü… | |
saßen diese Typen irgendwo in der Kneipe und haben dem Wirt eine Blase ans | |
Ohr gelabert. Heute verbreiten die ihr manipulatives Zeug in den sozialen | |
Medien. Unerträglich, dieser ganze Schwachsinn.“ | |
In Wefels Arbeitszimmer hängt Gitarre neben Gitarre, dazwischen ein Plakat, | |
„A Day at the Races“ von den Marx Brothers. Wenn Wefel einen Kaffee | |
braucht, wie gerade jetzt, geht er rüber zu seiner ferrariroten | |
Italo-Maschine. Und dann erzählt er vom Taxifahren, damals in Hamburg: Fünf | |
Jahre hat er das gemacht. „Das war mein Abschied vom Rock ’n’ Roll. Raus | |
aus der Künstlerwelt, rein in den Realismus.“ Vorbei auch ist die Zeit mit | |
seiner Politrockband Oktober, oder mit seiner New-Wave-Band Clinch. „Kill | |
you darlings! Man muss sich verändern!“ | |
Wefel schrieb ein Buch über seine Zeit als Fahrer: „Sind Sie frei?“, | |
arbeitete den Stoff um zum Kabarettprogramm. Daraus ergab sich dann | |
einiges: dass er Schulbuchautor wurde, etwa für Sprachbücher, Klasse 5. bis | |
10. – Bücher, nach denen derselbe Deutschlehrer dann unterrichten musste, | |
von dem Wefel einst eine politische Drangsalierungs-Sechs bekommen hatte. | |
Von Wefel kann man sich viele seltsame Geschichten erzählen lassen. Zum | |
Beispiel die mit Klaus Kinski: Dem begegnete Kalla Wefel mit 17, kurz vor | |
der Grenze nach Italien. Wefel stand dort, „die Gitarre auf dem Rücken“, | |
wollte ausbrechen aus dem bürgerlichen Leben. Ein roter Sportwagen hielt, | |
nahm ihn mit rüber. Erst später erkannte Wefel, wer der Fahrer war. | |
Der da erzählt, ist ein Meister des Humors, eines ziemlich absurden, | |
skurrilen, auch mal bösen. Jemand, der sich nicht spielt. „Ich war immer | |
für alles offen!“, sagt Wefel. Er war mit Motörhead auf Deutschlandtour. Er | |
ist nach Kanada gegangen, auf eine Farm, aber das war „damals noch nichts | |
für mich“. | |
2013 ist er als Parteiloser zur Wahl ums Osnabrücker Oberbürgermeisteramt | |
angetreten, unter dem Kabarett-Motto „Nur die Zukunft ist gewiss!“. Mit | |
2.153 Stimmen – 2,5 Prozent – hat er immerhin den FDP-Kandidaten | |
deklassiert. Kurzzeitig war er auch als Präsident des VfL Osnabrück im | |
Gespräch, dem Verein, für den er selbst mal gespielt hat, in Kindertagen, | |
„und das sogar ziemlich gut“. Er hat CDs und LPs rausgebracht und die | |
vielen Bücher, und immer wieder hat er sich auch neu orientiert in all | |
seinem „Gewerkel und Getue“. | |
Aber es gibt auch Konstanten. Etwa dieses „überdrehte | |
Gerechtigkeitsempfinden“, sagt Wefel: Das habe er schon immer gehabt. Auch | |
als er mit anderen protestierenden Schülern 1967, mit 16, auf einer | |
NPD-Veranstaltung in Osnabrück plötzlich vor mehreren seiner Lehrer stand, | |
die den Rechtsextremen „begeistert“ applaudierten. Konsequenzen hatte das | |
nur für die Schüler: Die Polizei führte sie ab, Wefel bekam einen Verweis. | |
Standhaft ist er bis heute. Deshalb macht ihm auch das mit den | |
runtergetretenen Seitenspiegeln nichts. Aber Osnabrück, dessen Gestrigkeit | |
und Spießertum er einst entfloh, zuerst nach Hamburg, hat sich | |
rehabilitiert. 2002 kam Wefel zurück, und „da war von der Stadt, die ich | |
einst verlassen hatte, nichts mehr zu spüren. Keine Piefigkeit mehr. Heute | |
liebe ich es hier.“ | |
## Liebeserklärungen an die Provinz | |
Seither lebt Wefel wieder in der Provinz. Und er macht ihr | |
Liebeserklärungen. Okay: Der „Röhrende Hirsch“, der Medienpreis für | |
„besonders schäbigen Journalismus“, ist keine. Wer ihn bekommt, hat nur | |
eine „wunderschöne Skulptur aus echtem glitzernden Plastik“ in der Hand. | |
Aber seine „Heimatabend“-Talkshows, im Osnabrücker Kulturzentrum | |
„Lagerhalle“, regulär zehn pro Jahr, sind eine: 80 davon hat es bereits | |
gegeben. | |
Wer Kalla Wefel erzählen hört, merkt: Dieses Leben gibt Romanstoffe her. | |
Und Wefel hat solche Pläne: „Das ist dann sicher wieder so“, sagt er, „a… | |
wenn du bei dir selbst zu Besuch bist.“ Bis es soweit ist, reist er weiter | |
herum, mit Beamer, zwei Bücherkisten und zwölfsaitiger Gitarre. Liest, | |
erzählt, spielt und singt. „Was ich da mache“, sagt Kalla Wefel, „entste… | |
meist ganz spontan.“ | |
„Sonneküken“ heißt übrigens Marienkäfer. „Pielepoggen“ sind Kaulqua… | |
Und „Schmöttke“? Hochdeutsch: Schlamm. | |
25 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://kallawefel.info/ | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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