# taz.de -- Segelrennen einmal um die Erde: Gretas Skipper will es wissen | |
> Der Hamburger Profisegler Boris Herrmann startet nach jahrelangen | |
> Vorbereitungen am Sonntag zur härtesten Nonstop-Soloregatta rund um die | |
> Welt. | |
Bild: Ein Rennen voller Herausforderungen: Boris Herrmann bei einer Vorbereitun… | |
„Das Ziel ist, jede freie Minute zum Schlafen zu nutzen.“ Das sagt kein | |
Freizeitkapitän, sondern der Profisegler Boris Herrmann. Er startet diesen | |
Sonntagmittag zur [1][Regatta Vendée Globe] um die Welt. Sie geht nonstop | |
von Frankreich aus den Atlantik runter, ums südafrikanische Kap der Guten | |
Hoffnung herum, dann im stürmischen Südpolarmeer durch die „brüllenden | |
Vierziger“ in einer Schleife um die Antarktis und von Chiles Kap Hoorn | |
wieder hoch nach Frankreich. | |
Einen Hafen anlaufen oder fremde Hilfe annehmen ist den Solo-Skippern | |
verboten. Der 39-jährige Herrmann rechnet für die rund 50.000 Kilometer mit | |
maximal 80 Tagen. Für mehr hat er gar nicht Proviant an Bord. Der Rekord | |
sind 74 Tage, 3 Stunden, 35 Minuten und 46 Sekunden. | |
Zweieinhalb Monate allein auf einer mit Tragflächen versehenen übertakelten | |
Rennjacht über Wellenberge mit Höchstgeschwindigkeiten von mehr als 60 | |
Stundenkilometern um die Welt zu brettern und an Deck quasi eine | |
Dauerdusche zu haben stellt an Material und Skipper höchste Anforderungen. | |
Herrmann muss in dem Carbonrenner voll Elektronik ständig Instrumente, | |
Kurs, Wetterdaten, Konkurrenz und Segeleinstellungen im Blick haben. Neben | |
einer schnellen und stabilen Konstruktion des Bootes und den richtigen | |
wetterstrategischen Entscheidungen des Skippers ist dabei das | |
Schlafmanagement ein entscheidendes Erfolgskriterium allein schon für das | |
Durchhalten der Strapazen. | |
Wenn Herrmann also jede freie Minute schlafen will, ist der andere Teil der | |
Wahrheit, dass selbst bei ruhigem Wetter und gleichmäßigem Wind seine | |
maximale Schlafphase nur 60 Minuten am Stück betragen wird. „Ist der Wind | |
sehr instabil, sind es nur 15 Minuten“, sagte er kürzlich bei einer | |
Videopressekonferenz. In der kahlen, ungedämmten und vom Hämmern des Bootes | |
auf die Wellen lauten Kajüte hat er neben seiner Koje eine Klemme für die | |
Großschot, also die Leine zur Kontrolle des Hauptsegels. Droht das Boot | |
unter Autopilot in einer Bö oder großen Welle aus dem Ruder zu laufen, kann | |
er noch im Halbschlaf mit der Leine Druck ablassen und das Boot auf Kurs | |
halten. | |
## Wecker für schlafende Wale | |
Ständig piepen diverse Alarmsysteme. Sein Boot ist laut Herrmann das | |
einzige im Rennen, das mit vorausschauenden Infrarotkameras Hindernisse wie | |
Bojen, andere Schiffe oder im Wasser treibende Container erkennen und | |
selbstständig ausweichen kann. Anhand der Töne kann Herrmann hören, ob nur | |
ein im Kurs des Bootes schwimmender Vogel oder ein gefährlicher Gegenstand | |
im Wasser identifiziert wurde. Im Kiel hat das Boot noch einen Sender, der | |
schlafende Wale wecken und vertreiben soll, damit es nicht zur Kollision | |
kommt. | |
Herrmann segelte schon dreimal Rennen um die Welt, aber noch nie allein. Er | |
hat sich rund zehn Jahre vorbereitet und ist jetzt der erste Deutsche bei | |
der Vendée Globe. In ihrem Ursprungsland Frankreich ist diese | |
Extremregatta, bei der bisher nur Franzosen gewannen, fast so beliebt wie | |
die Tour de France. Beim letzten Mal vor vier Jahren haben in den Wochen | |
vor dem Start 2,25 Millionen Menschen das Race Village im Hafen von Les | |
Sables-d’Olonne im Departement Vendée an der Atlantikküste besucht. | |
Damals starteten 29 Skipper auf ihren 18-Meter-Rennjachten vom Typ Imoca 60 | |
zu diesem „Mount Everest der Meere“. 11 erreichten das Ziel nicht. Die | |
Ausfallquote bei den bisherigen Rennen durch Mast- und Ruderbrüche, | |
Kollisionen mit treibenden Objekten, Kielverluste und Kenterungen liegt bei | |
46 Prozent. Drei Segler starben bisher, was zur Folge hatte, dass die | |
Sicherheitsvorkehrungen ständig erhöht wurden. Trotzdem gibt es im zu | |
durchsegelnden Südpolarmeer Regionen, wo der nächstgelegene Mensch nicht | |
auf einem Schiff ist, sondern auf der internationalen Raumstation ISS im | |
Orbit. | |
Am Sonntag um 13 Uhr ist Start zur 9. Auflage. Wegen der Coronapandemie | |
musste letzte Woche bereit das Race Village schließen. Franzosen und der | |
Rest der Welt können den Start außer von eigenen Booten aus jetzt nur noch | |
im Fernsehen und Internet verfolgen. Sollte nicht noch ein Skipper wegen | |
eines positiven Covid-19-Tests ausfallen, starten 33 Boote, darunter die | |
Rekordzahl von 6 Skipperinnen. Bisher nahmen überhaupt nur insgesamt 8 | |
Frauen an diesem Rennen teil, das erstmals 1989/90 stattfand. | |
## Fahrt mit Greta Thunberg | |
Herrmann wurde im August 2019 über Seglerkreise hinaus bekannt, als er | |
[2][die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg] auf seiner Rennjacht | |
„Malizia“ zum UN-Klimagipfel nach New York brachte. Wer Thunberg im Film | |
„I’m Greta“ im Cockpit der „Malizia“ mit 18 Knoten am Rande der | |
Seekrankheit über den Atlantik rasen gesehen hat, kann sich grob | |
vorstellen, [3][welche Strapazen] in so einem Renner warten. „Ich werde | |
noch bis zu 45 Minuten vor dem Start versuchen zu schlafen“, sagt Herrmann. | |
„Dann mache ich das erste Nickerchen nach etwa fünf Stunden.“ Er hoffe | |
nachts mehr und tagsüber weniger zu schlafen, aber einen festen Rhythmus | |
werde es nicht geben. „Das wird komplett vom Wetter diktiert.“ Ziel sei, | |
nie richtig müde zu sein. | |
Das ist die Theorie. Denn die Praxis bedeutet oft Schwerstarbeit auch | |
unter Deck. Er habe zehn große Taschen dabei. Fünf sind mit | |
durchnummerierten Mahlzeiten gefüllt, je 80 mit gefriergetrockneter | |
„Astronautennahrung“ zu 80 bis 100 Gramm die Mahlzeit. Dazu weitere 80 | |
vorgekochte Gerichte zu je 350 bis 450 Gramm. Letztere seien Luxus, den | |
sich viele Konkurrenten nicht gönnten, so Herrmann. Das Gewicht spiele | |
nicht nur eine Rolle, um das Boot möglichst leicht und damit schnell zu | |
machen, sondern auch, weil er nach jedem Manöver die Taschen als | |
beweglichen Ballast im fünf Meter breiten Schiff hin- und hertragen muss. | |
Insgesamt 130 Kilogramm wiegen die Taschen mit dem Essen, die anderen fünf | |
Taschen voll Ersatzteile und Werkzeug, Tauchausrüstung sowie medizinischen | |
Gerätschaften, um sich notfalls selbst verarzten zu können, wiegen noch | |
schwerer. | |
Zu den Kosten der Teilnahme an diesem Extremrennen will Herrmann nichts | |
sagen, außer dass es um Millionen gehe. Er fand zwei Männer, die ihm das | |
ermöglichen. Der eine ist Pierre Casiraghi, Sohn der Fürstin Caroline von | |
Monaco, und selbst Segler. Dessen Yacht „Club de Monaco“ zahlt die | |
laufenden Kosten für das Boot und das rund zehnköpfige Team. Als zweiter | |
Glücksfall erwies sich Herrmanns Bekanntschaft mit dem Stuttgarter | |
Immobilienunternehmer Gerhard Senft. Der hatte Herrmann einmal zum Trimm | |
seiner Jacht angeheuert und finanzierte ihm bald darauf das Boot. Das war | |
eine der modernsten Konstruktionen des letzten Rennens und wurde seitdem | |
mit Tragflächen der neuesten Generation modernisiert. Die heben das Boot ab | |
einer gewissen Geschwindigkeit ein Stück aus dem Wasser und machen es noch | |
schneller. Der technische Fortschritt erklärt auch, warum vor 30 Jahren das | |
schnellste Boot 109 Tage benötigte, zuletzt aber nur noch 74. | |
Die Mitnahme von Thunberg war für Herrmann, der sich selbst für Klimaschutz | |
engagiert, ein PR-Coup, auch wenn [4][die taz vorrechnete], dass letztlich | |
mehr Menschen im Rahmen von Thunbergs Segeltrip per Flugzeug flogen, als | |
wenn die Aktivistin mit ihrem Vater direkt nach New York geflogen wäre. | |
Herrmann unterstreicht immer wieder, dass er gerade als Segler sehr am | |
Thema Nachhaltigkeit interessiert sei und die Klimaveränderungen an den | |
Ozeanen ablesen könne. Jetzt hat er ein koffergroßes Gerät an Bord, das im | |
kaum befahrenen Südpolarmeer Wasserproben für wissenschaftliche Zwecke | |
analysiert. Denn der CO2-Gehalt des Wassers kann zum Beispiel nicht per | |
Satellit gemessen werden. | |
## Werben für ein Klimaschutzprogramm | |
Zu Herrmanns Umweltinteresse passt auch, dass er zu Jahresbeginn einen | |
neuen Sponsor fand und das Boot in „Seaexplorer“ umtaufe. Was auf den | |
ersten Blick als typischer Bootsname erscheint, ist der Name des | |
Klimaschutzprogramms des Logistik- und Seefrachtkonzerns Kühne+Nagel, der | |
bis 2030 all seine Transporte klimaneutral machen will. Der einst in Bremen | |
und heute in der Schweiz ansässige Konzern ist [5][von der taz für seine | |
mangelhafte Aufarbeitung] seiner Beteiligung an Verbrechen des Naziregimes | |
kritisiert worden. | |
Herrmann schätzt, dass er mehrere Tage braucht, bis er seinen Rennmodus | |
gefunden hat. Bei ruhigerem Wetter dürfte er sich sogar langweilen und mit | |
Einsamkeit kämpfen. Dann will er seine Frau in Hamburg per Satphone anrufen | |
und in Videopodcasts Fragen von Schülern im Rahmen eines Umweltprojektes | |
beantworten. Ohne sein auch für die eigene Psyche wichtiges Logbuch wüsste | |
er bald nicht, an welchem Tag der Reise er sich befinde, so Herrmann. | |
Ablenken könnte ihn auch Thunberg. Die hat nämlich im Schiff kleine | |
Zeichnungen hinterlassen, die er erst nach und nach findet. | |
Herrmann hofft, im Ziel unter den ersten zehn zu sein. Aber vor allem wolle | |
er ankommen. Als einer der wenigen nimmt er sogar ein Ersatzruder mit. Das | |
kommt erst bei einer Havarie zum Einsatz, also dann, wenn es ohnehin keine | |
Siegchancen mehr gibt. | |
7 Nov 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.vendeeglobe.org/en | |
[2] /Greta-Thunbergs-Atlantik-Ueberquerung/!5621788 | |
[3] /Greta-Thunbergs-Atlantikueberquerung/!5614867 | |
[4] /Thunbergs-Segelreise-in-die-USA/!5615733 | |
[5] /Geschichtsschreibung-bei-KuehneNagel/!5520283 | |
## AUTOREN | |
Sven Hansen | |
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