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# taz.de -- Räumung in Argentinien: Überall brennende Hütten
> In Argentinien haben 4.000 Polizisten ein besetztes Gelände geräumt, in
> dem sich seit Juli Tausende verarmte Familien angesiedelt hatten.
Bild: Räumung in Argentinien: Tausende Menschen hatten sich bei Guernica anges…
Buenos Aires taz | Brennende Hütten, Tränengas, Gummigeschosse und
prasselnde Steinhagel. Das waren die Bilder, die am Donnerstag durch
Argentiniens Nachrichtenkanäle gingen. Mit einem Großaufgebot räumte die
Polizei in der Provinz Buenos Aires ein von Armen und Obdachlosen besetztes
Gelände. „Die Polizei kam ohne Vorwarnung. Wir hatten keine Zeit, um unsere
Sachen zu packen. Sie feuerten mit Gummigeschossen und wir konnten nur noch
rennen“ schilderte eine Frau das Erlebte. „Ich hatte meine Dokumente in
einer Schachtel und jetzt hat die Polizei alles verbrannt.“
Als die rund 4.000 Einsatzkräfte mit der Räumung begannen, war ein Großteil
der Besetzer*innen jedoch bereits abgezogen. Nur wenige Familien hielten
sich noch auf dem Gelände auf. Vor allem jugendlichen Besetzer*innen
stellten sich den Uniformierten in den Weg und versuchten die Räumkommandos
aufzuhalten. Dabei kam es zu den schweren gewaltsamen Auseinandersetzungen.
Wer die Hütten in Brand steckte, ist umstritten. „Zu behaupten, die Polizei
hätte die Hütten in Brand gesteckt, ist absurd“, so der zuständige
Provinzminister Andrés Larroque.
Das rund 100 Hektar große Gelände war Mitte Juli besetzt worden. Anfangs
waren es junge Erwachsene, die auf gut fünfzehn Hektar Zelte aufschlugen,
um so ein Stück Land für ein Leben und Wohnen in Würde zu fordern. Das
Gelände liegt bei Guernica, einer rund 80.000 Einwohner*innen zählenden
Kleinstadt, 50 Kilometer südlich der Hauptstadt Buenos Aires. Dort war
ursprünglich der Bau einer Wochenendhausanlage für Wohlhabende geplant.
Schon nach wenigen Tagen war die Zahl der Besetzer*innen auf 500 gestiegen.
Zwischenzeitlich waren es sogar über 8.000 Personen. Und das besetzte
Terrain dehnte sich immer weiter aus. Letztlich waren es 100 Hektar,
aufgeteilt in etwas über 2.300 kleine Parzellen, auf denen jedes Grüppchen
so gut es eben ging eine Holzhütte oder eine Zeltbehausung gebaut hatte.
Auf vielen Parzellen waren jedoch auch nur einige Pfähle eingerammt, nicht
alle Parzellen ständig besetzt.
## Provinzregierung war um friedliche Lösung bemüht
Ein von der Provinzregierung Ende September durchführte Zensus ergab, dass
sich inzwischen 1.600 Familien mit etwa 2.800 Kindern und Jugendlichen,
sowie über 300 alleinstehende Erwachsene niedergelassen hatten.
Arbeitslosigkeit, Verarmung und Obdachlosigkeit, aber auch familiäre
Konflikte wie häusliche Gewalt wurden als Gründe angegeben. Ein Teil der
Besetzer*innen, der von kleinen linken Gruppierungen organisiert wurde,
hatte nicht an der freiwilligen Befragung teilgenommen und hatte sich zudem
jeder Verhandlungslösung verweigert.
Um eine solche friedliche Lösung hatte sich bis zuletzt die gemäßigt-linke
Provinzregierung von Gouverneur Axel Kicillof bemüht. Statt auf die Räumung
zu drängen, verhandelte sie mit den Besetzer*innen über Alternativen.
Mehrfach wurde die von der Justiz angeordnete Räumung auf Drängen der
Provinzregierung verschoben.
Schließlich einigten sich die Provinzregierung und der größte Teil der
Besetzenden. Als die Justiz keinen Räumungsaufschub mehr zuließ, verließen
sie schließlich das Gelände, weshalb am Donnerstagmorgen nur wenige
Personen anwesend waren. Mehrere Menschenrechtsorganisation verurteilten
die Polizeigewalt während der Räumung.
In Argentinien kommt es immer wieder zu Landbesetzungen. Allein in der
Provinz Buenos Aires werden gegenwärtig über 80 Besetzungen von brach
liegendem Terrain gezählt. Allerdings sind die besetzten Terrains weit
weniger groß als das bei Guernica.
Rund die Hälfte der knapp 17 Millionen Menschen zählenden
Provinzbevölkerung lebt [1][unterhalb der Armutsgrenze]. Nach offiziellen
Angaben leben 1,24 Millionen Familien in den rund 1.800 Armenvierteln der
Provinz. Das bedeutet ein Zusammenleben auf engstem Raum unter prekären
sanitären Bedingungen.
30 Oct 2020
## LINKS
[1] /Argentinien-und-Corona/!5718887
## AUTOREN
Jürgen Vogt
## TAGS
Argentinien
Schwerpunkt Armut
Polizeigewalt
Besetzung
Film
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Argentinien
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