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# taz.de -- Andreas Teichmann über Bilder zu Corona: „Mir hat es Mut gemacht…
> Andreas Teichmann hat im Frühjahr Menschen im Lockdown fotografiert. Er
> gelangte an normalerweise unzugängliche Orte. Die taz zeigt exklusiv
> erste Bilder.
Bild: Michael Walta, Bauchredner und Zauberer, bei Hausbesuchen während des Lo…
taz: Herr Teichmann, kann es sein, dass der Fotograf Teichmann gern die
Extreme sucht, Extreme im Alltag? Erst sind Sie [1][zweimal in jeweils 50
Tagen quer durch Deutschland gewandert], über je tausend Kilometer mit 13
Kilogramm Fotoausrüstung auf dem Rücken. Und jetzt sind Sie im Frühjahr
mitten im ersten Corona-Lockdown zu den Einsamen, zu plötzlich
Abgeschotteten, zum dutzendfachen Leid ins Krankenhaus gegangen.
Andreas Teichmann: Lockdown hatten wir im Frühjahr ja alle. Insofern war es
auch extrem für uns alle. Mit meiner Familie war ich erst auch in
Schockstarre. Aber dann wollte ich herausfinden, wie andere Menschen in
diesen ganz normal-besonderen Situationen leben und habe sie sehr privat in
ihrem neuen Alltag fotografieren dürfen. Auf den Wanderungen 2017 und 2019
habe ich Menschen unterwegs zufällig getroffen an zufälligen Orten. Das war
der Reiz.
Im März war erst viele Wochen lang Recherche nötig: wie komme ich in ein
Altersheim, ins Krankenhaus, in die Kita, wie zum Bischof in die
Digitalmesse. Ich durfte zum Beispiel in dem Moment dabei sein, als ein
Neugeborener nach fünf Tagen endlich zur Familie kam, wo all die vielen
Verwandten warteten. Es durfte ja niemand ins Krankenhaus. Und so wurde der
Kleine auf dem Autoparkplatz begrüßt. Solchen völlig neuen Situationen bin
ich als Fotograf sehr nah gekommen.
Es waren doch Fotografen und Kameras auch im März überall!
Ja und nein. Am Anfang des Lockdowns gab es viele typische
Nachrichten-Bilder: leere Straßen, leere Klopapier-Regale oder getrennte
Paare, die sich an einer Grenze trafen. Da sah man Menschenleere oder
Bilder von öffentlichen Ereignissen, nicht das Versteckte überall. Es gab
auch Fotoreportagen in großen Magazinen über das Leben etwa von
Alleinerziehenden. Eine zum Beispiel: Ganz toll umgesetzt – in einem chicen
Einfamilienhaus mit Garten, politisch korrektes Holzspielzeug, alles
aufgeräumt, super gestylt. Das war das Patenkind des Fotografen.
Was hat Ihnen gefehlt?
Ich hatte den Eindruck, das repräsentiert nicht die Lebensrealitäten von
vielen Menschen in diesem Land, wollte lieber nicht so privilegierte
Beispiele. Das klappte dann über einen Sozialdienst. Und so bekam ich
Kontakt zu einer Alleinerziehenden in der Enge einer überquellenden Wohnung
in Essen-Nord. Ich wollte wissen: Der Mensch im plötzlichen Lockdown, was
passiert da weiter an Zusammenleben, an Gemeinsamkeit, an sozialem Dasein?
Und was haben Sie gefunden?
Klare Diagnose: Der Mensch bleibt ein soziales Wesen, auch mit weit
ausgestreckten Armen, wenn man sich, das war so ein typisches Bild,
irgendeinen Gegenstand gab, aus Angst vor Ansteckung. Oder mit anderen ganz
schlichten Gesten: Im Altenheim, wo es Mahlzeiten im Schichtdienst und in
Kohorten gab, legt die Pflegerin dem allein Essenden dabei die Hand auf die
Schulter. Ein toller Moment.
Klappte denn alles auf Anhieb?
Vieles war sehr mühsam, am Anfang war nur telefonieren. Manche Ideen sind
auch im Sande verlaufen. Beim Klinikum Essen dauerte es acht Wochen, immer
wieder nachfragen, dann durfte ich auf die Covid-19-Station. Ich hab das ja
auch verstanden – da kommt einer, freier Fotograf, ohne spezifischen
Auftrag, ohne Geo, Spiegel oder taz im Rücken und will diese historische
Phase einfach nur dokumentieren. Ob mal ein Buch daraus wird oder eine
Ausstellung, keine Ahnung heute.
Gab es so was wie ein Highlight an Glücksmomenten?
Viele. Das war der Tag, als ich erst stundenlang bei der alleinerziehenden
Mutter mit ihrem Sohn in ihrer Enge war, ihre Kraft trotzdem für die
Nachbarn da zu sein, die Kontakte dort mit anderen über die Balkone. Und
gleich danach war ich bei einer syrischen Familie zum Fastenbrechen im
Ramadan. Das war schon sehr schwierig, da einen Kontakt und Zugang zu
bekommen, um dabei sein zu dürfen. Und dann hatten die extra für mich das
Essen noch festlicher gemacht, ihr Spezialgericht aus Aleppo: gefüllte
Weinblätter. Durch Corona war die Familie erstmalig im gesamten Ramadan
allein ohne das gemeinsame Essen, Beten und den Austausch in der Gemeinde.
Ich habe noch bis weit in die Nacht bei Ihnen gesessen, und Vater und
Tochter erzählten mir von Ihrer Flucht aus Aleppo nach Deutschland in 2015.
Sie waren auch bei einer Beerdigung.
Bei einem solchen Anlass wartet man ja nicht auf einen fremden Fotografen.
Da konnten nur ganz wenige dabei sein, Mundschutz am Grab, sehr traurig.
Die Verstorbene war eine russischstämmige Frau, und die Verwandten und
Freunde aus ihrer Heimat duften coronabedingt nicht einreisen. Ich konnte
der Trauerfamilie einen Tag später die Bilder zur Weitergabe geben, da
hatten die Verwandten in Moskau wenigstens ein paar Bilder. So wurde es zur
Win-Win-Situation.
Warum sind denn alle Bilder in schwarz-weiß? Weil es bei Corona nur
Schwarz-Weiß-Denken gibt – entweder die vielen, die die Schutzmaßnahmen aus
Eigenschutz oder Gemeinschaftssinn verständnisvoll mitmachen und die
anderen: die Leugner, Verschwörer, die Bockigen?
Interessante These, aber es ist einfach so, dass die Bilder in schwarz-weiß
viel intensiver sind, es reduziert ein Bild auf das Wesentliche. Da stört
kein rotes Sofa, keine bunten Klamotten. Da sind nur noch Kontraste und die
Momente des zwischenmenschlichen Seins.
Gab es auch für Sie als Fotografen noch normale Aufträge in dieser Zeit?
Es war eine lange auftragslose Zeit, aber jetzt zieht es wieder an.
Kurioserweise arbeite ich gerade zufällig an einem Projekt über den
privaten und beruflichen Alltag des medizinischen Personals im Auftrag
eines Uniklinikum. Dabei stellen uns die gerade ansteigenden Fallzahlen vor
große Herausforderungen, die Auflagen vor Ort zu fotografieren ändern sich
täglich. Was die Menschen dort leisten ist einfach nur bewundernswert!
Kann man die Bilder heute als Dokument sehen und gleichzeitig als
Ankündigung: So wird es wahrscheinlich bald wieder mit dem nächsten
Lockdown. Sind denn die Erfahrungen ein Hinweis, wie wir da durchkommen?
Im Prinzip habe ich die mir selbst gestellte Frage untersucht: Bleibt der
Mensch ein soziales Wesen? Ich komme zu dem Ergebnis: Ja, bleiben wir,
natürlich, und die sogenannten sozialen Medien sind zwar wichtig, im
Lockdown besonders, aber nur ein Hilfsmittel. Es ersetzt nie den physischen
Kontakt. Alle brauchen immer eine Form von Gemeinschaft, Austausch in echt,
wie viel und wie auch immer.
Das macht Mut?
Ja. Mir hat es Mut gemacht: jeder der Abgebildeten hat festgestellt, dass
er oder sie nicht alleine ist. In Einzelhaft gehen Menschen kaputt, das
weiß man. Die Bilder zeigen uns, dass soziale Gemeinschaft auch im Lockdown
stattfindet, wenn auch manchmal anders. Nähe geht immer, auch mal mit
Plexiglasscheibe, mit Masken, vieles auf Abstand, aber mit Blicken. Und
dann die Freude, wenn wieder mehr geht wie bei der ersten Begegnung im
Plattenladen. Nur endlich wieder da sein zu dürfen, das war eine solche
wahnsinnige Freude für den Rentner aus Wattenscheid!
27 Oct 2020
## LINKS
[1] http://50days.de/
## AUTOREN
Bernd Müllender
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
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Comic
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