# taz.de -- Radrennen Spanienrundfahrt: Furioses Finale am letzten Berg | |
> Bei der Spanienrundfahrt kann Gesamtsieger Primož Roglič die Attacken | |
> seiner Rivalen abwehren – und ein erneutes Trauma verhindern. | |
Bild: Geste der Erleichterung: dieses Mal hat sich Primož Roglič den Gesamtsi… | |
Die Vuelta a España bot Radsport, wie er sein sollte. Erst am letzten Berg, | |
dem Alto de La Covatilla, wurde die Rundfahrt entschieden. Im steifen Wind | |
knapp unterhalb von 2.000 Meter Höhe trat erst der Drittplatzierte Hugh | |
Carthy zum Angriff an. Ihm folgte Richard Carapaz, der Gesamtzweite. Er | |
löste sich von Carthy und auch von dem hinterherjagenden Gesamtführenden | |
Primož Roglič. Sekunde um Sekunde holte Carapaz auf den letzten zwei | |
Kilometern heraus, die Hälfte seines Rückstands hatte er bereits nach etwa | |
1.000 Meter egalisiert. Es schien eine Frage der Zeit, bis der Ecuadorianer | |
dem Slowenen erneut bezwingen würde, [1][wie schon 2019 beim Giro | |
d'Italia.] | |
Roglič aber stabilisierte sich. Sein Kiefer trat hervor, das Gesicht war | |
zur Grimasse verzogen. So stampfte er den Berg hoch und hielt den Rückstand | |
zu Carapaz, wegen seiner Kraft die „Lokomotive von Carchi“ genannt, in | |
Grenzen. Zwischen beiden versuchte noch Hugh Carthy, der Überraschungsmann | |
dieser Rundfahrt, der beim Klettern sein Rad so hin und her zu werfen | |
pflegt, dass niemand, dem seine Gesundheit lieb ist, sich in seiner Nähe | |
aufhalten will, seine Erfolgstour zu versilbern oder gar zu vergolden. Die | |
drei stärksten Männer dieser Rundfahrt allein am Berg, allein im Wind, das | |
Schicksal in den eigenen Beinen. | |
Dieses Vuelta-Finale am Samstag war eines der spannendsten der letzten | |
Jahre. Mit 24 Sekunden lag am Ende Rogličin der Gesamtwertung vor Carapaz, | |
mit 47 Sekunden vor Carthy. Es war der Schlusspunkt einer denkwürdigen | |
Vuelta. Denkwürdig in erster Linie wegen des Sports. | |
Dass die Spanienrundfahrt mitten in der Pandemiesaison 2020 stattfand, | |
konnten diejenigen, die beim Rennen waren, immer wieder vergessen. Zum | |
einen, weil man sich an die Umstände bereits gewöhnt hatte. An die Masken, | |
mit denen die Fahrer zum Einschreiben fuhren. An die Selfiesticks, auf die | |
Reporter ihre Mikrofone und Smartphones montiert hatten, um die Abstände | |
einzuhalten. Gewöhnt hatte man sich auch an jenen Mitarbeiter der | |
Organisation, der vor dem Start noch in einem Mülleimer die Masken der | |
Trikotträger einsammelte, die beim Zeremoniell der Eröffnung noch in die | |
Nähe der Honoratioren des Startorts gekommen waren. Gewöhnt hatte man sich | |
auch nach fast 90 Renntagen in der Pandemiesaison an das nur spärliche und | |
meist streng auf Abstand gehaltene Publikum. | |
## Urlaub von der Pandemie | |
In den Hintergrund rückte die Pandemie aber auch, weil es bei der Vuelta, | |
zumindest Stand jetzt, keinen positiven Coronafall im Fahrerfeld gab. „Ich | |
fühle mich hier sicherer als zu Hause. Zu Hause trifft man sich ja mit | |
Leuten, hier aber sind wir komplett abgeschottet“, beschrieb Pascal | |
Ackermann, Etappensieger bei der Vuelta, die Situation. Die Einschätzung | |
war mehrheitsfähig. Aus Sicht der meisten war das Rennen eine Art Urlaub | |
von der Pandemie, ein Ansteckungsrisikovermeidungstrip. | |
Im Gegensatz dazu schnellten jenseits der Strecke die Infektionszahlen | |
hoch. Der Profisport auf Rädern kreierte aber seine Blase der Geschützten | |
und Privilegierten. Transparente in den Durchfahrtsorten der Rundfahrt, die | |
mehr Geld für Krankenhäuser forderten und auch Entschädigung für | |
geschlossene Betriebe, rückten die Pandemie und deren Folgen wiederum | |
stärker in den Fokus. | |
Lässt man diesen Gesamtwiderspruch von Profisport in Pandemiezeiten jedoch | |
außer Acht, dann bot diese Vuelta vor allem exzellenten Sport, einen stets | |
engen Zweikampf zwischen Roglič und Carapaz, in den sich am Ende sogar noch | |
Carthy einmischte. Der mutmaßliche Sieger Roglič – die Rundfahrt endete | |
Sonntagabend mit einem Sprint in Madrid – zeigte sich vom Trauma seiner | |
Niederlage am vorletzten Tag der Tour de France bestens erholt. [2][Und der | |
Brite Chris Froome], der immer noch lädierte einstige Rundfahrtdominator, | |
erfand die Helferrolle neu und hegt im Alter von 35 Jahren dennoch | |
weiterhin den ehrgeizigen Traum, noch einmal da anzukommen, wo er einmal | |
war und wo jetzt Roglič, der doppelte Vuelta-Sieger, ist. | |
Ein schönes Bild gab es am Ende der Vuelta zu sehen. Unmittelbar nach | |
Überqueren des Zielstrichs auf dem Alto de La Covatilla fuhr Roglič zu | |
Carapaz. Er zollte ihm Respekt für die letzte Attacke. Und Carapaz erkannte | |
fair den Gesamtsieg seines Rivalen an. | |
8 Nov 2020 | |
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## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
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