| # taz.de -- Direktorin über Museumsarbeit während Corona: „Wir müssen Posi… | |
| > Das Zeppelin-Museum in Friedrichshafen trotzt Corona mit einem | |
| > Debatorial. Ein Gespräch über neue Museumsformate. | |
| Bild: Die Direktorin des Zeppelin Museum Friedrichshafen Claudia Emmert | |
| taz: Frau Emmert, wie geht es Ihnen und Ihrem Museum? Bei der erneuten | |
| Schließung? | |
| Claudia Emmert: Das ist natürlich schwer für uns, weil wieder Einnahmen | |
| wegfallen, wieder das Programm in den Hintergrund rückt. Wir waren gerade | |
| auf dem Weg, bei uns im Museum das Digitale und das Analoge miteinander zu | |
| verschränken. Diese Entwicklung wird jetzt gestoppt. Auf der anderen Seite | |
| ist die Gesamtlage der Infektion einfach so, dass man guten Gewissens | |
| gerade nicht aufhaben kann. | |
| Sind Sie jetzt besser vorbereitet als im Frühling? | |
| In einem Museum steckt man in einem Turnus fest. Man produziert | |
| Ausstellungen, die erforscht und vorbereitet werden müssen, man hat ein | |
| laufendes Vermittlungsprogramm, ist stets auf der Suche nach neuen Themen. | |
| Das war die große Chance im ersten Lockdown, dass wir auf einmal Zeit | |
| hatten, uns zu fragen, was ein zeitgemäßes Museum ist und wie wir uns | |
| innerhalb der Gesellschaft neu aufstellen sollten. Wir haben die Zeit | |
| genutzt, unser Debatorial zu entwickeln. Auch die anderen Museen haben | |
| unterschiedliche Projekte verfolgt. Wir sind alle inzwischen einen Schritt | |
| weiter, aber ob sich das jetzt noch einmal so wiederholen lässt, ist die | |
| Frage. | |
| Mit dem Debatorial sind Sie Ende September online gegangen. Worum geht es | |
| da? | |
| Eigentlich hätte die Ausstellung „Beyond States – Über die Grenzen von | |
| Staatlichkeit“ im Mai eröffnet werden sollen. Dann kam Corona dazwischen | |
| und das Interessante war, wie die Inhalte dadurch neue Relevanz erlangt | |
| haben. Unser Museum hat im Jahr durchschnittlich 240.000 Besucher*innen, | |
| viele davon sind Urlauber*innen. Manche kommen direkt nach dem Schwimmen im | |
| See zu uns. | |
| Themen wie Staatsbürgerschaft, Staatsgrenzen, Staatsgewalt wirken dann | |
| eventuell etwas anstrengend. Deswegen hatten wir schon überlegt, wie wir | |
| Brücken zum Alltagsleben der Besucher*innen bauen können. Dann kam Corona, | |
| auf einmal waren die Grenzen geschlossen, wurden Freiheitsrechte | |
| eingeschränkt. Auf einmal hat jede*r gemerkt, was Staatsgewalt ist. Es | |
| wurden neue Fragen aufgeworfen. Wir haben gemerkt, dass wir die ganze | |
| Ausstellung noch mal überarbeiten mussten. | |
| Das ist der inhaltliche Part, aber was ist das Debatorial für ein Format? | |
| Wir wollten unseren Reflexions- und Forschungsprozess sichtbar machen und | |
| sind deswegen davon abgekommen, eine Ausstellung zu konzipieren, die eine | |
| Ergebnispräsentation ist. Wir wollten einen Diskurs in Gang setzen und die | |
| Menschen und ihre lebensweltliche Erfahrung in die wissenschaftliche | |
| Analyse mit einbinden. | |
| Unser Anliegen war es, eine Debattenplattform zu schaffen, die im hohen | |
| Maße partizipativ ist. Wo die Leute unter jedem Text einen Kommentar | |
| hinterlassen können. Wo es Umfragen gibt, Quizformate, interaktive Karten, | |
| Linklisten. Wo wir auf verschiedenen Ebenen Menschen zur aktiven | |
| Beteiligung am Diskurs aufrufen. | |
| Wie gelingt Ihnen das? Wie erreichen Sie die Leute? | |
| Wir haben natürlich sehr viele Inhalte von Beginn an auf der Plattform | |
| zugänglich gemacht: die künstlerischen Positionen, die historischen Themen | |
| aus der Luftfahrt. Das haben wir alles online gestellt und ein | |
| umfangreiches Liveprogramm entwickelt. Woche für Woche kommen neue Inhalte | |
| dazu. Dann haben wir haben verschiedenen Plattformen miteinander verwoben. | |
| Sie können ja nicht einfach eine Plattform online stellen und hoffen, dass | |
| die Leute sie besuchen. Wir mussten Anker setzen, etwa auf Facebook. Wir | |
| haben eine Gruppe auf Telegram. Andere Diskurse laufen auf Instagram. So | |
| haben wir versucht, diese bestehenden Plattformen zu nutzen, um immer | |
| wieder aufs Debatorial zu verlinken. | |
| Und das funktioniert? | |
| Wir hatten seit dem 2. Oktober knapp 3.000 Besucher*innen auf dem | |
| Debatorial. Damit sind wir ganz zufrieden, aber die meisten Debatten finden | |
| auf Facebook statt. Vergangene Woche etwa hatten wir eine | |
| Podiumsdiskussion über Seenotrettung. Da ging es auf Facebook richtig ab | |
| und wir haben Kommentare bekommen, die wir so auf dem Debatorial nicht | |
| bekommen würden. | |
| Und die Sie sich wohl so auch nicht gewünscht haben. Wie gehen Sie mit | |
| problematischeren Kommentaren um? | |
| Das muss man aushalten. Wir leben in einer Demokratie. Natürlich haben wir | |
| eine Netiquette eingeführt. Man muss Menschen auch in Schranken weisen, | |
| etwa bei rassistischen Äußerungen, aber man kommt nur weiter, wenn man | |
| solche Stimmen tatsächlich aufgreift und lernt, damit umzugehen. | |
| Es ist ein Lernprozess für uns als Kultureinrichtungen, nicht nur in | |
| unserer Blase mit kulturinteressierten Menschen zu diskutieren, sondern mit | |
| allen. Wenn man mehr Partizipation im Museum zulassen möchte, muss man für | |
| die polyfone Gesellschaft in ihrer gesamten Breite offen sein. | |
| Im Einführungsvideo zum Debatorial sagen Sie, Sie würden das Museum als | |
| politischen Raum verstehen. Wie ist das gemeint? | |
| Ich glaube, dass Museen eine viel stärkere gesellschaftspolitische Rolle | |
| übernehmen müssen. Sie müssen ein Ort des Diskurses für aktuelle | |
| Fragestellungen werden, an dem Vergangenheit analysiert und daraus | |
| Rückschlüsse für unsere Gegenwart gezogen werden. Ein Museum muss auch | |
| immer ein globaler Ort sein, ein multikultureller, ein polyfoner Raum. | |
| Unsere Gesellschaft ist eine Einwanderungsgesellschaft, das sollte sich in | |
| den Museen spiegeln, auch in der Pluralität der Perspektiven. Wir müssen | |
| in unserer Gegenwart – nicht parteipolitisch – aber ganz klar politisch, | |
| was Menschenrechte und demokratische Ideale angeht, Position beziehen. | |
| 13 Nov 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Beate Scheder | |
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