| # taz.de -- Coronapandemie und Kliniken: Die Welle rollt an | |
| > In den nächsten Wochen werden immer mehr Covid-19-Erkrankte die Kliniken | |
| > füllen. Zur Not sollen Patient*innen bundesweit verteilt werden. | |
| Bild: Das Berliner Notfallkrankenhaus auf dem Messegelände steht noch leer | |
| Berlin/Bremen taz | Diese Woche hatte Andreas Schneider einen Patienten, | |
| der nach einer Herzklappen-OP vier Tage im Koma lag. Zwei Tage vor seinem | |
| Hochzeitstag ist er aufgewacht, seine Frau half und motivierte ihn, bis er | |
| endlich wieder etwas essen konnte. Es ist eine dieser schönen Geschichten | |
| aus dem Alltag des Intensivpflegers Schneider. Deshalb macht er die Arbeit | |
| seit 16 Jahren, derzeit im Klinikum Links der Weser in Bremen. Der Patient | |
| war einer, der ihm das Gefühl gab, alles richtig gemacht zu haben. | |
| Mit Covid-Patient*innen arbeitet Schneider derzeit, anders als in der | |
| ersten Welle der Pandemie, noch nicht wieder. Er erzählt diese Geschichte, | |
| um zu zeigen: Als Intensivpfleger geht es nicht nur darum, Menschen am | |
| Leben zu halten, sondern für sie da zu sein. Oft ist er Seelsorger, auch | |
| für die Angehörigen. | |
| Jetzt, da die zweite Welle der Pandemie einschlägt, gehen diese Aspekte der | |
| Arbeit in den Kliniken unter – die Frage verengt sich darauf, ob Betten und | |
| Personal irgendwie reichen. Derzeit liegen in den Kliniken in Deutschland | |
| immer mehr Covid-19-Patient*innen, die intensiv behandelt werden, 2.753 | |
| waren es am Freitag. Rund 7.000 Betten sind bundesweit noch frei. Das | |
| Wachstum der Kurve bei den Infizierten verlangsamt sich zwar allmählich: | |
| 21.506 neue Corona-Infektionen sind zuletzt an einem Tag erfasst worden, | |
| 166 Menschen verstorben. | |
| ## Bis zu sechs Wochen auf der Intensivstation | |
| Sollte sich der Trend tatsächlich bestätigen und die Einschränkungen | |
| sollten wirken, ist das aber noch keine Entwarnung für die Kliniken: Dort | |
| kommen die schwer Kranken, die auch beatmet werden müssen, erst mit einer | |
| Verzögerung von 14 Tagen nach den Infektionen an. Zuletzt hat sich die | |
| Zahl der Intensivpatient*innen binnen elf Tagen verdoppelt. Und sie bleiben | |
| lang, manche liegen bis zu sechs Wochen auf den Intensivstationen. Die | |
| füllen sich also zunehmend, während zunächst kaum Covid-19-Erkrankte | |
| entlassen werden. | |
| Einzelne Regionen können deshalb schnell überlastet sein. „Ich habe Angst, | |
| dass es wieder so wird wie in der ersten Welle: viel Arbeit, wenig Pause, | |
| sodass man den Patienten nicht mehr gerecht wird“, sagt Schneider. Damals, | |
| im April, hat er einmal in einer Schicht so viel geschuftet, dass er | |
| beinahe kollabiert wäre. | |
| Auch wenn die Betten rechnerisch noch reichen: In Bremen, sagt Schneider, | |
| seien sie jetzt schon an ihren Grenzen. Aus Abteilungen wie der seinen | |
| werde Personal abgezogen, um Covid-19-Patient*innen behandeln zu können. | |
| „Das ist eine Teamleistung der ganzen Klinik“, sagt er. | |
| Egal, wo man anruft: Überall heißt es, den großen Engpass gebe es bei den | |
| Pflegekräften. | |
| Am Mittwoch startete die Berliner Krankenhausgesellschaft einen Aufruf: | |
| „Bitte kontaktieren Sie die Krankenhäuser und helfen Sie bei der Versorgung | |
| der wachsenden Anzahl an Covid-19-Patientinnen und -Patienten“, schrieb | |
| sie. Und auch die Berliner Charité schreibt: „Freie Intensivbetten stehen | |
| noch zur Verfügung – der bundesweit anhaltende Fachkräftemangel an | |
| Pflegepersonal wird zum limitierenden Faktor.“ | |
| Um in einzelnen Regionen einen Kollaps zu vermeiden, sollen Patient*innen | |
| zur Not bundesweit verteilt werden, so heißt es in einem | |
| Bund-Länder-Strategiepapier, das der taz vorliegt. Drei Stufen sieht es | |
| vor. Von normalen Verlegungen zwischen Kliniken einer Region bis zur | |
| dritten, der roten Stufe: Da sollen je drei bis fünf Bundesländer zu einem | |
| „Kleeblatt“ zusammengefasst werden und gemeinsame Krisenstäbe die | |
| Verlegungen organisieren. | |
| Die ADAC-Luftrettung meldete unterdessen, man stehe mit 37 Hubschraubern | |
| bereit: „Wenn Sie Meldungen bekommen, dass Intensivstationen voll sind, | |
| dann können Sie damit rechnen, dass wir fliegen“, so ein Sprecher. | |
| ## Provisorisches Notfallkrankenhaus auf dem Messegelände | |
| Noch aber sind das nur Pläne, die Kleeblatt-Krisenstäbe haben ihre Arbeit | |
| noch nicht aufgenommen, heißt es aus Regierungskreisen. Auch in Berlin | |
| werden Reserven noch nicht angezapft: Dort steht ein provisorisches | |
| Notfallkrankenhaus auf dem Messegelände nach wie vor leer. | |
| Die Verfügbarkeit von Pflegekräften schlägt sich auch auf eine andere Frage | |
| nieder: wie und ob Angehörige ihre erkrankten Freunde und Verwandten | |
| besuchen können. Mit mehr Personal könnte auch ein Hygienekonzept gestemmt | |
| werden, das Besuche erlaubt, sagt Daniela Golz. Sie ist | |
| Patientenfürsprecherin im Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum in Berlin und | |
| betont, wie wichtig Besuche für Patient*innen sind. | |
| Für Menschen, die nur wenige Tage im Krankenhaus sind, seien Besuchsverbote | |
| noch erträglich, sagt sie. Bei Patient*innen, die längere Zeit in der | |
| Klinik bleiben müssen oder schwer krank sind, ist das anders. Vergangene | |
| Woche etwa habe sie eine Frau angerufen, die verzweifelt war, weil sie | |
| dachte, sie dürfe ihren Mann auf der Intensivstation nun gar nicht mehr | |
| besuchen. „Sie wurde dann aber sogar von der Klinik gebeten zu kommen“, | |
| erzählt Golz. | |
| Die taz hat in mehreren Bundesländern nachgefragt, wie und ob Besuche von | |
| Angehörigen in Krankenhäusern in der Coronakrise erlaubt sind. Mittlerweile | |
| haben dazu viele Länder Verordnungen erlassen. Die sind unterschiedlich | |
| streng gefasst. In Berlin dürfen Patient*innen grundsätzlich einmal am | |
| Tag von einer Person besucht werden, so wie in Baden-Württemberg. | |
| In Thüringen sind es zwei Besucher*innen für höchstens zwei Stunden. Im | |
| Saarland gibt es ein Besuchsverbot. Hamburg hingegen hat seine Vorgaben im | |
| Juni gelockert und weist die Kliniken jetzt an, durch geeignete Maßnahmen | |
| zu verhindern, dass das Coronavirus in die Krankenhäuser getragen wird. | |
| Doch es gibt auch Ausnahmen: In Berlin dürfen schwerstkranke und sterbende | |
| Menschen und kranke Kinder unter 16 Jahren uneingeschränkt besucht werden, | |
| auch andere Länder handhaben das so. Frauen dürfen sich von einer Person | |
| zur Geburt begleiten lassen und danach auch eine Stunde täglich besucht | |
| werden. Allerdings dürfen die Kliniken überall nach eigenem Ermessen | |
| strengere Regeln aufstellen. | |
| So machen es einige Kliniken in Niedersachsen, wo es keine strikten | |
| landesweiten Vorgaben mehr gibt, sondern die Kliniken angehalten sind, | |
| selbst Lösungen zu finden. Im Frühjahr war dort mit der Coronaverordnung | |
| auch ein Besuchsverbot in Krankenhäusern festgelegt worden. Die | |
| Krankenhäuser in der Region Osnabrück handhaben das nun wieder so. Doch | |
| auch hier gilt: Kritisch kranke Menschen, beispielsweise auf der Intensiv- | |
| oder Palliativstation, und auch sterbende Menschen dürfen besucht werden. | |
| Und auch hier dürfen Partner*innen Frauen bei der Geburt begleiten. | |
| „Wir wollen unsere Patientinnen und Patienten und Mitarbeiterinnen und | |
| Mitarbeiter vor einem Risiko der Infektionsübertragung durch Besucher | |
| schützen“, erklärt Dieter Lüttje, stellvertretender ärztlicher Direktor d… | |
| Klinikums Osnabrück, die Maßnahmen am Telefon. Es gebe aber auch die | |
| besonderen Fälle: Während der ersten Welle habe einem jungen Mann nach | |
| einem Unfall ein Bein amputiert werden müssen. „Da war es wichtig, dass bei | |
| seinem Aufwachen jemand da ist, der das mit ihm aushält.“ | |
| Das Beispiel macht klar, was alle Kliniken, mit denen die taz gesprochen | |
| hat, versuchen umzusetzen: Die Patient*innen sollen in besonders | |
| schwierigen Situationen nicht allein sein, das gilt auch für | |
| Covid-Patient*innen. Auch wenn Infektionsschutz immer vorgeht, niemand soll | |
| alleine sterben. Das zu vermeiden sei der Klinik ein besonderes Anliegen, | |
| sagt Lüttje. | |
| Dass das Besuchsverbot für alle nicht schwer erkrankten Patient*innen und | |
| ihre Angehörigen hart ist, steht für ihn außer Frage. Wie schon während der | |
| ersten Welle wurden die Telefone und das Internet für alle Patient*innen | |
| freigeschaltet. Um die Belastung für sie etwas abzumildern, wie Lüttje | |
| sagt. | |
| Die erst kürzlich in Deutschland erlaubten Antigenschnelltests helfen in | |
| den Kliniken dagegen bisher kaum. Sie sollen eigentlich binnen 15 bis 30 | |
| Minuten prüfen, ob jemand infiziert ist. Sensitivität und Spezifität | |
| entsprächen aber noch nicht dem Standard der besseren PCR-Tests, sagt | |
| Lüttje. „Es gibt also keine ausreichende Sicherheit, dass jemand, der | |
| negativ getestet wurde, auch wirklich nicht infiziert ist. Andererseits | |
| kann es falsch positive Testergebnisse geben“, warnt er. Hinzu kommt: | |
| Schnelltests würden für die Klinik einen erheblichen personellen | |
| Mehraufwand bedeuten, der dann an anderer Stelle fehle, sagt Lüttje. | |
| ## Antikörpertests sind noch viel zu unsicher | |
| Andreas Bobrowski, Vorsitzender des Berufsverbands Deutscher Laborärzte, | |
| weist darauf hin, dass es bisher noch keine unabhängige Validierung dafür | |
| gibt, wie gut die Tests sind. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und | |
| Medizinprodukte führt zwar eine Liste mit fast 40 Antigentests, aber das | |
| sei nur eine Marktübersicht, sagt ein Sprecher. | |
| Weder das Robert-Koch-Institut noch das für die Zulassung von | |
| Medizingeräten zuständige Paul-Ehrlich-Institut sind von der | |
| Bundesregierung mandatiert, die Tests zu überprüfen. Derzeit verlassen sich | |
| alle Einrichtungen bei den Tests auf Herstellerangaben. „Das ist viel zu | |
| unsicher, um diese Teste in empfindlichen Bereichen einzusetzen“, sagt | |
| Bobrowski. | |
| Das bedeutet auch: Für Pfleger wie Andreas Schneider werden die | |
| Schnelltests kaum Entlastung bringen. Die erste Coronawelle hat ihn so | |
| mitgenommen, dass er sich seinen ganzen Frust von der Seele gerappt hat. | |
| Zusammen mit zwei Musiker*innen aus Hamburg nahm er einen Song auf: | |
| [1][„Keine Pause“.] „Platt, platt und am Limit, bin ich eine Gefahr? Dara… | |
| komm ich nicht klar“, singt er darin. Das war die Angst in der ersten Welle | |
| – dass man eventuell selbst die Patient*innen ansteckt. „Niemand hatte so | |
| etwas je durchgemacht.“ Wirklich weg sei diese Angst nicht. | |
| 7 Nov 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.youtube.com/watch?v=JJtyD1BNtvQ | |
| ## AUTOREN | |
| Ingo Arzt | |
| Marthe Ruddat | |
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