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# taz.de -- Demo von Aserbaidschanern: Bergkarabach in Berlin
> Aserbaidschanische und türkische Demonstrant*innen protestieren in Berlin
> gegen die „armenische Aggression“. Dagegen protestieren Armenier*innen.
Bild: Der armenischstämmige Künstler Mischa Badasyan protestiert gegen Aserba…
Mischa Badasyan ist ein Einzelgänger. Er protestiert vor dem Gebäude der
türkischen Botschaft in Berlin. Er trägt ein Kleid mit langer Schleppe an.
Es sieht wie ein Brautkleid aus. Die Farbe ist rot. Rot wie die türkische
Flagge, rot wie Blut. Sein Gewand liegen eng an seinem Körper an, Arme und
Beine scheinen wie am Körper fixiert, wie bei einer Zwangsjacke. Ein langer
Rollkragen bedeckt sein Gesicht bis zu den Augen. Auf einem Plakat steht
„Stop wars“. Mit seiner Protestperformance appelliert der armenischstämmige
Berliner Künstler an die Türkei, die in den Krieg im Südkaukasus
militärisch eingreife.
Währenddessen versammeln sich aserbaidschanische und türkische
Demonstrant*innen am Samstag nachmittag nicht weit von der Protestaktion
von Badasyan. Vom Alexanderplatz über die Straße Unter den Linden wollen
sie bis zum Brandenburger Tor marschieren. Das ist die gleiche Strecke, wo
am vergangenen Samstag die armenische Community gegen die
„Türkisch-Aserbaidschanen Angriffe“ demonstriert und ein „Ende der
Expansion autoritärer Regime“ gefordert hatte.
An diesem Samstagnachmittag protestieren Menschen aus dem Gegenlager unter
dem Motto: „Stoppt die armenische Aggression“, und „Glaubt nicht an die
armenische Lüge“.
Seit drei Wochen sind hunderte Soldaten in dem neu eskalierten Krieg um
Bergkarabach zwischen Armenien und Aserbaidschan gefallen. Es sind die
schwersten Kämpfe seit Jahrzehnten.
Der Territorialkonflikt um das von Armenier*innen bewohnte Gebiet
Bergkarabach, das zu Sowjetzeiten der Teilrepublik sowjetischem
Aserbaidschan vom Joseph Stalin zugeschlagen worden war, schwelt seit über
30 Jahren. Ein Krieg Anfang der 1990er-Jahre, in dem unterschiedlichen
Schätzungen zufolge zwischen 25.000 und 50.000 Menschen getötet und über
1,1 Millionen vertrieben wurden, mündete 1994 in einen Waffenstillstand,
der aber immer wieder gebrochen wurde.
## Bergkarabach hatte 1991 seine Unabhängigkeit erklärt
Baku hatte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die Kontrolle über das
von christlichen Karabach-Armeniern bewohnte Gebiet verloren. 1991 hatte
Bergkarabach – wie auch Aserbaidschan und Armenien – seine Unabhängigkeit
als Republik erklärt, die allerdings bis heute von keinem Staat der Welt
und auch von der Schutzmacht Armenien nicht anerkannt wird.
Aserbaidschan spricht von einer Okkupation seines Gebietes, das weiterhin
völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehört. Mit militärischen Mitteln versucht
das Regime von Staatspräsident Ilham Alejew die Region wieder unter
aserbaidschanische Kontrolle zu bringen. Dafür protestieren auch die
Demonstrant*innen heute am Brandenburger Tor in Berlin.
„Obwohl sich unsere Körper unabhängig von ihren politischen Ansichten und
Positionen im Ausland befinden, schlägt heute das Herz eines jeden von uns
für unsere Armee, für die aserbaidschanischen Soldaten“, so lautet das
Motto, unter dem die „Allianz der Aserbaidschaner in Deutschland“ die
aserbaidschane Community bundesweit aufgefordert hatte, sich dem Marsch
anzuschließen.
„Armenien bombardiert unsere Städte, tötet Frauen und Kinder“, sagt Nina.
Die Aserbaidschanerin will ihren Nachnamen nicht nennen. Sie ist besorgt
und wünscht sich, dass auch die Bundesregierung Armenien sanktioniert. „20
Prozent unseres Landes hat Armenien okkupiert“, sagt sie. „Und „die
armenischen Truppen wollen weiter marschieren“. „Paschinjan ist ein
Terrorist“, rufen Männer. Gemeint ist Armeniens Premierminister Nikol
Paschinjan.
## Starkes Polizeiaufgebot und Ultranationalisten
Heydar Huseynov (34) ist mit seiner Frau aus Heilbronn nach Berlin
gekommen, um „gegen die armenische Aggression und für einen gerechten
Frieden zu demonstrieren“. „Wir wollen, dass 800.000 Aserbeidschaner, die
während des Krieges in den 90er Jahren aus Bergkarabach und aus den
umliegenden Gebieten geflüchtet sind, wieder in ihre Häuser zurück kehren
können“, sagt Huseynov. Und er wünscht sich, dass „Armenier und
Aserbaidschaner in Frieden zusammenleben, so wie früher“.
Die Demonstration wird von einem starken Polizeiaufgebot begleitet. Immer
wieder werden die Teilnehmer*innen dazu aufgefordert, Masken zu tragen und
Abstand zu halten. Es wird immer lauter. „Schießt weiter,
aserbaidschanische Soldaten!“, „Geht voran“, schreien Menschen. „Karaba…
gehört zu Aserbaidschan. Wer das nicht will, soll erblinden“, rufen sie. Es
werden militärisch-patriotische Lieder gespielt und viele singen mit.
Die Demonstrant*innen tragen auch türkische Flaggen unter dem Motto: „Eine
Nation, zwei Staaten“. So hatte seinerzeit der damalige Staatspräsident
Aserbaidschans, Heydar Alijew, die Beziehungen der zwei türkischsprachigen
Länder beschrieben. Heute benutzt sein Sohn Ilham Alijew diesen Slogan, der
nach dem Tod 2003 seines Vaters an die Macht kam, um die Verbundenheit
seines Staates mit der Türkei hervorzuheben.
Unter diesem Motto unterstützt auch die türkische Regierung von Präsident
Recep Tayyip Edgogans Aserbaidschan im Krieg gegen Armenien.
„Aserbaidschans Leid ist unser Leid, seine Freude ist unsere Freude“
twitterte der ehemalige deutsche Fußballnationalspieler Mesut Özil über den
Konflikt und schrieb: „Eine Nation, zwei Staaten“. Diese Ideologie
vereinigt auch viel Demostrant*innen.
Auch Ultranationalisten sind dabei. Sie fordern eine Turanismus-
Vereinigung der türkischsprachigen Völker. Einige Jugendliche zeigen das
Symbol der Grauen Wölfe – die größte rechtsextreme türkische Organisation
in Deutschland. Und sie halten ein Plakat hoch, darauf steht: „Wir haben
alles Recht auf Karabach“.
Seit dem 27. September wurden auf armenischer Seite bislang 633 Soldaten
getötet. Aserbaidschan macht bislang keine Angaben zu den Opfern. Tausende
sind in der Flucht. Beide Länder mobilisieren weiter unter den
einsatzfähigen Bewohnern, ein Ende der bewaffneten Auseinandersetzungen ist
– trotz eines vereinbarten Waffenstillstandes, nicht in Sicht.
17 Oct 2020
## AUTOREN
Tigran Petrosyan
## TAGS
Schwerpunkt Bergkarabach
Armenien
Aserbaidschan
Demo
Schwerpunkt Bergkarabach
Andreas Kalbitz
Der Hausbesuch
Schwerpunkt Bergkarabach
Armenien
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