| # taz.de -- Berliner Kinotipp der Woche: Unternehmer ihrer selbst | |
| > Analytisch und poetisch: Der Dokumentarfilm „Olanda“ begleitet rumänische | |
| > Tagelöhner beim Pilze- und Beerensammeln in den Karpaten. | |
| Bild: „Olanda“ (D 2019, R.: Bernd Schoch) läuft im Kino Krokodil | |
| Es dämmert noch nicht, als sich die Familie ums Feuer versammelt. Ein wenig | |
| Wärme tanken, Kaffee schlürfen, ein gemeinsames Gebet. Über holprige Wege | |
| fahren sie zu einem Punkt von dem aus sie durch den dichten Wald die Berge | |
| der Karpaten hinauf gehen können. Langsam arbeiten sich Ioan und seine Frau | |
| in der Dämmerung den Hang hinauf, den Blick auf den Boden gerichtet. | |
| Mit der Zeit wird es heller bis schließlich die Sonne durch die Baumwipfel | |
| scheint. Tagsüber schleppen sich die Familien die Berge hinauf und die | |
| Körbe mit Pilzen und Beeren herunter. Der Hamburger Dokumentarfilmer Bernd | |
| Schoch zeigt in „[1][Olanda]“ das Geschäft mit den Pilzen und Beeren, das | |
| in Rumänien jährlich Scharen von Tagelöhnern anlockt. | |
| Tag für Tag pendeln die Collectori, die Pilzsammler, zwischen ihren | |
| improvisierten Zeltlagern im Tal und den Bergen hin und her und sammeln | |
| kiloweise Steinpilze, Pfifferlinge und Blaubeeren für den internationalen | |
| Markt. Nachmittags kommen sie an Kreuzungen oder am Straßenrand mit den | |
| Ciupercari, den Ankäufern, zusammen, sortieren ihr Tagwerk in Kisten, | |
| lassen es wiegen und sehen zu wie der Ankäufer von Geldbündeln ein paar | |
| wenige Scheine herunterzählt. | |
| Einige der Scheine wechseln danach gleich wieder zurück, wenn die | |
| Sammler:innen von den Ankäufern Lebensmittel, Zigaretten und Bier erwerben. | |
| Bevor die Familien sich im Herbst als Erntehelfer verdingen, sind sie für | |
| eine kurze Zeit Unternehmer ihrer selbst, konkurrieren mit ihren | |
| Zeltnachbarn, um am Ende des Tages wie diese von den Ciupercari, den | |
| Aufkäufern, beim Preis geprellt zu werden. Abends stehen die Männer am | |
| Lagerfeuer. Streitigkeiten werden geklärt, manch einer verspielt die | |
| Einnahmen des Tages gleich wieder. | |
| Die nebelverhangene Bergidylle, die immer wieder in Totalen der Landschaft | |
| anklingt, ist Anfangspunkt einer Ausbeutungskette, die sich entlang des | |
| Vertriebswegs der Pilze fortsetzt. Die zweite Landschaft des Films ist eine | |
| unterirdische, ein Mycel, der unterirdische Teil der Pilze, ist in den | |
| ersten Bildern des Films zu sehen. Wie der Pilzkörper als sichtbarer Teil | |
| des Pilzes ist das Sammeln in den Wäldern jener Moment in der | |
| Verwertungskette der Pilze, in dem diese zur Ware und damit sichtbar | |
| werden. | |
| Drei Monate drehten Schoch und sein Team in zwei Tälern entlang der | |
| rumänischen Passstraße Transalpina. Die Zeit brauchte es, damit die | |
| Sammler:innen den Filmemacher und sein Team kennenlernen konnten und sie | |
| als Begleitung akzeptierten. „Die Hauptvorbehalte uns gegenüber waren, dass | |
| wir uns im Wald verlaufen oder sie bei der Arbeit aufhalten könnten.“ | |
| (Bernd Schoch auf der Duisburger Filmwoche). Wer sieht, in welchem Tempo | |
| die Sammler:innen die Berge hochgehen, versteht den Gedanken. | |
| „Olanda“ ist ein gelungener Balanceakt: präzise beobachtet, analytisch in | |
| der Montage und zugleich so poetisch, wie es der Film sein kann, ohne die | |
| Verhältnisse zu romantisieren. Im Gleichgewicht gehalten wird der Film | |
| nicht zuletzt von Schochs Interesse an den Lebensrealitäten der | |
| Sammler:innen. | |
| „Die Leute sind keine Spielbälle. Sie stehen erst einmal nur für sich. Wir | |
| wollten ihnen als Menschen Raum geben“. Die Kraft von „Olanda“ besteht | |
| darin, ein System zu analysieren ohne von den Menschen, die in ihm | |
| arbeiten, zu abstrahieren. | |
| Nachdem Bernd Schochs Film letztes Jahr im Forum der Berlinale lief und | |
| danach auf diversen Festivals Erfolge feierte, hätte er dieser Tage einen | |
| kleinen Kinostart im Verleihprogramm des Arsenals haben sollen. Stattdessen | |
| läuft er nun doch nur in Einzelvorführungen, von denen jede einzelne eine | |
| Gelegenheit zur Begegnung mit einem der interessantesten Filme des | |
| diesjährigen Kinoprogramms ist. | |
| 15 Oct 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://fuenferfilm.de/home/olanda | |
| ## AUTOREN | |
| Fabian Tietke | |
| ## TAGS | |
| Tagelöhner | |
| taz Plan | |
| Schwerpunkt Wahlen in Rumänien | |
| Filmkritik | |
| taz Plan | |
| Programmkino | |
| Ökonomie | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Berliner Kinotipp der Woche: Zwischen Träumen und Realität | |
| Das Festival „Film Restored“ der Deutschen Kinemathek lädt zu Entdeckungen | |
| quer durch die europäische Filmgeschichte ein. | |
| Programmkinos kämpfen um Existenz: Lichte Momente | |
| Trotz Corona gibt es Neu- und Wiedereröffnungen: das Klick im Juni, das | |
| Sinema Transtopia im September, wohl im Oktober das Intimes in | |
| Friedrichshain. | |
| Dokumentarfilm über das Geld: Ohne Kredite gibt es keine Gewinne | |
| In ihrem Film „Oeconomia“ gibt die Regisseurin Carmen Losmann einen | |
| lustigen Einblick in die Bankenwelt und einen Basiskurs in Geldtheorie. |