# taz.de -- Die Wahrheit: Ein Bett im Schlachtfeld | |
> Die Rote Armee Fraktion bekommt zum 50. Jahrestag der Gründung der RAF im | |
> Jahr 1970 ein musikalisches „Terroristical“. | |
Bild: Bekannte Produktmarke für ein neues Musical | |
Viel wurde in diesem Jahr bereits geschrieben und diskutiert über 50 Jahre | |
RAF. Aber wen erreicht eigentlich diese Form der Aufarbeitung unserer | |
jüngeren Geschichte? Die breite Masse nicht. Zwei aufstrebende | |
Musikproduzenten wollen das jetzt ändern und dem Gedenken mehr Glamour | |
verleihen. Und so gibt es bald die Geschichte der Roten Armee Fraktion als | |
Musical. | |
„Mit ‚RAF – ein Terroristical‘ wollen wir völlig neue Wege in der popu… | |
Geschichtsrezeption eröffnen“, sagt Holger Prinkhaus, einer der beiden | |
Musical-Produzenten, der seinen Bachelor in Literaturwissenschaft schon | |
fast in der Tasche hat. „Ich würde eher sagen: RAF – das knallt einfach!�… | |
springt ihm sein Partner Dennis Czerny bei. | |
„Die jüngere deutsche Geschichte ist schon oft musikalisch umgeschrieben | |
worden: Das Musical über Rosemarie Nitribitt oder das Wunder von Bern. | |
Ludwig der Zweite hat sogar zwei bekommen!“, meint Prinkhaus. Und Czerny | |
ergänzt: „Und was die Karten verkauft haben!“ Die Motivationen sind also im | |
Produktionsteam breit gefächert. Was erwartet aber die Zuschauer, wenn sie | |
sich dem „Terroristical“ aussetzen? | |
Wir besuchen das Team bei den Endproben in Bochum. Was sofort auffällt: Das | |
Bühnenbild stellt eine überdimensionale Bierflasche dar. Prinkhaus erklärt | |
den faszinierenden Einfall: „Wir haben etwas gesucht, das Deutschland als | |
Ganzes darstellt. Über alle ideologischen Grenzen hinweg. Also: Bier.“ Das | |
Innere der Flasche verwandelt sich durch gezielten Lichteinsatz mal in das | |
Kanzleramt, mal in das Gefängnis von Stammheim, mal in den Innenraum eines | |
Mercedes. | |
## Die Angst im Zuschauer | |
Dem optischen Minimalismus entspricht auch die musikalische Umsetzung. „PC | |
Productions“ wie Prinkhaus und Czerny ihre Firma kongenial genannt haben, | |
setzen beim Sound auf Outsorcing: „Wir haben alles auf den Philippinen | |
produzieren lassen. Klingt wie ganz großes Kino, kostet aber nur ein | |
Drittel“, sagt Czerny. Sein Kompagnon wiegelt ab: „Die Musik ist beim | |
Musical ja nicht so wichtig. Aber das Gefühl.“ Dass ein Musical über | |
Terrorismus Angst im Zuschauer auslöst, ist nur folgerichtig. Auch wenn es | |
sich um Angst vor dem nächsten Song handelt. | |
Denn das RAF-Terroristical ist ein sogenanntes Jukebox-Musical. Dabei wird | |
auf eigens komponierte Stücke verzichtet, dafür bedient man sich im weiten | |
Feld der Popmusik. So kommen auch Lieder zu Gehör, die man zunächst nicht | |
mit der RAF assoziiert. Deshalb wurden ihnen neue Texte zugeordnet. „Unsere | |
aktualisierten Lyrics bringen den damaligen Zeitgeist voll rüber. Ich hab | |
sie selbst verfasst“, gibt sich Prinkhaus selbstkritisch. | |
Da singt der Darsteller des Andreas Baader fröhlich „Ein Bett im | |
Schlachtfeld“ und gibt dem Begriff „Ballermann“ so eine völlig neue | |
Bedeutung. „Für euch soll’s rote Rosen regnen“, schmettert der | |
Horst-Mahler-Darsteller dann Baader und Ensslin entgegen, und schon sind | |
wir als Zuschauer im jordanischen Ausbildungslager, wo passend „Nix in der | |
Wüste“ von Ideal zu hören ist. | |
Wenige Attentate, Schießereien und Prozesstage später werden nicht nur | |
erstmals auf deutschsprachigen Bühnen Gerichtsakten gesungen, sondern | |
Ulrike Meinhof deutet stimmlich ihren Selbstmord an: „Ich brauch | |
Tapetenwechsel!“ Kurz darauf erklingt „Über den Wolken muss die Freiheit | |
wohl grenzenlos sein“, wenn die „Landshut“ entführt wird, und Kanzler | |
Helmut Schmidt gibt Udo Lindenberg zum Besten: „Ich verhandle überhaupt | |
nicht mehr, das ist aus, vorbei und lange her“, während der Chor der | |
Stasi-Verbindungsoffiziere im Hintergrund den in der DDR untergetauchten | |
RAF-Außendienstmitarbeitern eine bekannte Weise entgegenflötet: „Ein | |
bisschen Frieden, ein bisschen Träumen und dass die Menschen nicht so oft | |
weinen“. Und das in breitestem Sächsisch. Vielleicht der dialektischste | |
Moment des Abends. | |
## Die Versöhnung in Bad Kleinen | |
Gegen Ende haben die Macher einen dreifachen Showdown gesetzt: Zum | |
Herrhausen-Attentat ertönt der alte Gassenhauer „Tausendundeine Nacht, und | |
es hat bumm gemacht“, während Beamte des Bundeskriminalamts in den Wirren | |
des Mauerfalls mit dem Fanta-4-Hit „Ist es die da, die da am Eingang steht? | |
Oder die da?“ nach RAF-Aussteigern suchen. Und zu guter Letzt wiegen und | |
liegen sich sämtliche Darsteller versöhnlich in den Armen und säuseln zum | |
Tod von Wolfgang Grams am Bahnhof von Bad Kleinen: „Es fährt ein Zug nach | |
Nirgendwo“. Dann ist es geschafft! | |
Ob sie keine moralischen Bedenken hätten angesichts der fragwürdigen Taten | |
der RAF, fragen wir die Produzenten. „Das ist Showbusiness!“, weiß | |
Prinkhaus, „man muss die Menschen dort abholen, wo sie sind, und das | |
bedeutet, in ihren Köpfen. Und dort summen Melodien herum. Die meisten | |
kennen doch sowieso nicht mal mehr den Unterschied zwischen Buback und | |
Zwieback! Oder zwischen Duce und Dutschke.“ | |
Ein wenig einfühlsamer gibt sich Czerny: „Wir nehmen ja auch Rücksicht auf | |
die Hinterbliebenen. Deshalb wird Hanns Martin Schleyer durch einen | |
Schauspieler in einem Eulen-Kostüm dargestellt. Symbol der Weisheit, aber | |
auch Schleier … na? Eule … na? Klingelt’s? Kurz haben wir auch an einen | |
Ganzkörperschleier gedacht … aber das war uns politisch zu … explosiv! | |
Hahaha!“ | |
Man darf gespannt sein, wie viele Menschen den Humor von PC Productions | |
verstehen. Pläne für die Zukunft hat das dynamische Duo aber schon: „Wenn | |
das RAF-Musical ein Erfolg wird, legen wir 2025 nach mit: 25 Jahren NSU. | |
Ein Rechtsradical!“, meint Holger Prinkhaus. „Ein Undergroundical“, | |
korrigiert Dennis Czerny. „Denn unterirdisch, das können wir!“ | |
19 Oct 2020 | |
## AUTOREN | |
Severin Groebner | |
## TAGS | |
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