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# taz.de -- Die Gipfel des Balkans: Verfluchte Berge
> In der Bergregion im Dreiländereck Kosovo, Albanien und Montenegro wurden
> die seit Hunderten von Jahren bestehenden Bergpfade zusammengelegt.
Bild: Über die Berggipfel von Theth
Gott brauchte sechs Tage, um Erde, Meer und Himmel zu erschaffen. Laut
einer lokalen Legende brauchte der Teufel jedoch nur vierundzwanzig Stunden
für die „Verfluchten Berge“. Die Bergregion im Dreiländereck [1][Kosovo],
Albanien und Montenegro war bis vor nicht allzu langer Zeit ein absolutes
No-Go. Bekannt für unzugängliches Terrain, Banditen und
[2][Jugoslawienkrieg]. Wer verrückt genug war, sich in dieses Territorium
zu begeben, war selbst schuld.
Inzwischen hat sich viel verändert: Es ist Frieden eingekehrt. Die Region
gilt als eines der schönsten Bergwandergebiete, die Europa zu bieten hat –
und noch ist sie so gut wie unentdeckt. Sie bietet eine Vielfalt an
Landschaften auf kleinem Terrain: ein bisschen Dolomiten, Alpen oder
schottische Hochlandweiden; dramatisch, anspruchsvoll, einsam, dann wieder
gemütlich – für jeden ist etwas dabei. Es ist eine Region für Entdecker und
Abenteurer, denn der Tourismus steckt noch in den Kinderschuhen.
Seit 2011 besteht die 190 Kilometer lange zusammenhängende Wanderstrecke
„The Peaks of the Balkans“ – die Gipfel des Balkans. Sie überschreitet
Grenzen, verbindet, was einst verfeindet war. Vorarbeit leistete die
Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbei (GIZ). Sie half mit
310.000 Euro für Beschilderung und Karten, verhandelte mit Grenzbehörden
über vereinfachte Grenzübertritte, und mithilfe des Deutschen Alpenvereins
wurden Wanderführer ausgebildet. Ziel des Engagements: für die Menschen in
dieser Region Einkommen zu schaffen, damit sie nicht abwandern.
Die Gegend kann auch auf eigene Faust bewandert werden. Doch Vorsicht: Das
ist kein Gebiet für Anfänger! Oft begegnet der Wanderer stundenlang keiner
Menschenseele; die Route ist auch nicht immer offensichtlich, und es
besteht die Gefahr, sich zu verirren. Besser, sich Bergführer zur Seite zu
nehmen, nicht nur als Beitrag, die heimische Wirtschaft zu unterstützen,
sondern auch um einen ganz anderen Bezug zu dieser Region zu bekommen.
## Geschichtsträchtige Überreste
„Das Wetter kann hier jederzeit umschwenken, auch deshalb der Name
‚Verfluchte Berge‘“, erklärt Bergführer Adriatik. Er kommt aus dem Koso…
hat BWL studiert und engagiert sich für den Naturschutz. Seine Hobbys sind
Berge, Politik und Geschichte. Im Rucksack schleppt er die schwere
gebundene Ausgabe von „Eine kurze Geschichte der Menschheit“. Er selbst ist
eine nicht versiegende Quelle von Informationen und Geschichten, als hätte
man einen Historiker zur Seite. Denn hier zu wandern heißt, immer auch mit
Politik konfrontiert zu werden.
Der heute 27-jährige Kosovo-Albaner floh während des Jugoslawienkriegs für
einige Zeit mit der Familie nach Albanien. „Eine Zeit lang versteckten wir
uns im Wald, in Wäldern wie diesen“, zeigt Adriatik über das Tal. „Dank
Nahrungsmittel, die von der UN abgeworfen wurden, haben wir überlebt.“
Assistentin Donika wurde nach dem Krieg geboren. Die 19-jährige
Veterinärstudentin erinnert sich an die Carepakete ihrer Kindheit, die zu
Weihnachten aus dem Ausland kamen. Das habe sie geprägt, gesteht sie. Die
deutsche Wandersfrau hat keine Trekkingstöcke dabei? Just händigt Donika
ihre eigenen aus.
Die Bergführer haben für alles eine Erklärung. Die Blumengirlanden um einen
Fels sind zum Gedenken zweier von serbischen Scharfschützen getöteter
albanischer Schafhirten. Die Flaggen am Berghang erinnern an die Befreiung
des einen Landes vom anderen. Die vielen braunen Kühe auf der Bergwiese:
eine Spende Dänemarks an Kosovo nach dem Krieg.
## Phänomenale Landschaft
In einer besonders schönen Hochgebirgssektion seltsam anmutende Bauten –
die Bunker des Diktators Enver Hoxka. Über 173.000 hat der albanische
Diktator bauen lassen – aus Angst vor seinen Nachbarn. Je mehr Storys,
desto verstörender wird die Gegend. Doch dafür entschädigt die immer wieder
phänomenale Landschaft.
Eine klassische „[3][Peaks of the Balkan]“-Tour dauert zehn Tage und
beginnt und endet im albanischen Bergdorf Theth. Wenige Hundert Meter
hinter den Häusern steigt der Wanderweg steil an und führt über einen von
vielen Pässen auf dieser Strecke. Durch imposante Gebirgslandschaften, die
den Dolomiten Konkurrenz macht, wild und unberührt. Hier verstecken sich
Wölfe, Bären und die seltenen Balkanluchse, erzählt Adriatik.
Ein andermal Blick von einem Pass in drei Länder gleichzeitig. An manchen
Tagen Überqueren von acht Landesgrenzen. Wie der Name der Tour verrät, geht
es auch um die Besteigung der Gipfel, darunter Kosovos höchstem, dem
Jezerca mit 2.656 Höhenmetern. Hinterher zur Abkühlung Sprung in einen
kobaltblauen Bergsee.
In luftiger Höhe trifft der Wanderer auf eine alte Hirtenkultur. Denn diese
Wanderstrecke ist eben auch eine Zusammenlegung von seit vielen Hundert
Jahren bestehenden Bergpfaden. Ein Mann sitzt auf einem Felsvorsprung und
spielt eine Hirtenflöte. Woanders liegen zwei junge Männer im Gras und
rauchen, ihre Schafe über die Hänge verstreut. Auf einer Hochebene ein
altes Steinhaus mit Steinmauern, hinter denen abends Schafe schlafen. Bei
der Frau des Schäfers gibt es frisch aufgebrühten Bergkräutertee. Am späten
Nachmittag ziehen ihr Mann sowie weitere Hirten und Hunderte von Schafen
über die Berge nach Hause.
So auch Zog und Mustafa. Im Tal sind sie Nachbarn, im Sommer bringen sie
ihre 400 Schafe in die Berge. Sie produzieren Schafskäse. Alle drei Tage
wird der mit einem Esel ins Tal gebracht, entlang einer sehr steilen,
mehrstündigen Sektion des Wanderwegs. Die Schüssel Schafmilchjoghurt kostet
100 Lek (0,81 Euro), manchmal gibt es auch frisch gepflückte Blaubeeren.
Ganze Berghänge sind davon bewachsen und laden unterwegs immer wieder zum
Naschen ein.
In den Tälern entlang der Route stehen rustikale Berghütten und Gästehäuser
zum Übernachten – noch gibt es keine Hotels. Im albanischen Valbonatal
empfängt Familie Jupani im schönen alten Holzhaus. Drumherum Obstbäume,
Maisfeld, Wiesen mit Heuschobern, blökende Kälber und 50 meckernde Ziegen.
Blick auf eine beeindruckende Bergkette vor breitem ausgetrockneten
Flussbett. Das Essen kommt vom Hof: Ziegenfleisch, Brot, Käse, Eier, Honig
von den Bienstöcken im Garten. Das albanische Bergdorf Dobërdol erinnert an
Schottland. Hier gibt es im erst 2019 fertiggestellten '„Guesthouse
Leonardi“ warmen Walnusskuchen zum Nachtisch. Im Kosovo Übernachtung im
Wochenendhaus von Familie Ahmeixhekaj: Vater, Mutter und drei Söhne
bekochen die Gäste. Im montenegrinischen „Eco-Mountaineering Village“ am
wunderschönen Hrid-See bewirten zwei Männer. Geschlafen wird in urigen
„Hundehütten“ mitten im Wald, gegessen in der Küche an einem langen Tisch.
Der letzte Tag führt vom montenegrischen Vusanje zurück nach Theth, noch
einmal durch Hochgebirgslandschaft, so grandios schön, man möchte für immer
verweilen. Doch Bergführer Adriatik drängt, es ziehen Wolken auf. Nach neun
Schönwettertagen schwenkt das Wetter binnen kurzer Zeit um: Starkregen,
Donner, Blitze. Nach und nach verschluckt der Nebel Berge, Wälder, Menschen
und Stimmen. Im Nu ist man verirrt. Wo ist hinten, wo ist vorne? Es ist
unheimlich. Zum Glück treten Adriatik und Donika aus dem dunklen,
dampfenden Wald. „Schnell, schnell“, treibt er an, das Wetter ist
unberechenbar, wir müssen vom Berg – diese „Verfluchten Berge.“
25 Oct 2020
## LINKS
[1] /Dialog-zwischen-Kosovo-und-Serbien/!5698978&s=kosovo/
[2] /Handke-und-der-Jugoslawienkrieg/!5641268&s=Jugoslawienkrieg/
[3] https://peaksofthebalkans.info/
## AUTOREN
Petra Jacob
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