| # taz.de -- US-Wahlkampf in Pennsylvania: Blaue Schafe, leise Hoffnung | |
| > Pennsylvania ist ein Swingstate, hier gewann Trump die letzte Wahl mit | |
| > hauchdünnem Vorsprung. Doch diesmal könnte Biden es schaffen. | |
| Bild: Mit einem Vorsprung von 0,72 Prozentpunkten gewann Trump 2016 in Pennsylv… | |
| Der Kandidat sieht so unscheinbar aus, dass man ihn glatt übersehen könnte. | |
| Weiß, wie fast alle Bewohner seines Wahlkreises. Kurze blonde Haare, | |
| millimeterkurz am Hinterkopf, Seitenscheitel links oben. Ledergürtel. | |
| Bluejeans. Cowboystiefel. Fast immer mit einer Hand in der Hosentasche. | |
| „Ich bin ein gewöhnlicher Typ“, stellt Lee Griffin sich vor: „kein | |
| Berufspolitiker.“ | |
| Da seine komplette Kampagne in die Zeit der Pandemie gefallen ist, trifft | |
| er potenzielle Wähler unter freiem Himmel. Wochenmärkte, Parks und | |
| Parkplätze sind seine Arenen. Nähe stellt er mit einem Ellbogenstupser zur | |
| Begrüßung her. Griffin ist auf der vorletzten Station eines Road Trip durch | |
| die 15 ländlichen Counties seines Wahlkreises angekommen. | |
| Heute steht er auf dem Cameron-Platz in Sunbury, einer Kleinstadt mit | |
| 10.000 Einwohnern im Zentrum [1][Pennsylvanias]. In der Mitte des Platzes | |
| hat er seine Wahlkampfschilder an einen Musikkiosk gelehnt. Die Themen | |
| heute: ein stillgelegtes Landkrankenhaus, die Schusswaffenkontrolle, der | |
| Gemüseanbau. | |
| Er kennt das alles. Er ist vor 37 Jahren in der Region zur Welt gekommen. | |
| Seine Verwandten leben hier, viele davon sind Republikaner. Er erzählt | |
| jeden Tag, dass er seine ersten Jahre in einer Blockhütte im Wald verbracht | |
| hat, die sein Vater eigenhändig gebaut hat. Und dass sein erster Job in der | |
| Tomatenernte war. Später wurde er Englischlehrer in Taiwan, davon erzählt | |
| er im ländlichen Pennsylvania weniger. Dann – von New York City aus – | |
| Manager von Online-Warenhäusern an vielen Orten der USA. | |
| ## 0,72 Prozentpunkte machten den Unterschied | |
| Ende 2019 meldet Lee Griffin seine Kandidatur als Kongressabgeordneter an | |
| und zieht nach Pennsylvania zurück. Es war Pflichtgefühl. „Einer muss es | |
| tun“, sagt er. Die 15 demokratischen Ortsverbände sind froh, andere | |
| demokratische Anwärter gibt es nicht. Wahlkreis 12 ist kein Zuckerschlecken | |
| für Demokraten. 14 der 15 Counties sind in republikanischer Hand. | |
| 2016 hat Donald Trump vielerorts zwischen 70 und 80 Prozent der Stimmen | |
| bekommen. Ein Kandidat braucht hier viel Zeit, muss hunderte Meilen | |
| abfahren, muss sich vor meist winzigem Publikum vorstellen, muss sich mit | |
| einem winzigen Budget durchschlagen und hat dennoch so gut wie keine | |
| Chance, in den Kongress gewählt zu werden. | |
| [2][Pennsylvania ist ein Swingstate]. Im Jahr 2016 war es einer der | |
| Staaten, die Donald Trump zum Sieg verhalfen. Mit einem Vorsprung von nur | |
| 0,72 Prozentpunkten der Stimmen bekam er sämtliche 20 Wahlleute von | |
| Pennsylvania im Electoral College. Auch dieses Mal führt der Weg ins Weiße | |
| Haus über den Swingstate im Osten. | |
| In der ländlichen Region im Zentrum von Pennsylvania ist Trump in den | |
| Vorgärten vor den Backsteinhäusern, am Rand der Maisfelder und zwischen den | |
| Getreidesilos omnipräsent. In diesem Wahlkampf sind noch sehr viel mehr und | |
| sehr viel größere Schilder mit seinem Namen (und nichts anderem) im | |
| Straßenbild als 2016 zu sehen. Manche ehemalige Bergarbeiter in der Region | |
| glauben weiterhin, dass er tatsächlich die Kohle zurückholen wird. | |
| Die beiden städtischen Ballungsgebiete Pittsburgh im Westen und | |
| Philadelphia im Osten, wo die Menschen demokratisch wählen, sind weit weg. | |
| Manche sagen, dass in Pennsylvania eigentlich drei Bundesstaaten stecken: | |
| Der Westen denkt und wählt wie das liberale Kalifornien; der Osten ist wie | |
| das weltoffene New York; aber die Mitte ist so rückwärtsgewandt wie | |
| Alabama. | |
| Lee Griffin will Bewegung in diese festgefahrenen Verhältnisse bringen. | |
| Will Themen setzen, die ohne ihn untergehen würden. Klimawandel zum | |
| Beispiel, eine Krankenversicherung für alle und Rassismus. Er weiß, dass er | |
| dafür einen langen Atem braucht. Sein Slogan für die Kampagne lautet: „Die | |
| Zukunft gehört uns.“ | |
| ## „Wir sind Christen“ heißt hier: Evangelikale | |
| „Jesus ist mein Erlöser“ steht auf dem badehandtuchgroßen schwarzen | |
| Stoffstück, das auf einer Leine am Rand der Landstraße Nr. 15 flattert. | |
| Gefolgt von den ebenso groß geschriebenen Worten: „Trump ist mein | |
| Präsident“. Es ist eine doppelte Messias-Geschichte für die Wahlen am 3. | |
| November. Von der vierspurigen Straße ertönt alle paar Minuten eine Salve | |
| von kurzen Huptönen. Viele kurze Töne bedeuten Zustimmung. Manchmal hält | |
| auch jemand einen erhobenen Daumen aus einem heruntergefahrenen Autofenster | |
| und ruft „USA, USA“. | |
| Der blonde Mann mit Pferdeschwanz, der den Stand mit Trump-Artikeln am | |
| Ortsrand von Selinsgrove betreibt, sagt, dass er pro Tag „zwischen 100 und | |
| 200“ Stück verkauft. 20 Prozent vom Erlös gehen direkt an die | |
| Trump-Kampagne. Der Rest an das Unternehmen, das ihn beschäftigt und das in | |
| normalen Zeiten Karnevalsmaterial verkauft. | |
| Er hat die komplette Palette im Angebot: von Gott über Gewehre bis zu | |
| Trump. Am Besten läuft die Fahne mit der Aufschrift „Make America Great | |
| Again“. Aber auch ein mehr als einen Meter großes Porträt von dem jungen | |
| Trump verkauft sich gut. „Hiermit sind manche Leute nicht einverstanden“, | |
| sagt der Verkäufer über die US-Fahne, auf der Pistolen statt Sterne zu | |
| sehen sind und Sturmgewehre an der Stelle der Streifen. Und er verkauft | |
| Aufkleber, auf denen die demokratische Vizepräsidentschaftskandidatin | |
| Kamala Harris als „Schlampe“ bezeichnet wird. | |
| Ihn lässt das kalt. Es ist ihm auch egal, wenn es jemanden verletzt, dass | |
| er die Fahne der Konföderierten verkauft, der Sklavenhalter, die 1865 den | |
| Bürgerkrieg und ihre Sklaven verloren haben. „Die Fahne repräsentiert | |
| unsere Geschichte“, knurrt er, „warum sollte man sie verstecken?“ | |
| ## Christen mit Schusswaffen | |
| Eine Mutter in Birkenstocksandalen und ihre 18-jährige Tochter fahren vor. | |
| Sie kaufen ein großes Trump-Transparent für eine Schlafzimmerwand. „Wir | |
| sind Christen“, sagt die Mutter, was bedeutet, dass sie eine evangelikale | |
| Fundamentalistin ist. Mit Trumps aggressivem Stil ist sie „nicht immer“ | |
| einverstanden. Aber sie liebt ihn trotzdem: vor allem, weil er gegen | |
| Abtreibung ist und weil er das Recht auf Schusswaffen verteidigt. Sie ist | |
| überzeugt, dass Trump das Ansehen der USA vergrößert habe. | |
| Der Verkäufer wird noch bis Mitte November an der Landstraße in | |
| Pennsylvania bleiben. Eine Maske trägt er nicht. Seine Begründung: „Ich | |
| habe keine Angst vor dem Sterben.“ Sein Zuhause ist mehr als 2.000 | |
| Kilometer weiter südlich in Louisiana. Natürlich sei er auch persönlich ein | |
| Trump-Wähler, versichert er: „Ohne Trump geht das Land in den Ruin.“ | |
| Ob er die Briefwahloption nutzt, gegen die sein Präsident täglich Kampagne | |
| macht? „Nein“, sagt er, „ich habe schon vor Wochen von zu Hause gewählt.… | |
| Wie? „Am Computer.“ Wie Computerwählen in Louisiana geht, erinnert der | |
| 24-Jährige nur „vage“. Er will nicht fotografiert und schon gar nicht | |
| namentlich zitiert werden. | |
| Trumps Präsidentschaft hat den Umgangston in der Politik geändert. Sein | |
| Echo hallt bis in die tiefe Provinz hinein. „Babykiller“, schreit ein Mann | |
| aus seinem Truck auf den Cameron-Platz. Es ist ein kühler Vormittag im | |
| Spätherbst. Kandidat Lee Griffin tut, als wäre nichts geschehen. Seine Frau | |
| sowie der Chef des lokalen Parteiverbands der Demokraten, zwei Passanten | |
| und eine Reporterin stehen in lockerem Abstand um ihn herum. | |
| ## Sein Vorbild: Nelson Mandela | |
| In den 60er Jahren war „Babykiller“ ein Schimpfwort für Soldaten, die aus | |
| dem Vietnamkrieg zurückkehrten. Heute, in Central Pennsylvania, richtet es | |
| sich gegen einen Politiker, der das Recht von Frauen auf | |
| Schwangerschaftsabbruch verteidigt. Wenig später fährt ein anderer Wagen im | |
| Schritttempo an dem Platz vorbei. Aus dem Inneren hallt der Ruf „Fotze“ in | |
| Richtung der kleinen Gruppe von vier Männern und zwei Frauen. | |
| Er setzt das Gespräch einfach fort. Sein Gesicht zuckt nicht einmal. Worte | |
| wie diese hat er in den zurückliegenden Wochen im Wahlkreis 12 öfter | |
| erlebt. Auf Nachfrage erklärt er, dass der Hass schon „vorher“ dagewesen | |
| sei. Aber dass Trump sie ermuntert und das Schlimmste aus den Menschen | |
| herausgeholt habe. | |
| Griffin ist zusammen mit seiner Frau Gulshan in einem kleinen blauen Auto | |
| unterwegs, der Farbe der Demokraten. Seine eigentliche Arbeit für die | |
| Warenhäuser setzt er in seinen freien Momenten fort. Der Arbeitgeber sei, | |
| sagt er, „unglaublich unterstützend“. Der Kandidat ist ein moderater Mann. | |
| Das Wort „Sozialist“, mit dem Trump-Anhänger anderswo ihre Gegner bedenken, | |
| passt nicht zu ihm. Griffin möchte die Hand zu den Politikern der anderen | |
| Partei ausstrecken. Sein politisches Vorbild ist Nelson Mandela: „Weil er | |
| sich mit seinen Gefängniswärtern versöhnt hat.“ | |
| Mit seinen Open-Air-Wahlkampfauftritten will Lee Griffin die | |
| Corona-Ansteckungsgefahren verringern. Aber sie entsprechen auch dem | |
| demokratischen Wahlkampfstil dieses Jahres. Während Trump bei | |
| Großveranstaltungen auf Flughäfen poltert und hetzt und republikanische | |
| Wahlkämpfer der Pandemie zum Trotz längst wieder an Haustüren klopfen, | |
| machen die Demokraten einen kleinteiligen Wahlkampf aus der Entfernung. | |
| Ihre Mittel sind das Telefon, Textnachrichten und Zoom. Statt auf Geschrei | |
| setzen sie auf bescheidenene, leise und höfliche Töne. Sie gehen davon aus, | |
| dass Trump sich selbst sein bester Feind ist. Und dass er sich allein | |
| erledigt. | |
| ## Demokraten: 34.167 Dollar Budget | |
| Gulshan, die Ehefrau, steht neben dem Kandidaten. Sie lebt seit zwölf | |
| Jahren in den USA. Vor vier Jahren bekam sie die Staatsangehörigkeit – | |
| Hillary Clinton war ihre erste Präsidentschaftswahl. In diesem Herbst ist | |
| sie die wichtigste Beraterin in der Kampagne eines Kandidaten für den | |
| US-Kongress. Sie macht die Termine für ihren Mann und zeigt ihm, wie er | |
| atmen muss, damit seine Stimme trägt. | |
| Die Schauspielerin und Regisseurin Gulshan Griffin stammt aus einer | |
| indischen muslimischen Familie in Südafrika. Im zu mehr als 90 Prozent | |
| weißen Central Pennsylvania fällt sie auf. Als sie bei einer Suppenküche | |
| aushalf, habe ihr jemand zugezischt: „Geh zurück nach Hause.“ | |
| Es ist nicht ihre einzige Begegnung mit offenem Rassismus. Seit dem Beginn | |
| der Pandemie verlässt sie das Haus nur noch in Begleitung ihres Mannes. Der | |
| sagt über sich selbst mit Worten, die in Central Pennsylvania ungewöhnlich | |
| klingen: „Ich bin ein heterosexueller weißer Mann mit Privilegien.“ Dass er | |
| das wisse, verdanke er seiner Frau, erklärt er. Und fügt hinzu, dass sie | |
| und die Sicherheit ihrer „zukünftigen Kinder“ der beiden ein zentraler | |
| Grund für seine Kampagne seien. | |
| Manchmal kommen drei, manchmal zehn Menschen zu den Wahlkampfstopps. Selten | |
| sind es mehr. Anders als bei den Republikanern tragen bei ihm alle eine | |
| Maske. Das ist Voraussetzung für eine Teilnahme. „Ich habe dich gewählt“, | |
| sagt der 74-jährige ehemalige Metallarbeiter Robert Faust an diesem Morgen | |
| in Sunbury zu Lee Griffin. „Danke“, antwortet der Kandidat. Auch auf seiner | |
| Facebookseite bedankt er sich mit ein paar Worten bei Wählern, die für ihn | |
| gestimmt haben. In Wahlkreis Nummer 12 ist die Zahl der demokratischen | |
| Wähler überschaubar. | |
| Faust aus Dalmatia in Pennsylvania hat in seinem Leben nicht immer | |
| demokratisch gewählt. „Ich stimme für den Mann“, erklärt er. Manchmal ist | |
| der Mann seiner Wahl ein Republikaner. Aber dieses Mal ist es Joe Biden, | |
| auf den er schon lange große Stücke hält: „Er vertritt die Arbeiter.“ Vor | |
| ein paar Wochen war Faust einer von drei Männern, die zu einem Treffen mit | |
| Joe Biden in einem Garten in Pennsylvania eingeladen waren. | |
| Der Präsidentschaftskandidat wollte mit Arbeitern und Veteranen sprechen. | |
| Faust erfüllt beide Kriterien. An diesem Morgen in Sunbury ist er | |
| unterwegs, um seinen ausgefüllten Wahlschein persönlich beim Wahlbüro | |
| abzugeben. Das Dokument ist zwei Tage vorher per Post bei ihm angekommen. | |
| Faust hat es eilig, das Dokument abzugeben. Obwohl Biden nur einen geringen | |
| Vorsprung in den Meinungsumfragen in Pennsylvania hat, könnte es klappen, | |
| sagt der ehemalige Metallarbeiter. Er spürt Aufbruchstimmung bei manchen | |
| Nachbarn. | |
| Die Rentnerin Mary Deibler spürt die Veränderungen an der Basis im Innern | |
| ihrer Familie. Ihre drei Schwestern sind Republikanerinnen. Sie selbst | |
| nennt sich das „blaue Schaf der Familie“. Sie vermutet, dass der | |
| parteipolitische Graben entstand, als sie mit ihrer Arbeit im öffentlichen | |
| Dienst und ihrer Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft andere Wege | |
| einschlug. | |
| Schon bevor Trump Präsident wurde, gab es bei Familienfesten heftige | |
| politische Diskussionen. Aber es blieb sachlich. Mit Trumps Amtsantritt | |
| eskalierte der Ton. Zuletzt ging Mary Deibler kaum noch zu Familientreffen. | |
| „Neuerdings nennen sie Demokraten pädophil“, seufzt sie auf dem | |
| Cameron-Platz in Sunbury, „wer tut so etwas?“ | |
| Aber Deibler hat Hoffnung. Eine ihrer Schwestern hat ihr gerade mitgeteilt, | |
| dass sie Trump nicht mehr erträgt und im November einen demokratischen | |
| Präsidenten wählen will – obwohl ihr Ehemann bei den Republikanern bleibt. | |
| Als Beleg schickte sie ein Selfie, das sie mit einem Joe Biden Stirnband | |
| zeigt. Die Sache soll in der Familie bleiben. Mit einer Reporterin will die | |
| Schwester nicht reden. | |
| Im Sommer erreichte die Abkehr von Trump auch den ehemaligen Chef der | |
| Republikanischen Partei in Northumberland County, wo Sunbury liegt. In | |
| einem Text in der Lokalzeitung Daily Item rief er Ende August zur Wahl von | |
| Joe Biden auf. „Wir müssen unserer Nation eine Gelegenheit geben, ihre | |
| Wunden zu heilen“, schrieb er, „das geht nur, wenn dieser Präsident besiegt | |
| wird.“ Auch der pensionierte Lehrer Don Ulrich, ebenfalls ein Republikaner | |
| in Wahlkreis 12, wird im November Biden wählen. | |
| Aber in seinem Fall ist das weniger überraschend. Er ist vor allem aus | |
| taktischen Gründen in der Republikanischen Partei geblieben. Er will bei | |
| der Kandidatenauswahl mitreden und möchte wissen, wie seine Nachbarn | |
| denken. Aber bei Wahlen stimmt er schon so lange demokratisch, dass er sich | |
| nicht einmal mehr an den Namen des letzten Republikaners erinnern kann, den | |
| er in das Weiße Haus gewählt hat. | |
| ## Neutraler Bauernmarkt | |
| „Ich stimme auch für dich“, sagt Don Ulrich lachend zu Lee Griffin, als er | |
| den Kandidaten auf dem Bauernmarkt in Selinsgrove trifft, „auch wenn du | |
| keine Chance hast.“ Weil es an seinem Wohnort vier Republikaner für einen | |
| Demokraten gibt, ist Don Ulrich überzeugt, dass der gegenwärtige | |
| republikanische Abgeordnete Fred Keller wieder gewinnt. Im Abgeordnetenhaus | |
| verteidigt Keller jeden politischen Schritt von Trump. | |
| Im Wahlkreis ist er gut vernetzt. Auch finanziell liegen Welten zwischen | |
| Fred Keller und seinem Herausforderer Lee Griffin. Der Republikaner hat bis | |
| Ende September 1,4 Millionen Dollar Spenden für seinen Wahlkampf bekommen. | |
| Der Demokrat hatte bis dahin nur 34.167 Dollar. Lee Griffin nimmt nur | |
| Spenden von Privatleuten. Geld von Lobbygruppen und großen Konzernen will | |
| er nicht haben. Seiner Unabhängigkeit zuliebe. | |
| Auf dem Bauernmarkt ist Lee Griffin nur für Eingeweihte als Demokrat im | |
| Wahlkampf zu erkennen. Die Organisatoren des Bauernmarkts wollen, dass ihre | |
| Operation politisch „neutral“ erscheint. Schilder und Handzettel sind nicht | |
| erlaubt. Der Kandidat und seine Frau schlendern von einem Stand zum | |
| nächsten und plaudern mit Händlern. | |
| ## Republikaner: 1,4 Millionen Dollar | |
| In den zurückliegenden Monaten hat Greg Snyder von der Demokratischen | |
| Partei kostenlos 1.600 Wahlkampfschilder verteilt. Darunter mehr als 400 | |
| für Lee Griffin. „Die Nachfrage war 400 Prozent größer als beim letzten | |
| Mal“, sagt der Vorsitzende der Demokratischen Partei im Northumberland | |
| County. Dafür ist nicht allein das Engagement für die Demokraten | |
| verantwortlich, sondern auch der weit verbreitete Schilderdiebstahl in | |
| diesem Wahlkampf. Viele der demokratischen Wahlzeichen verschwanden, kaum | |
| waren sie aufgestellt. | |
| Eine Frau beobachtete aus ihrem Schlafzimmer, wie Männer mitten in der | |
| Nacht ihre Biden-Fahnen auf der Veranda abmontierten. Ein Mann hat nach | |
| dem dritten Fahnenklau eine Kamera in seinem Vorgarten installiert, um das | |
| neue Schild zu überwachen. Eine Familie mit kleinen Kindern ließ die | |
| Biden-Schilder selbst wieder in der Versenkung verschwinden, nachdem ohne | |
| Unterlass Trump-Anhänger hupend um ihr Haus fuhren. „Die Eltern sorgten | |
| sich um den Schlaf ihrer Kinder“, erklärt Snyder. Er trägt an diesem Tag | |
| eine Biden-Harris-Maske, die in den Regenbogenfarben schillert. | |
| Die Ursprünge für die Verhärtungen in den Fronten zwischen Republikanern | |
| und Demokraten sieht Greg Snyder bei Ronald Reagan. Der sei mit den | |
| evangelikalen Fundamentalisten „ins Bett gegangen“, meint der Vorsitzende | |
| der Demokratischen Party in Northumberland County. Und der haben ihnen ein | |
| politisches Forum für ihre Opposition gegen Abtreibung und gegen die | |
| Gleichberechtigung von Homosexuellen gegeben. | |
| Die religiöse Toleranz, mit der er in Pennsylvania aufwuchs, sei darüber | |
| verschwunden. „Ich war kein Fan von Präsident Bush“, sagt der 58-jährige | |
| Snyder, „aber unter ihm bin ich nicht abends ins Bett gegangen und habe | |
| befürchtet, dass ich am Morgen in einer Diktatur aufwache.“ | |
| Niemand in Wahlkreis 12 glaubt an einen Sieg von Lee Griffin. Das geben die | |
| Zahlen in der republikanischen Hochburg nicht her. Aber viele glauben, dass | |
| Biden es hier schaffen kann. David Jacobson, Computerfachmann und Demokrat | |
| in dem Universitätsstädtchen Lewisburg, hält einen demokratischen Sieg in | |
| Pennsylvania nicht mehr für ganz ausgeschlossen. Auch er glaubt nicht, dass | |
| Lee Griffin es in den Kongress schafft. Aber er hält den Kandidaten für | |
| einen Mann mit Zukunft und glaubt, dass dessen Wahlkampf ein Klima schaffe, | |
| dass auch Joe Biden helfe. | |
| In den letzten Monaten hat Jacobson ein Drittel seiner Zeit in den | |
| Wahlkampf gesteckt. Noch am 19. Oktober, dem letzten Tag, an dem das in | |
| Pennsylvania möglich war, haben er und andere Aktivisten Wähler dazu | |
| ermuntert, sich in das Wählerregister einzutragen. | |
| Jacobson war 2016 einer jener wenigen Leute, die vorab einen Wahlsieg von | |
| Trump befürchteten. Er spürte es nicht nur in Gesprächen, sondern leitete | |
| es auch aus den Zahlen ab. Die Anzahl der eingetragenen republikanischen | |
| Wähler war einfach viel zu hoch. Vier Jahre später ist er optimistischer: | |
| „Wenn die Wähler in Philadelphia und Pittsburgh und in den Vorstädten | |
| mitmachen, könnten wir es schaffen“. | |
| 24 Oct 2020 | |
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