# taz.de -- Amateurfunker in der Pandemie: „Hier spricht EA4HIH“ | |
> Unser Spanien-Korrespondent hat den Lockdown genutzt, um Amateurfunker zu | |
> werden. Nun ist Zeit zum Plaudern – über Corona. | |
Bild: „Es begann in Moskau“ – Filmstill | |
El Barraco taz | „Guten Tag. Eco Alfa 4 Hotel India Hotel auf Empfang“, | |
spreche ich ins Handmikrofon und bekomme tatsächlich eine erste Antwort. | |
Nach und nach melden sich noch ein paar Stimmen mehr. Es entsteht eine | |
reges Gespräch. | |
EA4HIH ist mein Rufzeichen als Amateurfunker. Ich habe den Lockdown | |
genutzt, um mich durch das Ohmsche Gesetz, durch Schaltungen, | |
Antennentechnik und Kürzel wie CEPT, IARU oder VHF zu büffeln. Nach | |
bestandener Prüfung gehöre ich jetzt zur wohl ältesten virtuellen | |
Gemeinschaft: den drei Millionen Amateurfunkern weltweit, davon 31.500 in | |
Spanien. Nun chatte ich ganz ohne Internet, einfach so über den Äther. | |
Sonst geht es bei den Fans der etwas blechernen Stimmen aus kleinen | |
Lautsprechern oft um Technik und Empfangsqualitäten. Doch heutzutage – wie | |
könnte es auch anders sein – drehen sich die Gespräche meist um das Virus. | |
Und damit um die Frage „Warum hat Spanien so hohe Infektionszahlen, obwohl | |
wir den härtesten Lockdown hatten und brav Masken tragen?“ | |
„Es liegt an unserer südländischen Lebensart“, sind sich alle schnell | |
einig. „Was in Spanien als soziale Distanz gilt, ist in Ländern wie | |
Schweden Normalzustand“, fügt einer hinzu. | |
## Grüße „von der Grenze zur Sperrzone“ | |
Landesweit wurden in Spanien seit Beginn der Krise rund 770.000 Infektions- | |
und rund 31.800 Todesfälle registriert. Am Mittwoch etwa kamen 11.016 | |
Infektions- und 177 Todesfälle neu hinzu. Fast drei Viertel der neuen | |
Infektionsfälle wurden nach Angaben der Regierung in der Hauptstadt | |
verzeichne. [1][Viele Stadtteile sind unter strengeren Corona-Regeln | |
teilweise abgesperrt]; die Ausgangsbeschränkungen sollen nun auf das ganze | |
Stadtgebiet ausgeweitet werden. | |
„Auf der Straße mit Maske, um sie dann bei Kaffee oder Bierchen in der | |
Kneipe abzunehmen“, führt ein anderer Funker aus, der „von der Grenze zur | |
Sperrzone“ grüsst. Er wohnt [2][in einem Madrider Stadtteil, in dem die | |
neuen Mobilitätsbeschränkungen noch nicht gelten]; eigentlich gleich bei | |
mir um die Ecke, auch wenn wir uns persönlich noch nie getroffen haben. | |
Denn seit ich Funker bin, war ich nur selten in Madrid, Zuerst war ich im | |
Urlaub und dann oft in einem Häuschen auf einem Campingplatz 100 Kilometer | |
außerhalb. Zuletzt steckten wir dort gar in Quarantäne fest, nachdem es auf | |
dem Platz einen Covid-Fall gab. | |
„Viele haben sich zu sicher gefühlt, als der Lockdown um war. | |
Familienfeste, Treffen mit Freunden… ohne die entsprechenden | |
Sicherheitsmaßnahmen. Jetzt zahlen wir dafür“, erklärt ein Funker aus | |
Medina del Campo. Noch vor ein paar Wochen hielt er die generelle | |
Maskenpflicht und die Absage der Dorf- und Stadtfeste für übertrieben. | |
Jetzt ist auch er entsetzt: „In der erste Welle waren wir das | |
Vorzeigebeispiel in Castilla y León. Wir hatten kaum Fälle. Nun liegen wir | |
bei den Neuinfektionen ganz mit vorn.“ | |
## Viel Zeit für lange Gespräche auf 145.700 Megahertz | |
Jetzt gibt es sogar erhebliche Einschränkungen in dem zentralspanischen | |
20.000-Seelen-Städtchen Medina del Campo. Da bleibt viel Zeit für lange | |
Gespräche auf 145.700 Megahertz. Das ist die Frequenz der Relais-Antenne | |
auf einem Berg in der zentralspanischen Sierra de Paramera, mit dessen | |
Hilfe unsere Sendereichweite deutlich erhöht wird. | |
Ein Kollege aus Ávila nimmt die Politik in der Verantwortung. „Die Öffnung | |
ging zu schnell; alles um die Tourismusindustrie wieder anzukurbeln. Und | |
sie haben nichts für die zweite Welle vorbereitet“, meint er. „So sehe ich | |
das, sicher kann man auch anderer Ansicht sein“, sagt er dann, fast schon | |
wie eine Entschuldigung. Denn eigentlich besagt der internationale | |
Amateurfunker-Code, dass Politik und Religion Tabuthemen sind, um niemandem | |
zu nahe zu treten. Doch bei täglich über 10.000 neue Fällen und über 100 | |
Toten in Spanien kommt niemand auf die Idee, ihm zu widersprechen – egal | |
welcher politischer Couleur er ist. | |
Als unser Covidtest negativ ausging und die Quarantäne aufgehoben wurde, | |
empfahl mir einer meiner üblichen Kontakte aus einem südlichen Vorort | |
Madrids: „Bleibt wo ihr seid.“ Nur nicht zurück in die Hauptstadtregion, | |
dem Covid-Hotspot Europas schlechthin. Er macht sich „Sorgen um meine | |
beiden Kinder, die an die Uni und aufs Gymnasium gehen“. Selbst gehe er nur | |
vor die Tür, um zu arbeiten und um einzukaufen. Die Angst vor der Infektion | |
hat Spanien wieder im Griff. | |
„Ich gehe mit meiner Frau in den Bergen spazieren, dort wo wir niemanden | |
treffen“, sagt ein Funker aus einem Dorf unweit unseres Campingplatzes. | |
Fern von der heimischen Station baumelt dann bei ihm selbstverständlich ein | |
Handfunkgerät am Rucksack. „Hacer radio“ – „Radio machen“ – wie es… | |
Funkerjargon in Spanien heißt, ist immer und überall eine Option. | |
## Wanderung in Richtung Funkschatten | |
Ich höre ihn immer schlechter. Er wandert irgendwo Richtung Funkschatten | |
und erreicht das Relais nur noch schlecht. Zum Abschied gibt es ein aus der | |
Morsezeit in den „modernen“ Sprechfunk herübergerettetes „73“ (liebe | |
Grüße). Irgendwann treffen wir uns bestimmt wieder auf 145.700. Und das | |
Thema Corona bleibt uns wohl noch eine ganze Weile erhalten. | |
1 Oct 2020 | |
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## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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