| # taz.de -- Wahlen in Wien: FPÖ und Strache droht Debakel | |
| > Österreichs Hauptstadt Wien wählt ihren Landtag und Gemeinderat. Die | |
| > gespaltenen Rechtspopulisten sollen laut Prognosen stark verlieren. | |
| Bild: Gernot Blümel ist aktuell Finanzminister und wird es wohl bleiben | |
| Wien taz | Gäbe es Marco Pogo mit seiner Bierpartei nicht, würde dem | |
| Wahlkampf in Wien der Pep fehlen. Der Sänger und Gitarrist der | |
| Punkrock-Band Turbobier, mit bürgerlichem Namen Dominik Wlazny, fordert | |
| Bierbrunnen für Wien. Sein Motto: „Dicht in die Zukunft“. Wenn alle auf der | |
| Welt ein „Räuscherl“ hätten, wäre diese eine bessere. | |
| In den sozialen Medien hat der 33-jährige studierte Mediziner mehr Fans als | |
| andere wahlwerbende Parteien. Das ist wichtig, da der Wahlkampf für Wiens | |
| Landtag und Gemeinderat jetzt vor allem virtuell stattfindet. Der Urnengang | |
| findet am Sonntag 11. Oktober statt. | |
| Pogo kann gut mit Beschreibung „Satirepartei“ leben und sieht sich bei ÖVP, | |
| FPÖ und Team Strache in bester Gesellschaft. Der Unterschied: „Die wissen | |
| das nicht.“ | |
| Finanzminister Gernot Blümel, der für die erfolgsverwöhnten Konservativen | |
| antritt, weiß genau, dass er nach den Wahlen am Sonntag nicht | |
| Vizebürgermeister im Rathaus würde, sondern seinen Ministerjob weitermacht. | |
| Unverdrossen dient er sich dennoch Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) als | |
| Koalitionspartner an und träumt von einer „Mitte-rechts-Regierung mit | |
| Anstand“. | |
| Unter Blümel und Bundeskanzler Sebastian Kurz ist die ÖVP so weit nach | |
| rechts gerückt, dass sie inhaltlich kaum noch von der „Ausländer | |
| raus“-Partei FPÖ zu unterscheiden ist. Blümel will Gemeindewohnungen nur an | |
| Familien vermieten, die ausreichend Deutsch können. Er schickte das | |
| Finanzamt zielgerichtet zu Kebap-Ständen, wo es erwartungsgemäß zahlreiche | |
| Unregelmäßigkeiten entdeckte. | |
| In den sozialen Medien blamierte sich Blümel, als er einen provokanten | |
| Eintrag des Schriftstellers Robert Menasse löschen ließ. Insgesamt kam | |
| Blümel in den zahllosen TV-Debatten kalt und unsympathisch rüber. | |
| ## Niedriges Niveau | |
| Trotzdem dürfte seine Partei ihren Stimmenanteil annähernd verdoppeln. Denn | |
| sie startet von einem historisch niedrigen Niveau von 9,3 Prozent und | |
| sammelt mit ausländerfeindlichen Parolen erfolgreich die Stimmen der | |
| FPÖ-Sympathisanten ein, die nach dem Ibiza-Video und der Spendenaffäre eine | |
| neue politische Heimat suchen. | |
| Hatte der damalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache 2015 noch ein „Duell | |
| ums Rathaus“ ausgerufen und war mit knapp über 30 Prozent immerhin auf neun | |
| Punkte an die SPÖ herangekommen, so prognostizieren die Umfragen der FPÖ | |
| jetzt einen Absturz auf unter zehn Prozent. | |
| Der neue Frontmann Dominik Nepp mit dem Charisma eines Hydranten bemüht | |
| sich, die ÖVP noch zu toppen. Er plakatiert einen brennenden Stephansdom, | |
| verschleierte Frauen und fantasiert von der letzten Wahl, bei der „echte | |
| Wiener“ noch die Mehrheit stellten. Indirekt spricht er damit das reale | |
| Problem an, dass ein Drittel der Bewohner mangels Staatsbürgerschaft von | |
| der Wahl ausgeschlossen ist. | |
| ## „Zikuspferd Strache“ | |
| Die FPÖ bekommt zu allem Überfluss noch Konkurrenz aus dem eigenen Stall, | |
| weil der nach seiner Spesenaffäre verstoßene Strache mit einer eigenen | |
| Liste, dem Team HC Strache, antritt. Seine ehemaligen Parteigenossen werfen | |
| ihm vor, mehr als eine halbe Million Euro privater Ausgaben der Partei in | |
| Rechnung gestellt zu haben. | |
| Strache ist jetzt der erfahrenste Wahlkämpfer und von allen acht | |
| KandidatInnen der einzige, der nicht zum ersten Mal antritt. Die | |
| Kommunikationsberaterin Christina Aumayr beschreibt ihn als „altes | |
| Zirkuspferdchen, das nochmals durch die Manege trabt“. | |
| Selbst seine in drolligem Computerenglisch verfassten Genesungswünsche an | |
| Donald Trump – vom „former Vice Chancellor of Austria“ –, die damit | |
| schließen, er möge „Gott weiterhin segnen“, brachten es in die Medien. | |
| Strache weiß, wie man Aufmerksamkeit erregt, und kann auf ein Häuflein | |
| unverdrossener treuer Fans zählen. Alle Umfragen sehen ihn bei plus/minus | |
| fünf Prozent. Das ist die Hürde für den Einzug in den Stadtrat. Es wird | |
| also spannend. | |
| ## Partner aussuchen | |
| Weniger spannend wird das Rennen um den ersten Platz. Bürgermeister Michael | |
| Ludwig, der sich in den Debatten auf keinen Streit einließ und einfach mit | |
| dem Bonus von Wien als lebenswertester Stadt der Welt seine Punkte macht, | |
| wird sich seinen Koalitionspartner aussuchen können. | |
| Sollte Strache am Einzug ins Rathaus scheitern, orakeln manche gar von | |
| einer absoluten Mandatsmehrheit der SPÖ. | |
| Doch wahrscheinlich wird die seit zehn Jahren regierende rot-grüne | |
| Koalition in die Verlängerung gehen. Birgit Hebein, grüne | |
| Vizebürgermeisterin mit Kärntner Migrationshintergrund, hat die SPÖ zwar im | |
| Sommer mit Pop-up-Radwegen und einem Pool an einer verkehrsreichen Kreuzung | |
| genervt. Doch herrscht in weiten Bereichen Übereinstimmung. | |
| Die Grünen dürften von elf auf fast 15 Prozent zulegen. Manche Medien | |
| versuchen zwar eine Koalition mit den liberalen Neos herbeizuschreiben, | |
| deren Kandidat Christoph Wiederkehr durch Schlagfertigkeit und Kompetenz | |
| überrascht. Doch das dürfte Wunschdenken bleiben wie auch die Wahl von Pogo | |
| zum Bürgermeister, mit der die Bierpartei auf sich aufmerksam macht. | |
| 11 Oct 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Ralf Leonhard | |
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