# taz.de -- Schutz von jüdischen Einrichtungen: Steilvorlage für Antisemiten | |
> Die Äußerung von Sachsen-Anhalts Innenminister über Polizei vor jüdischen | |
> Einrichtungen fördert Antisemitismus. Auch wenn er es nicht so gemeint | |
> hat. | |
Bild: Die Holztür der Synagoge in Halle war im Oktober 2019 der einzige Schutz… | |
Das Kabinett von Sachsen-Anhalt hat am Dienstag ein Landesprogramm für | |
jüdische Einrichtungen und gegen Antisemitismus verabschiedet. Das ist | |
löblich. Es geht dabei auch und gerade um einen adäquateren Schutz | |
jüdischer Einrichtungen vor Attentätern, sprich um mehr Geld. Denn die | |
kleinen Gemeinden sind selbst finanziell nicht in der Lage, einen | |
entsprechenden Schutz bezahlen zu können. Wie notwendig dieser ist, hat der | |
[1][Anschlag auf die Synagogenbesucher zu Jom Kippur in Halle] vor einem | |
Jahr bitter gezeigt. | |
Am Tisch bei der Pressekonferenz in Halle saß auch der Innenminister des | |
Landes, Holger Stahlknecht (CDU). Es ist derselbe Mann, der einige Tage | |
zuvor, ob gewollt oder ungewollt sei dahingestellt, einem Landesprogramm | |
gegen den [2][Schutz jüdischer Einrichtungen] und für mehr Antisemitismus | |
das Wort geredet hatte. | |
Stahlknecht hatte am Freitag während eines Besuchs des Polizeireviers | |
Dessau-Roßlau erklärt, dass die Beamten dieser kleineren Dienststelle | |
monatlich 1.500 zusätzliche Arbeitsstunden leisten, um die Bewachung | |
jüdischer Einrichtungen in Dessau abzusichern. Auch dies ist zu loben. Denn | |
es zeigt den Willen der Behörden, aus dem Polizeiversagen bei dem Hallenser | |
Anschlag zu lernen. Dort war die Synagoge am höchsten jüdischen Feiertag | |
überhaupt nicht bewacht, sondern lediglich bestreift worden. | |
Und dann sagte Stahlknecht in Dessau-Roßlau noch folgendes zur Belastung | |
seiner Beamten: „Diese 1.500 Stunden fehlen woanders.“ Es könne deshalb | |
sein, dass die Polizei nicht bei jeder anderen Anforderung pünktlich zur | |
Stelle sei. | |
## Qua Amt für den Schutz zuständig | |
Manche Menschen werden Stahlknechts Aussage so interpretieren: Wenn der Oma | |
bei einem Überfall die Handtasche geklaut wird und sie dabei einen | |
komplizierten Hüftbruch erleidet, die Polizei aber zu spät eintrifft, um | |
den Täter zu fassen, sind die Juden daran schuld. Es ist eine bösartige | |
Interpretation, aber auch eine, die angesichts wachsender antisemitisch | |
motivierter Straftaten und anderer judenfeindlicher Vorfälle leider nur zu | |
nahe liegt. Stahlknecht hat Antisemiten eine Steilvorlage geliefert, um | |
ihren Dreck, nun geadelt in ministerieller Verpackung, weiter im Land zu | |
verstreuen. | |
Nun könnte man einwenden, Stahlknecht habe das so nicht gemeint. Es ist | |
aber derselbe Minister, der vor einem Jahr kurz nach dem Attentat der | |
Polizei in Halle eine „gute Arbeit“ bescheinigt hatte. Es ist der Mann, der | |
für den polizeilichen Schutz gefährdeter jüdischer Einrichtungen in seinem | |
Bundesland qua Amt zuständig ist. Als solcher sollte er zu formulieren | |
wissen. | |
Auf der Pressekonferenz am Dienstag in Halle sagte Stahlknecht, seine Worte | |
in Dessau seien missinterpretiert worden. Sein Ziel sei es gewesen, | |
deutlich zu machen, dass die erhöhte Polizeipräsenz zum Schutz jüdischer | |
Einrichtungen nicht verhandelbar sei und in seinen Händen „oberste | |
Priorität“ habe. Das macht die Angelegenheit nicht besser: Heißt das nun, | |
bösartig interpretiert, dass die Aufklärung des Handtaschenraubs bei der | |
Oma leider hinter solch löblichen Zielen zurückstehen müsse? | |
## Stahlknecht kein Antisemit | |
Es ist nicht so, dass die Polizei Sachsen-Anhalts unter der Last des | |
Schutzes von Juden ächzt. In dem Bundesland mit etwa 2,1 Millionen | |
Einwohnern existieren genau drei jüdische Gemeinden. Allerdings auch rund | |
60 jüdische Friedhöfe, die davon zeugen, dass das früher einmal anders war. | |
Die Vorstellung, wegen des Schutzes dieser drei Gemeinden, in denen es | |
weder eine eigene Schule noch Kitas gibt, käme die Landespolizei an ihre | |
Grenzen, ist eine Imagination. | |
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, hat | |
die Ablösung von Stahlknecht als Minister nahegelegt. „Ein | |
Landesinnenminister scheut sich nicht, Juden als privilegiert darzustellen | |
und sie gegen andere Bevölkerungsgruppen auszuspielen“, sagte er dem | |
RedaktionsNetzwerk Deutschland. Es stelle sich die Frage, „ob Holger | |
Stahlknecht weiter für das Amt geeignet ist“. | |
Nein, Holger Stahlknecht ist kein Antisemit. Es ist nur so, dass seine | |
Aussagen den Antisemitismus fördern. Und deshalb, diese Prognose sei | |
erlaubt, wird er als Innenminister Sachsen-Anhalts in einer Koalition, an | |
der auch SPD und Grüne beteiligt sind, nicht abgelöst werden. | |
6 Oct 2020 | |
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## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
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