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# taz.de -- Artensterben in Australien: Verbrannte Pfoten
> James Fitzgerald päppelt Koalas auf. Manuela Richter kämpft für den Wald
> nahe ihrem Dorf. Drei Milliarden Tiere sind in den Flammen umgekommen.
Bild: Päppelt Koalas auf: James Fitzgerald
James Fitzgerald geht auf die kleine, graue Wollkugel zu, die in einem
Gehege auf der Gabel eines dünnen Eukalyptusastes sitzt. Gemächlich hebt
der Koala seinen Kopf – mehr gelangweilt als interessiert. Das Tier streckt
dem Mann die Nase hin. „Er will mich küssen“, lacht James. Ein berührender
Moment. Der Beobachter kann sich des Eindrucks nicht erwehren: Der Koala
weiß, dass er sein Leben diesem Mann zu verdanken hat.
James Fitzgerald, ein pensionierter Beamter mit Dreitagebart, kurzem Haar
und wachen Augen, führt in einem abgelegenen Waldstück rund vier Stunden
Autofahrt südlich von Sydney die Koala-Rettungsstation „Two Thumbs Wildlife
Trust“. „[1][Two Thumbs]“ – zwei Daumen: Koalas haben zwei Daumen, die
ihnen erlauben, sich an den Ästen der Eukalyptusbäume festhalten zu können,
hochzuklettern an der glatten Baumrinde. Sie sitzen im Geäst und fressen
Blätter. Vor allem aber schlafen sie – bis zu 22 Stunden am Tag. Nicht
etwa, weil sie faul seien oder weil das ätherische Öl in den
Eukalyptusblättern sie vergifte, korrigiert die Biologin [2][Karen Ford]
von der Australien National University (ANU) in der Hauptstadt Canberra
gängige Irrtümer. Koalas seien pingelige Tiere, die nur die Blätter von
sieben der über 700 Eukalyptusbaumarten fressen. „Sie ruhen, um Energie zu
sparen. Eukalyptusblätter haben keinen hohen Nährwert. Aus diesem Grund
bewegen sich Koalas auch sehr langsam.“
Zu langsam. Als um die Jahreswende an der australischen Ostküste die
großflächigsten Waldbrände der Geschichte tobten, fanden sich Millionen von
Fernsehzuschauern rund um den Globus von einer Szene ganz besonders
betroffen: Ein Koala, orientierungslos und verstört, tastet sich durch eine
apokalyptische Waldlandschaft, um ihn herum lodernde Flammen. Verzweifelt
versucht das Tier der Glut auszuweichen, die seine Pfoten versengt. Dann
die Rettung: Eine Passantin, selbst auf der Flucht vor dem herannahenden
Feuer, wickelt den Koala in ein Hemd und bringt ihn zur Auffangstation.
Doch die Geschichte hat kein gutes Ende. „[3][Lewis]“, wie seine Helfer das
Tier tauften, erliegt später seinen Verbrennungen.
Schätzungen zufolge sind allein bei den Bränden im Bundesstaat New South
Wales mindestens 5.000 Koalas gestorben, wahrscheinlich aber deutlich mehr.
James Fitzgerald konnte neun retten. „Dieser hatte Verbrennungen zweiten
Grades“, erklärt er und zeigt auf die rosafarbene Unterseite der Pfoten des
Tieres – Zeichen für eine erfolgreiche Heilung. „Wir mussten ihn wochenlang
verbinden; wir gaben ihm Antibiotika, Schmerzmittel.“
Der kleine Koala soll in den nächsten Wochen wieder ausgesetzt werden. Doch
was ihn in der Wildnis erwartet, bereitet Karen Ford große Sorgen. „Das
Ökosystem wurde durch die enorme Hitze der Feuer zerstört“, sagt die
Wissenschaftlerin. Kein Lebensraum mehr, keine Nahrungsquellen, keine
Zufluchtsorte. „Es ist für sie schwierig, Futter zu finden.“ Viele Tiere,
die die Brände überlebt hätten, seien später verhungert in einer
Landschaft, die nur noch aus Asche und Kohle besteht.
Die Biologin steht auf einem Hügel, umgeben von schwarzen Baumstämmen. „Es
war wie in einem Hochofen. Felsen explodierten in der Hitze.“ Es müsse
alles daran gesetzt werden, jene Gebiete zu schützen, die vom Feuer nicht
betroffen sind. „Von dort aus können sich die Tiere wieder ausbreiten und
haben so vielleicht eine Chance, als Art zu überleben.“
Feuer ist in weiten Teilen des Landes seit Jahrtausenden ein
überlebenswichtiger Teil des Ökosystems. Einige Pflanzenarten können sich
nur dann vermehren, wenn sich ihre harten Samenkapseln im Rauch und der
Hitze eines Feuers öffnen. Die Brände vom letzten Sommer seien aber
„ausgedehnter und sehr viel heißer und intensiver gewesen als in früheren
Jahren“, meint Ford. Der Grund: Klimawandel. Seit Jahren steigende
Durchschnittstemperaturen als Folge der Erwärmung der Erdatmosphäre sowie
eine über Jahre dauernde Dürreperiode in weiten Teilen des Landes hätten
die Vegetation derart ausgetrocknet, dass es nur einen Funken brauchte und
knochentrockene Äste und ausgedörrte Blätter verwandelten sich in Sekunden
zu lodernden Fackeln. „Ich sehe nicht, dass sich die Situation bessern
wird“, sagt die Wissenschaftlerin. „Die Temperaturen steigen weiter.“
## Totenstille zwischen verbrannten Bäumen
Weiterfahrt über die [4][Great Dividing Range]. Australiens größter
Gebirgszug im Ostens des Kontinents wirkt wie eine Trennwand zwischen den
niederschlagsreicheren Gebieten der Küste und dem trockeneren Inland. Hier
haben sich die Feuer durch Tausende von Hektar Wald gefressen. Acht Monate
später stehen Millionen verbrannte Bäume wie warnende Zeigefinger in einer
kalten Landschaft. Nur vereinzelt sprießen aus verkohlter Rinde frische
Zweige – ein Zeichen dafür, dass die ungewöhnlich hohen Temperaturen viele
Bäume nicht nur versengt haben, sondern getötet.
Bei einem Zwischenhalt herrscht Totenstille. Kein Vogelgezwitscher, kein
Lachen des Kookaburras, des graubraunen Eisvogels, der diese Wälder sonst
bevölkert. Keine neugierigen Kängurus, nicht einmal eine Fliege ist zu
sehen. Eine Aussage der Biologin Karen Ford kommt in den Sinn: „Es sind
nicht nur die süßen und knuddeligen Koalas. Es sind die Millionen anderen
Tiere, die wir verloren haben und die vielleicht noch wichtiger sind für
das Funktionieren des Ökosystems; Reptilien, Amphibien, Vögel, Insekten.“
Mindestens drei Milliarden Tiere sind in den Feuern umgekommen, so neuste
Studien.
So enorm die Zahl ist, schrumpft sie im Vergleich mit dem Schaden, den das
Ökosystem des fünften Kontinents seit dem Beginn der europäischen
Besiedelung erlitten hat. Nach dem Nachbarn Indonesien verzeichnet
Australien die weltweit höchste Zahl von Tier- und Pflanzenarten, die
exklusiv in diesem Land vorkommen.
Darunter befinden sich neben Tausenden Wirbeltieren auch 98.703 wirbellose
Tiere, 24.716 Pflanzen, 11.846 Pilzarten und etwa 4.186 Arten in anderen
Gruppen. Seit Beginn der Kolonialisierung sind etwa 100 Tierarten
ausgerottet worden, darunter 34 Säugetiere. Kein anderes Land hat in einem
Zeitraum von nur 200 Jahren eine derart hohe Aussterberate zu verantworten.
Auch 37 Pflanzenarten sind seit 1788 verschwunden, dem Jahr der Ankunft der
„Ersten Flotte“ britischer Segelschiffe im Hafen der heutigen
Millionenmetropole Sydney.
Die rasche Ausbreitung der neuen Sträflingskolonie läutete nicht nur den
Tod Tausender von Aborigines ein. Es begann auch eine gnadenlose Jagd auf
einheimische Tiere. Die wachsende Bevölkerung und die Expansion der
Wollindustrie hatten verheerende Folgen für eine über Jahrtausende vom Rest
der Welt abgeschnittene Umwelt. Die Einführung von Schädlingen wie Ratten,
Kaninchen und Füchsen bedeutete für Milliarden von einheimischen Tieren das
Ende. Bis heute töten verwilderte Hauskatzen jährlich bis zu 1,5 Milliarden
Reptilien, Vögel und Säugetiere. Die Natur zu unterjochen, war – und in
einigen Fällen bleibt – Politik. Regierungen tolerieren oder fördern direkt
und indirekt die Tötung einheimischer Tiere. Damit soll nicht zuletzt der
Futterkonkurrenz zwischen wirtschaftlich wichtigen Rindern, Schafen auf der
einen und „nutzlosen“ Kängurus auf der anderen Seite entgegengewirkt
werden.
## Der Kampf um den letzten intakten Wald von Manyana
[5][Manyana], auf der anderen Seite der Great Dividing Range. Schon der
Name tönt wie Urlaub. Ein Paradies ist das kleine Dorf direkt am Meer für
jene, die dort wohnen. Doch im Dezember verwandelte es sich zur Hölle. Die
ganze Gegend stand in Flammen. „Wir waren zwei Wochen lang abgeschnitten“,
erzählt Manuela Richter, Einwanderin aus Dortmund und Mitglied der
freiwilligen Feuerwehr. Die Behindertenpflegerin erzählt vom Kampf ums
Überleben ihres Dorfes, von der Erschöpfung. „Wir waren rund um die Uhr
gegen die Flammen im Einsatz.“ Doch inzwischen frage sie sich, „ob das
alles überhaupt Sinn macht“.
Heute kämpft Richter nicht gegen Feuer, sondern um das Überleben einer Art
natürlicher Arche Noah. Am Dorfrand steht ein 20 Hektar großes Stück Wald –
eines der letzten, die nicht von den Bränden zerstört wurden. Jetzt soll
das ganze Gebiet abgeholzt werden, für eine Wohnsiedlung. „Es ist der
einzige Ort, wo überlebende Tiere noch Schutz finden“, erklärt Bill Eger,
Richters Mitkämpfer. Die beiden stehen vor einem temporären Zaun, mit dem
der Besitzer das Grundstück vor den Gegnern seiner Pläne schützen will.
Protestierende haben farbige Schilder befestigt, warnen den Bauherrn davor,
seine Pläne umzusetzen. „Umweltterroristen!“, schreit ein Plakat.
Mehrere gefährdete Tierarten lebten in diesem Gebiet, sagt Eger, Offizier
der Freiwilligen Feuerwehr. Als er spricht, werden seine Augen feucht. „Der
Bauherr meinte, die Tiere bedeuteten ihm nichts. Gar nichts.“ Die taz hat
den Besitzer des Waldstücks, ein Bauunternehmer aus Sydney, um eine
Stellungnahme gebeten. Ohne Erfolg.
Manyana mag klein sein. Eger und Richter aber kämpfen gegen die größte und
folgenschwerste Form von Umweltzerstörung in Australien: die Rodung von
Wald und Buschgebieten. Ihre Abholzung ist gemeinsam mit der
Klimaveränderung und der Ausbreitung von Schädlingen die wichtigste
Bedrohung der Ökosysteme auf dem Kontinent. Manyana ist nur eines von
unzähligen Beispielen: etwas weiter südlich knattern in diesen Tagen die
Kettensägen in Wäldern, die als überlebenswichtig für Koalas gelten und die
den Feuern entkommen sind. Die Bäume enden als Bodenbelag, Baustoff,
Holzschnitzel. Auf der Insel Tasmanien fressen sich Bulldozer seit
Jahrzehnten durch 10.000 Jahre alte Urwälder.
Australien ist die einzige Nation in der entwickelten Welt, die auf der
globalen Liste der Entwaldungs-Hotspots des World Wildlife Fund (WWF)
steht. Das Land stünde Papua-Neuguinea, Indonesien, Kongo und Brasilien um
nichts nach, so Martin Taylor, Umweltwissenschaftler der Organisation.
Zersiedlung – wie im Fall Manyana – und Urbanisierung seien zwar wichtige
Ursachen für den Rodungswahn. Weitaus größer aber sei der Schaden, der von
der Landwirtschaft angerichtet werde: die Zerstörung von Wäldern zur
Schaffung von Weideland für Fleischrinder.
Der Bundesstaat Queensland hat eine Rodungsrate, die mit der Situation in
Brasilien und dem Amazonas verglichen wird. In Nordostaustralien wurden
allein im Finanzjahr 2015/16 laut WWF 395.000 Hektar Vegetation abgeholzt.
„Das entspricht 1.500 Fußballfeldern – pro Tag“, sagt Taylor. Seit Beginn
der europäischen Besiedelung verlor Australien auf diese Weise knapp 100
Millionen Hektar Wald, Busch- und Grasland. Eine kaum abschätzbare Zahl von
Tieren geht allein während der Abholzarbeiten zugrunde.
Die Wildtierretterin Carol Cosentino aus Collinsville in Queensland spricht
von „einer Welle Hunderter verletzter, verstörter und verwaister Tiere, die
uns jedes Mal überschwemmt, wenn die Rodungsbagger auffahren“.
In Australien liegen Umweltgesetze primär in der Verantwortung der
Bundesstaaten. Ein seit dem Jahr 2000 bestehendes nationales Umweltgesetz
wird kaum durchgesetzt. Seit seiner Einführung seien weitere 7,5 Millionen
Hektar Lebensraum bedrohter Arten durch Abholzung zerstört worden, so die
Umweltorganisation Australian Conservation Foundation. „Die Industrie ist
wichtiger. Natur und die Umwelt sind zweitrangig“, glaubt Bill Eger.
Eine Untersuchungskommission klagt, die Gesetze seien „nicht geeignet,
aktuelle oder zukünftige Umweltherausforderungen anzugehen“, nicht zuletzt
den Klimawandel. Sie empfiehlt die Gründung einer speziellen
Regulierungsbehörde, welche die Bundesstaaten überwacht und Projekte
„anhand nationaler Standards“ festlegen solle. Doch von „mehr Bürokratie…
will die konservative australische Regierung von Premierminister Scott
Morrison nichts wissen. Im Gegenteil: der Wirtschaft müsse der Gang durch
die Amtsstuben erleichtert werden, sagt Umweltministerin Sussan Ley.
Anfang September haben die Aktivisten von Manyana einen kleinen Sieg
errungen. Umweltministerin Ley ordnete nach einer Beschwerde an, die Folgen
der Buschfeuer für das Ökosystem müssten zumindest in Betracht gezogen
werden, bevor eine Rodung beginnen könne. Doch Manuela Richter bleibt
pessimistisch. Denn Manyana sei Teil eines fundamentalen politischen und
gesellschaftlichen Problems: „In Australien besteht kein richtiges
Interesse daran, sich für die Umwelt einzusetzen und den Zusammenhang zu
sehen, wie kritisch ein Ökosystem für uns alle ist. Nicht nur in
Australien, sondern auf der ganzen Welt.“
5 Oct 2020
## LINKS
[1] https://www.facebook.com/pg/Two-Thumbs-Wildlife-Trust-372228552860643/posts/
[2] https://biology.anu.edu.au/people/academics/karen-ford
[3] https://edition.cnn.com/2019/11/26/australia/lewis-koala-dead-intl-hnk-scli…
[4] https://www.britannica.com/place/Great-Dividing-Range
[5] https://www.visitnsw.com/destinations/south-coast/jervis-bay-and-shoalhaven…
## AUTOREN
Urs Wälterlin
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