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# taz.de -- Drei Monate lang Aschermittwoch: Rheinland im Trockenen
> Seit Freitag ist klar: Die „fünfte Jahreszeit“ fällt aus. Doch was
> bedeutet es, wenn Karnevalumzüge und Sitzungen ausfallen? Ein
> Rundumblick.
Bild: Maskiert: Karnevalsgranden am Freitag in Köln
Aachen taz | Bützen, also küssen, mit Mundschutz? Schwer vorstellbar. Oder
Schunkeln mit Abstandsregeln? Eine groteske Vorstellung. Am Freitag trafen
sich Landesregierung und hochrangige Jeckenfunktionäre in der
nordrhein-westfälischen Staatskanzlei. Ergebnis: Nichts wird in der Session
20/21 sein wie immer. Umzüge, Straßenkarneval und die üblichen
Sitzungs-Veranstaltungen wird es nicht geben.
Am Mittwoch will die Regierung Details bekanntgeben, wie eng die Grenzen
gesteckt werden. Die Quasi-Absage kommt nicht überraschend. Längst haben
viele Vorortvereine alle Aktivitäten gestrichen, ob die Bonn-Beueler
Bollerköpp von 1898 e.V. oder die Jecken Schnapsdrosseln aus Dormagen-Ost.
Der 11. 11. wird erstmals selbst Aschermittwoch sein.
Scheinbar grotesk: Über die behördlichen Verbote freuen sich sogar die
großen Veranstalter im Megabusiness Karneval – so fallen happige
Schadensersatzforderungen der zehntausendfach gebuchten KünstlerInnen weg.
Höhere Gewalt, Pech gehabt. Vertrag nichtig. Gage: null. Nicht um jede
ausfallende Vorortsitzung muss man traurig sein, nicht um vorgestrig
marschierende Garden, auch nicht um [1][die Lachende Kölnarena] mit ihren
50er-Jahre-Herrenwitzen oder um die großen Umzüge mit ihrem platten
Pappmaschee-Humor (abgesehen teilweise vom politischen Düsseldorf).
Traurig allerdings ist, wenn auch die wunderbare [2][Kölner Stunksitzung]
ausfallen muss. Das wäre ein Musterbeispiel für die Schneisen der
Verwüstung, die die Pandemie in das Kulturleben schlägt. Stunk heißt: 50
Künstler- und TechnikerInnen, die davon teilweise leben, an die 60
Sitzungen ab Anfang Dezember mit jeweils 1.280ZuschauerInnen, dazu die
Fernsehgelder.
## Noch ist nichts abgesagt
Auch das E-Werk als Veranstaltungsort – ohne Umsatz. Winni Rau,
Akkordeonspieler der Stunkband Köbes Underground und Sprecher des
Ensembles, lässt allerdings hoffen: Noch sei nichts abgesagt, man plane
ständig neu, mit reduzierten Zuschauerzahlen, kürzerem Programm, mit
einzelnen neuen Stücken und aktualisierten Traditionsnummern: „Eine neue
Produktion geht nicht in wenigen Wochen, wenn sich auch noch ständig die
Vorgaben ändern. Wir checken täglich.“ Wenn, werde es nur mit weniger
Bühnenbild und Brimbamborium gehen („nicht so perfektionistisch, lieber
back to the roots“) und dem Anspruch: „Mut unter die Leute bringen, das
verbindet; das Gefühl: hej, es gibt uns alle noch.“
Am vorletzten Wochenende fand ein kleiner improvisierter Testlauf statt,
500 Zuschauer mit Masken, penibelste Hygienemaßnahmen. Rau erlebte „ringsum
superpositive Dankbarkeit“. Wenn Kneipen geschlossen und Umzüge verboten
sind, dürfte das Jeckenvolk massenhaft auf private Feiern ausweichen. Dabei
werden, vom Alkoholabusus befeuert, Coronavirus und Karnevalsvirus
unkontrolliert aufeinandertreffen, in stickigen Räumen, schön eng,
vielleicht von nebliger Februarluft umwabert. Superstimmung mit
Superspreadern? Im schlechtesten Fall wird die anschließende Fastenzeit
multireligiöser Lockdown.
Derweil gibt es in Aachen schon Ideen für eine zeitgemäße Alternative: Den
1. Öcher Fahrrad-Rosenmontagsumzug. Kostümiertes Massenradeln, klimaneutral
und CO2-frei statt mit stinkenden Traktoren, endlosem Plastikmüllund
gequälten Pferden. Abstandsregeln funktionieren automatisch. Alles auf
üblicherRoute, im besten Fall mit weiträumigen Sperrungen für den
Autoverkehr. Im Radelzug gibt es saftige Musik,für die Traditionalisten
auch mal ein paar Karnevalshits dazwischen. Kamelle aus vollen
Satteltaschen und Lastenbikes, Schokolade mit Radentscheid-Logo auf der
Verpackung.
Die Aachener Firmen Lambertz, Lindt und Zentis, drei Giganten am deutschen
Süßkrammarkt, können schon mal über Sponsoring-Konzepte nachdenken. Am Ende
wird die neue grüne Oberbürgermeisterindie Pedaleure dann vor dem Rathaus
mit allen antimilitaristischen Ehren empfangen. Sie wird davon sprechen,
dass RadfahrerInnen das Brauchtum gerettet haben und gleichzeitig die
Verkehrswende vorangebracht. Karnevelo Alaaf!
20 Sep 2020
## LINKS
[1] https://www.lachende-koelnarena.de/
[2] http://www.stunksitzung.de/
## AUTOREN
Bernd Müllender
## TAGS
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