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# taz.de -- Radikaler Umbau im Eisschnelllauf: Ein Kufenträumchen
> Wie Interimspräsident Matthias Große den Verband der Eisschnellläufer
> nach seinen Vorstellungen umkrempelt. Und Kritiker zum Einlenken bringt.
Bild: „Ihr wollt Führung? Ihr bekommt Führung!“ Große im Jahr 2015 mit F…
BERLIN taz | Seit Juni ist Matthias Große [1][auf Twitter]. 48 Leute folgen
ihm, einige Journalisten sind darunter, auch eine Linke-Politikerin aus dem
Berliner Abgeordnetenhaus. Große beschreibt sich selbst als
„Immobilien-Projektentwickler“ und „Präsident (k) der Deutschen
Eisschnelllauf-Gemeinschaft e. V.“ Das k bezieht sich auf kommissarisch.
Schon nächsten Freitag kann Matthias Große sich diesen Zusatz sparen. Dann
wird er auf der Mitgliederversammlung in Frankfurt am Main mit hoher
Wahrscheinlichkeit zum vollwertigen Präsidenten der DESG ernannt.
Er herrscht dann ganz offiziell über einen traditionsreichen
Wintersportverband, der 2.823 Mitglieder hat, aber nur etwa 1.250 aktive
Athleten. Lediglich der Curling-Verband ist mit 752 Mitgliedern – Stand:
2019 – noch etwas kleiner. Der kann aber nicht auf eine so medaillenreiche
Vergangenheit blicken wie die Schnellläufer. Große, seit zehn Jahren
Partner von Olympionikin Claudia Pechstein, möchte zurück zu diesen
glorreichen Zeiten.
Auf Großes Twitter-Account geben sich viele Trainer und Athleten ein
Stelldichein. Sie wünschen dem Neo-Funktionär in kurzen Videobotschaften
alles Gute für seine Präsidentschaft. Holländer haben Grußadressen
geschickt, Kanadier, Polen, Japanerinnen, Weißrussen und Neuseeländer. Fast
die halbe Eislaufwelt, so scheint es, drückt dem Berliner die Daumen, was
dieser mit freundlichen Worten und gespielter Überraschung quittiert:
„Hallo (XY), das ist ja sensationell, dass auch Du an mich denkst und mir
alles Gute wünschst.“
## Sein persönliches Unwort: Sozialromantiker
Allerdings ist kein deutscher Athlet im Reigen der Matthias-Große-Supporter
dabei. Auch kein aktueller DESG-Trainer. Das könnte womöglich daran liegen,
dass die Basis immer noch mit ihrem neuen Präsidenten fremdelt. In einer
Erhebung im Winter dieses Jahres kam heraus, dass die Athleten Matthias
Große mehrheitlich nicht für einen geeigneten Kandidaten halten.
Große, der in der DDR und als Kader auf der Militärakademie in Minsk
sozialisiert wurde, ist, kurz gesagt: ein harter Hund. Sein persönliches
Unwort lautet „Sozialromantiker“. Er gibt sich robust, kompromisslos,
durchsetzungsfähig. Menschen, die etwas zarter besaitet sind, könnten
dieses Verhalten missverstehen und sich eingeschüchtert oder sogar bedroht
fühlen. Es gibt eine Reihe von Vorfällen aus der Vergangenheit, die diese
Vermutung bestätigen. Aber jetzt, da er sich als Verbandschef auch als
Makler von Interessen inszenieren muss, gibt er sich moderater im Ton.
In einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung sagte er unlängst: „Die
Athleten wissen jetzt, dass sie es sind, die an erster Stelle stehen. Sie
wissen aber auch, dass das Präsidium entscheidet, wer als Bundestrainer das
Vertrauen genießt. Und ich habe die unsägliche Mär ausgeräumt, dass ich
eine Bedrohung darstelle oder man Angst haben müsste, mit mir zu reden.“
Auf einer Pressekonferenz am Freitag [2][auf dem von ihm bewirtschafteten
Berliner Müggelturm] beschrieb er seine neue Rolle mit den Attributen
„anständig, solide und präsidial“. So einen Sportverband, bekannte Große,
könne „niemand als One-Man-Show führen“. Den großen Auftritt im
Sportausschuss des Bundestages plant er aber schon; die Linke hat ihn
eingeladen, was er mit sichtlicher Genugtuung verkündete. „An dieser Stelle
geht mein Gruß an Frau Freitag. Der Punkt geht an mich“, sagte Große.
## Dickes Maßnahmen-Paket
Die SPD-Sportpolitikerin Dagmar Freitag fühlte sich im Jahr 2010 nach
Dutzenden von Telefonanrufen („unverschämt im Tonfall, drohend vom
Inhalt“), die ihre Mitarbeiter erreichten, bedroht und erwirkte ein
Hausverbot für Große im Bundestag. Im Falle einer Einladung, ließ Freitag
unlängst wissen, werde sie den Sicherheitsdienst informieren.
Große ist ein Macher. Erster Lehrsatz: „Ihr wollt Führung? Dann bekommt ihr
Führung.“ Zweiter Lehrsatz: „Wir leben von Leistung – für Leistung.“ …
sich im Nachwende-Chaos, als seine Karriere im Orkus der Geschichte
verschwand, nicht nur emporgearbeitet vom [3][Würstchenverkäufer] zum
Immobilienhai, er hat es nun sogar geschafft, einen nicht unwichtigen
Wintersportverband nach seinen Vorstellungen umzubauen. Das war möglich,
weil die DESG abgewirtschaftet und marode gewesen ist. „Alle lechzen nach
Führung, alle in der DESG wollen gehört werden“, sagt Große.
Nach dem Aus von Sponsor DKB drohte im Frühjahr die Zahlungsunfähigkeit. Er
besorgte einen Geldgeber, das Immobilienunternehmen B&O, das jährlich einen
sechsstelligen Betrag überweist. So löste Matthias Große die Eintrittskarte
in die oberste Verbandsetage. Am 18. Juni berief ihn das zweiköpfige
DESG-Rumpfpräsidium zum Interimspräsidenten.
Seitdem zündet Große ein Feuerwerk an Maßnahmen. Er schafft Fakten. Er
feuerte Bundestrainer Erik Bouwman, der sich gegenüber Claudia Pechstein
und ihm im Ton vergriffen hatte. Er schickte Matthias Kulik nach Hause, den
Sportdirektor, der im November des vergangenen Jahres Große nicht ins
Betreuerteam der DESG aufgenommen hatte – wegen [4][„teilweise
unsachgemäßer und dadurch verbandsschädigender medialen Aussagen“]. Ein
neuer Pressechef wurde verpflichtet, Gerald Lutz aus Erfurt als neuer
Verbandsarzt bestätigt.
## Ernennung einer „Generalbevollmächtigten“
Große, 52, rief eine „Task Force Aufklärung und Transparenz“ ins Leben und
umarmte damit vor allem Große-Skeptiker aus Sachsen, Thüringen und Berlin,
er installierte die ehemalige Eisschnellläuferin Nadine Seidenglanz als
„Generalbevollmächtigte des kommissarischen Präsidenten für den
Sportfachlichen Bereich“, eröffnete einen Kummerkasten, machte die Erfurter
Trainer Gunda Niemann-Stirnemann und Andreas Behr zu „Performance Managern
des Damen- und Herrenteams“, betrieb eifrig Wahlkampf in Rostock,
Oberstdorf, Inzell, Dresden oder Dortmund. Versprach, künftig alle größeren
internationalen Sportevents, die nach Deutschland vergeben werden, in die
Arena in Inzell zu legen.
Damit nicht genug, kündigte er an, dass die Männer bald wieder mit einer
Teamstaffel antreten werden. Die DESG will er umbenennen in Deutsche
Eisschnelllauf- und Shorttrack-Gemeinschaft. Die Geschäftsstelle wird von
Bayern nach Berlin verlegt. „Wir brauchen die Geschäftsstelle im Zentrum
der Macht“, sagt Große, „Berlin wird die Schaltzentrale für
Eisschnelllauf.“ Er stellte neue Vizepräsidenten (Gert Oestreich und Harald
Löffler) und eine neue Schatzmeisterin (Marina Wunderlich) vor.
Und erwähnenswert ist auch, dass Sportler künftig 5.000 Euro bekommen,
falls sie die Olympiaqualifikation schaffen. Außerdem wird es in der
Initiative „Kufenträume“ pro Olympiastartplatz 4.000 Euro für den Verein
und 1.000 Euro für den Landesverband geben; im Strandhotel Fischland an der
Ostsee können sich künftig die besten Läufer und Trainer vier Tage
kostenlos erholen.
Das ist trotz der Fülle nur ein unvollständiger Ausschnitt aus Großes
Tätigkeitsprofil in den vergangenen Wochen. „Das war eine super Zeit“, sagt
er, „wir haben alles getan, ganz großes Kino.“ Erkennbar ist sein Bemühen,
als Kümmerer aufzutreten, Konflikte mit Geld und Versprechungen zu
befrieden. Große verfährt dabei nach dem Gießkannenprinzip. Jeder bekommt
etwas ab. Das funktioniert regional, strukturell und personell.
## Beseitigung eines „üblen Geruchs“
Zweifler bindet er ein, verschafft ihnen Posten oder Zuständigkeiten,
sodass einer von ihnen mittlerweile sagt: „Praktisch hat er mehr bewegt,
als alle anderen Präsidenten vor ihm.“ Noch vor Wochen sei ein „übler
Geruch aus allen Ecken des Verbandes hochgekommen“, jetzt wehe ein frischer
Wind. Und weiter: „Man muss ihn ernst nehmen. Er soll seine Chance
bekommen, nicht aber einen Persilschein. An der Wahl von Matthias Große
wird nichts vorbei führen.“
Moritz Geisreiter war jene Person, die Matthias Große öffentlich am
schärfsten kritisierte. [5][In dieser Zeitung] zog der Athletensprecher der
DESG die charakterliche Eignung von Große fürs Präsidentenamt in Zweifel.
Jetzt sagt Geisreiter: „Es passiert tatsächlich viel. Ob das nachhaltig
positive Veränderungen sind, bleibt abzuwarten. Ich gebe mich aber
hoffnungsvoll.“ Für Geisreiter sind freilich immer noch wichtige Fragen zu
beantworten: „Lässt er eine konstruktive Mitarbeit im Präsidium zu? Haben
wir es mit einer One-Man-Show zu tun oder lässt er auch andere Köpfe
mitgestalten?“
Viele Mitglieder der DESG würden sich diesem „vielleicht radikalen Ansatz
von Matthias Große“ öffnen, „weil sie nicht zufrieden, weil sie verdrossen
sind, wie das jahrelang im Verband gelaufen ist. Er bestellt ja wirklich
Brachland. Seit Jahren sehnen sich die Leute danach, dass es besser wird.“
Diese Stimmung nimmt Große clever auf, wenngleich Geisreiter anmerkt, dass
der Präsident „Dinge besser abstimmen und gemeinschaftlicher durchziehen
könnte“. Als sturer Kritiker, der alles, was Große in die Hand nimmt, für
von vornherein falsch erklärt, möchte Geisreiter jedenfalls nicht
auftreten.
Auch in der Task Force „Aufarbeitung“ hat man sich auf den gemeinsamen
Nenner geeinigt: Mal schauen, wo uns dieser Weg hinführt, in blinde
Gefolgschaft möchte man aber nicht verfallen. So möchte man nach wie vor
wissen, was denn aus dem sogenannten Kostenfestsetzungsbeschluss in Höhe
von 37.000 Euro zulasten von Pechstein wird, ein Titel, der nach dem
Rechtsstreit vorm Landgericht München besteht. Im April hieß es von der
DESG in einem internen Papier dazu: „Diese Forderung sollte im Einvernehmen
mit Frau Pechstein realisiert werden“, ein Forderungsverzicht sei nicht
erklärt worden. Wird sie also zahlen müssen? Matthias Große wird es
vielleicht auf Twitter mitteilen.
12 Sep 2020
## LINKS
[1] https://twitter.com/MatthiasGrosse
[2] https://www.bz-berlin.de/berlin/treptow-koepenick/mueggelturm-chef-feiert-s…
[3] https://www.volksstimme.de/nachrichten/deutschland_und_welt/wirtschaft_und_…
[4] https://www.desg.de/news/1/537413/nachrichten/entscheidung-betreuerteam-eis…
[5] /Aktivensprecher-ueber-Eisschnelllauf-Chef/!5690928
## AUTOREN
Markus Völker
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