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# taz.de -- Gewalt bei Ende Gelände: Im Schwitzkasten der Werkschützer
> Tausende protestieren im rheinischen Braunkohlerevier. Bei Besetzungen
> verletzten Einsatzkräfte der Polizei mehrere Kohlegegner:innen.
Bild: Aktivist:innen der Orangenen Finger marschieren auf einem Feldweg in Rich…
Keyenberg taz | Unter Applaus der umstehenden Anwohner*innen verlassen am
Sonntagmorgen 150 Personen mit goldenen Mund-Nase-Masken den „Keyenberger
Hof“. Es ist der letzte „Demofinger“ von Ende Gelände, der an diesem Mor…
noch im [1][rheinischen Braunkohlerevier] unterwegs ist.
Seit [2][Samstagmittag hatten die Aktivist*innen den alten Gasthof besetzt]
gehalten. An Polizeiketten und einer Reiterstaffel vorbei hatten sie das
Camp bei Keyenberg verlassen, einen Wald und einen Bach durchquert und
waren in den leerstehenden Gasthof gelangt.
Insgesamt 3.000 Kohlegegner*innen sind dem Aufruf von Ende Gelände in
diesem Jahr ins Rheinland gefolgt, um fossile Infrastruktur zu blockieren
und den sofortigen Kohlestopp zu fordern.
Im vergangenen Jahr waren 6.000 gekommen. Für die
Klimagerechtigkeitsbewegung ist die Mobilisierung trotzdem ein Erfolg. Alle
anderen Klimacamps und Massenaktionen zivilen Ungehorsams waren in diesem
Jahr der Pandemie zum Opfer gefallen.
## Größte Kohlegrube Europas
Keyenberg, Lützerath und vier benachbarte Dörfer werden wohl RWE zum Opfer
fallen. Trotz des besiegelten Kohleausstiegs im Jahr 2038 will der
Stromproduzent den Tagebau Garzweiler weiter ausbauen. Die größte
Kohlegrube Europas hat in den letzten Jahrzehnten über ein Dutzend Dörfer
verschlungen. Wer durch das Braunkohlerevier fährt, kommt durch
Geisterdörfer muss Umleitungen fahren, weil Straßen nicht mehr existieren.
Mit der Besetzung des Gasthofs in Keyenberg will Ende Gelände die
Aufmerksamkeit in diesem Jahr auf den Abriss der Dörfer legen. Die Kontakte
zwischen Klimaaktivist*innen und Anwohner*innen sind eng. Im Juni haben sie
gemeinsam eine Straße besetzt. Auf einem Tablett bringt Yvonne Kremers am
Samstagnachmittag Kuchen zum besetzten Gasthof. Kremers wohnt seit 18
Jahren in Keyenberg und engagiert sich bei „Alle Dörfer bleiben“.
Sie trägt einen gelben Mantel – gelb ist die Farbe des Widerstands der
Dörfer. Und den haben sie hier noch nicht aufgegeben. Vom „Hauptfeind“
möchte Kremers nicht sprechen, wenn es um RWE geht. Aber Strom von dem
Energiekonzern beziehe hier niemand. „Wegziehen kommt für mich nicht
infrage“, sagt Kremers, die eine Reitschule im Ort betreibt. „Aber dass RWE
hier nach und nach alle Häuser und Geschäfte kauft, macht das Dorfleben
sehr traurig.“
Die schmalen Straßen Keyenbergs spiegeln diesen Eindruck. In den Fenstern
der Backsteinhäuser sind die Rollläden halb oder ganz runter gelassen,
viele Gebäude stehen leer. Auf manchen Fensterbrettern stehen Blumentöpfe
mit gelben Stiefmütterchen oder Chrysanthemen. „RWE versucht gezielt,
soziale Orte zu vernichten und die Dorfgemeinschaft zu spalten“, sagt die
Ende-Gelände-Sprecherin Ronja Weil.
## RWE hat Gasthof gekauft
Ende 2019 hat RWE den Gasthof gekauft, den Ausschank eingestellt und den
Keyenberger*innen ihre letzte Kneipe genommen. „Dieser Ort steht symbolisch
dafür, wie hier das ganze Leben zerstört werden soll“, sagt Weil. Deshalb
habe man ihn heute wiederbelebt.
Hausbesetzungen sind eine neue Aktionsform im Repertoire der
Klimaaktivist*innen. „Es war uns wichtig, die Eigentumsfrage zu stellen“,
sagt Ende Gelände-Sprecherin Paula Eisner. „Auf der ganzen Welt werden
Dörfern vernichtet, um die Profite der Konzerne zu sichern.“ Hieran, und an
Keyenberg, Lützerath und den anderen Dörfern, werde die Ungerechtigkeit
kapitalistischen Wirtschaftens sichtbar.
Um das Aktionswochenende trotz Corona stattfinden zu lassen, hat Ende
Gelände einen enormen organisatorischen Aufwand betrieben. Statt eines
großen Camps gab es 9 kleine, auch die 14 Demofinger waren entsprechend
kleiner. Für die Polizei ist es einfacher, kleine Gruppen aufzuhalten.
Trotzdem schafften es am Samstag mehrere Finger in die Grube Garzweiler,
das Kohlekraftwerk Weisweiler und das Gaskraftwerk Lausward. Bis zum späten
Abend gelangten immer wieder Aktivist*innen auf Gleise, an die
Abbruchkanten von Tagebauten und auf eine Gaspipeline.
Im Unterschied zu den teils nächtelangen Blockaden der vergangene Jahre
räumte die Polizei die Aktivist*innen jedoch meist innerhalb weniger
Stunden. In Garzweiler kam es für Aktivist*innen und Pressevertreter*innen
zu einer gewaltvollen Begegnung mit 30 Security-Mitarbeitern des
Energiekonzerns. Die Männer rannten auf die Eindringlinge zu, traten ihnen
zwischen die Beine und brüllten „Kamera aus!“
Ein Werkschützer riss einen Journalisten zu Boden und nahm ihn in den
Schwitzkasten. Einem anderen drohten sie, das Band seiner Kamera mit dem
Messer durchzuschneiden. RWE-Sprecher Matthias Beigel sagt dazu: „Niemand
hat das Recht, hier einzudringen, auch die Presse nicht.“ Es gehe um die
Sicherheit – auch die der Presse. Inwiefern die Gewalt und das Hindern an
der Berichterstattung zur Sicherheit der Presse beitragen solle, erklärte
er nicht.
Auf Twitter dokumentierten Aktivist*innen und parlamentarische
Beobachter*innen per Video Fälle von unverhältnismäßiger Polizeigewalt. Der
„bunte Finger“, in dem körperlich eingeschränkte Menschen mitlaufen, wurde
mit Polizeihunden ohne Maulkorb angegriffen. Der „grüne Finger“ wurde im
Zug von Polizist*innen verprügelt – auf den Videos sieht man, wie
Beamt*innen auf am Boden Liegende einschlagen.
Bei einem achtstündigen Polizeikessel erlitten zwei Journalist*innen
Verletzungen. Vom Pferderücken aus hatten die Beamt*innen Pfefferspray auf
die Demonstrierenden gesprüht. Ein Pferd scheute, der Fotograf und die
Reporterin gerieten um ein Haar unter die Hufe. Die Reporterin wurde aber
offenbar getroffen – sie kam mit einem doppelten Rippenbruch ins
Krankenhaus.
27 Sep 2020
## LINKS
[1] /Aktionen-von-Ende-Gelaende-im-Rheinland/!5716767
[2] /Klimaproteste-von-Ende-Gelaende/!5716773
## AUTOREN
Katharina Schipkowski
## TAGS
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