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# taz.de -- Antiziganistischer Anschlag bei Ulm: Gefährlicher als der Brandsatz
> Weil sie den Wohnwagen einer Romafamilie anzünden wollten, wurden zwei
> Männer verurteilt. Das Urteil ist mild, die Nebenklage ist trotzdem
> zufrieden.
Bild: Ein Angeklagter in Handschellen im Gerichtssaal ist nun auf Bewährung in…
Karlsruhe taz | Von dem Mordvorwurf gegen fünf Neonazis ist nichts
übriggeblieben und trotzdem sagt Daniel Strauss, Landesvorsitzender des
Verbands der Sinti und Roma: Die auf den ersten Blick milden
Bewährungsstrafen haben sein Vertrauen in den Rechtsstaat gestärkt. Denn
soweit er wisse, sei das überhaupt das erste Urteil wegen Vertreibung von
Sinti oder Roma in Deutschland.
Das Ulmer Landgericht hat fünf junge Männer zu Bewährungsstrafen zwischen
zehn Monaten und einem Jahr und vier Monaten verurteilt. Sie hatten
gestanden, im Mai 2019 nachts von einem Pkw aus eine Wachsfackel [1][in das
Lager von 18 Wohnwagen einer französischen Roma-Familie geworfen zu haben],
die einen Lagerplatz in dem Dorf Erbach-Dellmensingen gemietet hatte. Das
Gericht war Verfahren der Einschätzung eines Gutachters gefolgt, dass der
Brandsatz nicht lebensbedrohlich war, und hatte [2][den Mordvorwurf fallen
gelassen].
Doch im Kern ging es bei dem Prozess nicht um die Gefährlichkeit der
Fackel: Es ging dem Gericht darum, die offensichtlich antiziganistischen
Motive der Täter zu benennen und zu bestrafen. Schon vorher hatten sie
Böller gezündet und einen toten Schwan vor das Camp gelegt. Die
Jugendstrafkammer des Landgerichts Ulm stellt deshalb fest, die jungen
Männer hätten die Taten aus „rassistischen, fremdenfeindlichen und
antiziganistischen Motiven“ begangen. „Sie wollten ein Klima von Angst und
Schrecken schaffen, um die Roma-Familie zu vertreiben“. Sie werden wegen
vollendeter Nötigung in 45 Fällen verurteilt.
Ihre Motive hatten die Angeklagten erst gar nicht zu verschleiern versucht.
Auf Handyfotos zeigten sie sich mit Hitlergruß und Reichsflaggen. Offenbar
fand auch ihr Umfeld nichts Ungewöhnliches daran, wie die Angeklagten
freimütig bekannten. „Wenn man nach den Bildern auf dem Handy geht, könnte
man jedem Zweiten im Dorf was reindrücken“, sagte einer der Angeklagten in
dem Prozess. Auch die Eltern ließen rassistische SMSen ihrer Kinder an sie
unwidersprochen.
## Vorurteile bekämpfen
Im Jugendstrafrecht gehe es darum, bei den Angeklagten eine Veränderung zu
bewirken, betont Mehmet Daimagüler, der in dem Prozess die Interessen der
Opfer als Nebenkläger vertreten hat. Er glaube nicht, dass die Angeklagten
durch eine Gefängnisstrafe zu besseren Menschen würden. Er blieb deshalb in
seinem Plädoyer unter der Forderung der Staatsanwaltschaft und ist mit dem
Urteil jetzt zufrieden.
Immerhin hat sich einer der Angeklagten in den Augen des Gericht nach der
Tat glaubhaft vom Rechtsextremismus gelöst. Zumindest in den Schlussworten
bedauern alle fünf Männer ihre Tat und ein Teil von ihnen hat bereits 5.000
Euro freiwillig für einen Täter-Opfer-Ausgleich gezahlt. Am Ende aber, sagt
Daimagüler, könne man nicht in die Köpfe der Angeklagten schauen.
Was bleibt, ist der Versuch aufzuklären. Schon vor dem Vorfall hat der
Landesverband der Sinti und Roma zusammen mit der Stadt Ulm und anderen
Partnern in der Ulmer Altstadt eine Beratungsstelle geplant. Nun soll die
Zweigstelle des Landesverbands noch eine weitere Aufgabe übernehmen:
politische Bildungsarbeit, um Vorurteile zu bekämpfen.
23 Sep 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Benno Stieber
## TAGS
Schwerpunkt Rechter Terror
Antiziganismus
Brandanschlag
Gerichtsprozess
Rechtsradikalismus
Sinti und Roma
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Schwerpunkt Mordfall Walter Lübcke
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