Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Corona-Kritik mit NS-Begriff: Der „Volkskörper“ ist zurück
> Der Hamburger Chef der Kassenärztlichen Vereinigung Walter Plassmann
> greift mit rechter Wortwahl die Coronamaßnahmen in Deutschland an.
Bild: Beklagt einen Verfall der Debattenkultur: Walter Plassmann, hier auf eine…
Hamburg taz | Erst NS-Sprache benutzen, nun Cancel Culture beklagen: Der
[1][Hamburger Chef der Kassenärztlichen Vereinigung] (KV), Walter
Plassmann, zieht derzeit alle Register, um gegen die aus seiner Sicht
überzogenen Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus zu schießen.
Dabei argumentiert er aus einer vermeintlich allgemeinmedizinischen Sicht –
ohne selbst Mediziner zu sein.
Zunächst hatte sich Plassmann in einem Gastbeitrag im Hamburger Abendblatt
über Coronamaßnahmen in Deutschland ausgelassen. Es würden immer die
denkbar dramatischsten Entwicklungen beim Verlauf der Krankheit wie bei den
Ansteckungszahlen angenommen, um politisches Handeln zu begründen.
„Notwendige Relativierungen werden als ‚Verharmlosung‘ verunglimpft“, s…
Plassmann. Stattdessen würden „martialische“ Warnungen überwiegen, ob von
Markus Söder (CSU), Karl Lauterbach (SPD) oder dem Virologen Christian
Drosten.
Doch gerade diese ständigen „Hiobsbotschaften“ würden die Gesellschaft
tatsächlich krank machen, meint Plassmann. Was für einen Menschenkörper
gilt, gelte auch für ein Volk: „Permanenter Stress, ununterbrochene
Aufgeregtheit und Angst schädigen Körper und Seele eines Menschen. Das ist
bei [2][einem Volkskörper] und einer Volksseele nicht anders.“
## Begrifflich fest an rechter Seite
Philipp Osten hat für diese Wortwahl kein Verständnis. „Der Begriff des
Volkskörpers ist ideologisch besetzt“, sagt der Leiter des Instituts für
Geschichte und Ethik der Medizin in Hamburg. Der Begriff sei [3][klar in
der NS-Zeit zu verorten.] „Deshalb ist der Begriff völlig verbrannt“, sagt
Osten.
Nun ist Plassmann, der seit 2013 an der Spitze der KV in Hamburg steht,
keinesfalls ein Coronaleugner. Mit seiner Wortwahl jedoch steht Plassmann
fest an der Seite der extremen Rechten. Schließlich ist der Begriff nicht
nur aufgrund seiner spezifischen NS-Rassenideologie belastet. Gegenwärtig
will besonders die AfD den Begriff wieder in den Sprachgebrauch
einzuführen. Außerdem nutzte die rechtsextremene Corona-Leugnungsgruppe
„Widerstand 2020“ den Begriff zuletzt.
Christian Drosten erwiderte in seinem NDR-Podcast bereits Plassmanns
Attacke: „Wir dürfen nicht in der Öffentlichkeit Botschaften setzen, die da
komplett kontraproduktiv sind.“
Doch obwohl es für die Wortwahl sofort Kritik hagelte, fühlte sich
Plassmann, der die Interessen der Vertragsärzt*innen als KV-Vorsitzender
vertritt, jetzt bemüßigt, seine Äußerungen zu verteidigen. Vom Magazin
Focus ließ er sich befragen, wie er die Kritik an seinen Äußerungen
wahrgenommen habe.
Dabei meint er einen „Verfall der Debattenkultur“ beobachtet zu haben und
glaubt, von einer Cancel Culture umgeben zu sein. Statt auf Kritik
einzugehen, würde mittlerweile nur „der Daumen gehoben oder gesenkt“.
„Das ist der übliche Versuch, sich von vornherein gegen Kritik zu
immunisieren“, sagt der Göttinger Politikwissenschaftler Michael Lühmann.
Dieses „populistische Spiel“ sei zwar nicht neu, aber gegenwärtig vermehrt
in Coronadebatten zu beobachten.
Plassmann argumentiert, dass seine Erkenntnis erst im Verlauf der Pandemie
entstanden sei. Dabei gab er schon Mitte März, zum Zeitpunkt steigender
Fallzahlen in Deutschland, der Zeit ein Interview, in dem er das Virus als
kaum gefährlicher als andere Viren einschätzte.
## Ärztekammer hält sich zurück
Nun ist Plassmann allerdings selbst kein Mediziner. Bevor er über die
Krankenkassen-Branche bei der KV landete, war er journalistisch tätig.
Unter anderem ist er Autor des Buchs „Die Kanarischen Inseln sehen und
erleben“, in dem es um die Geschichte und Sehenswürdigkeiten der
Inselgruppe geht.
Pedram Emami, Präsident der Hamburger Ärztekammer und damit oberster
Berufsvertreter der niedergelassenen wie angestellten Ärzt*innen, hält sich
mit Kritik am KV-Chef zur Volkskörper-Wortwahl zurück. „Der Begriff ist
unglücklich gewählt, aus der persönlichen Kenntnis heraus würde ich das
aber nicht überbewerten“, sagt Emami.
Dass Plassmann eine falsche Debattenkultur beklagt, sei aber richtig: „Der
Ton wird auf allen Seiten gegenwärtig immer aggressiver – das mindert die
Akzeptanz der Maßnahmen.“
Plassmann äußerte sich zu seiner Wortwahl gegenüber der taz bis
Redaktionsschluss nicht. Er ist laut KV momentan im Urlaub.
24 Sep 2020
## LINKS
[1] /Corona-Tests-in-Hamburg/!5672782&s=kassen%C3%A4rztliche+vereinigung+ha…
[2] /Plan-fuer-Graben-um-Reichstag/!5706799&s=volksk%C3%B6rper/
[3] /Archiv-Suche/!5102694&s=volksk%C3%B6rper+medizin/
## AUTOREN
André Zuschlag
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
Ärztekammer
NS-Ideologie
cancel culture
Hamburg
Kassenärztliche Vereinigung
Euthanasie
Reichstag
Schwerpunkt Coronavirus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Forscher über „Euthanasie“-Deportationen: „Kontakt zu Angehörigen schü…
Vor 80 Jahren verließ der erste „Euthanasie“-Transport Hamburg. Von 6.000
vor dort deportierten Menschen ermordete das NS-Regime über 4.700.
Plan für Graben um Reichstag: Sumpf mit Bachblüten
Zur Sicherheit soll nun ein Graben vor den Reichstag. Eine gute Idee –
zumindest zur Renaturierung, mit Wasser und Seerosen. Aber gegen Nazis?
Corona-Tests in Hamburg: Lieber heilen als testen
Hausärzt*innen fordern, weniger Corona-Tests zu machen, um Ressourcen zu
sparen. Viele Testzentren soll es derweil erst einmal doch nicht geben.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.