| # taz.de -- Nationalfriedhof von Arlington: Für Ehre und Vaterland | |
| > Was haben Kennedy, Hammett und Louis gemeinsam? Sie liegen auf dem | |
| > berühmtesten Soldatenfriedhof der USA begraben. Ein Besuch. | |
| Bild: Ein Soldat stattet die Gräber auf dem Friedhof in Arlington mit kleinen … | |
| Arlington taz | Trompetensignal am Grab des unbekannten Soldaten: Die | |
| Melodie wurde schon während des US-amerikanischen Bürgerkriegs gespielt | |
| und gilt noch immer als Höhepunkt bei den täglichen Trauerzeremonien auf | |
| dem Nationalfriedhof von Arlington. Derzeit ist der berühmteste Totenacker | |
| der USA für Besucher*innen geschlossen. Aber Begräbnisse finden weiterhin | |
| statt. | |
| Bis zum Lockdown standen Besucher geduldig vor dem Grab des unbekannten | |
| Soldaten: Schüler*innen, Tourist*innen, Familien mit Kindern in Shorts und | |
| T-Shirts waren aufgefordert, leise zu sein. Ihre Smartphones hatten fast | |
| alle gezückt. Ein Metallgeländer mit hölzernem Handlauf hielt die Zuschauer | |
| auf Distanz. Dahinter: drei Soldat*innen in dunkelblau-schwarzen | |
| Ausgehuniformen mit dunklen Sonnenbrillen und M14-Gewehren. „Changing of | |
| the Guards“ vor dem 50 Tonnen schweren weißen Grabmal des unbekannten | |
| Soldaten. | |
| Der Wachwechsel folgt immer der gleichen, roboterhaft ausgeführten | |
| Choreografie: 21 Schritte in die eine Richtung, 21 Sekunden Pause, dann 21 | |
| Schritte in die andere Richtung. Die Zahl ist eine Anspielung auf die 21 | |
| Salutschüsse – die höchste Ehre, die es beim US-Militär gibt. | |
| Mit strengem Gesichtsausdruck überprüft der wachhabende Soldat Ausrüstung | |
| und Uniform seines Gegenübers. Dann kommt die Ablösung um die Ecke: Der | |
| Soldat schreitet auf einer dunklen Spur über den hellen Granit: Es ist der | |
| Abrieb der schwarzen Schuhe – seiner eigenen und die seiner | |
| Kameraden*innen, der sich in den Stein hineingefressen hat. Seit | |
| Jahrzehnten marschieren die Wachsoldaten*innen auf und ab – täglich im | |
| Halbstundentakt, längst haben sie eine imaginäre Erdumrundung hinter sich. | |
| Arlington ist zwar nur einer von rund 140 Nationalfriedhöfen der | |
| Vereinigten Staaten. Aber er ist zu einem Wahrzeichen geworden – ein | |
| Touristen- und Patriotenmagnet mit Blick auf Pentagon, Capitol und Weißes | |
| Haus. Der zweitgrößte Friedhof der USA mit seinen über 420.000 Gräbern | |
| liegt unmittelbar an der Grenze zwischen dem Bundesstaat Virginia und der | |
| Hauptstadt Washington – getrennt durch den Potomac River. Mit rund 250 | |
| Hektar Fläche ist der Totenacker so groß wie 353 Fußballfelder. Ein | |
| riesiger parkähnlicher Landschaftsfriedhof mit gepflegtem Rasen, altem | |
| Baumbestand, mit Hügeln und Bächen. | |
| Arlington – das ist nicht nur Idylle, sondern auch die Bürokratisierung des | |
| Todes: Nicht jeder x-beliebige US-Amerikaner darf hier bestattet werden. | |
| Man muss gedient und das Recht auf eine Militärrente haben. Träger des | |
| Verwundetenabzeichens oder der Tapferkeitsmedaille erhalten auch ein | |
| Begräbnis – ebenso Familienmitglieder. | |
| Vier Millionen Besucher kamen bis zur Coronakrise jedes Jahr nach | |
| Arlington. Damit gehöre der Friedhof zu den Attraktionen von Washington, D. | |
| C., bekräftigt Cara O’Donnell. Die Mittvierzigerin arbeitet für den | |
| Bundesstaat Virginia, der den Totenpark betreibt. Die allermeisten seien | |
| US-Amerikaner, ansonsten kämen Touristen aus der ganzen Welt. Soldaten | |
| aller US-Teilstreitkräfte können sich für den Wachdienst bewerben. | |
| Durchschnittlich 18 Monate leisten die handverlesenen Freiwilligen ihren | |
| Dienst ab; erst seit 1994 sind auch Frauen darunter. | |
| Wie immer in den USA ist auch Disneyland dabei: Eine Armada weißer, | |
| elektrisch betriebener Sightseeing-Bimmelbahnen karrt Touristinnen und | |
| Touristen über das Gelände: Tagein, tagaus für 7 Euro pro Person zeigen die | |
| Zugführer die wichtigsten Sehenswürdigkeiten. Auch wir fahren mit – entlang | |
| endloser Reihen schlichter weißer Grabsteine auf grünem Rasen. | |
| Zwischendurch: opulent gestaltete Mahnmale. Zum Beispiel für die | |
| Terroropfer von Lockerbie, gebaut aus schottischem Sandstein, oder für die | |
| Astronauten gescheiterter Weltraummissionen wie „Apollo 1“, den | |
| Space-Shuttle-Besatzungen der „Challenger“ und der „Columbia“. | |
| ## Nur zwei US-Präsidenten | |
| Dagegen sind die Tausenden standardisierten Grabsteine selbst ein Monument. | |
| Das Grab des Einzelnen tritt zurück hinter der seriellen Gesamtheit der | |
| Gefallenen. Nur wenige Gräber tragen individuelle Züge. Allerdings: keine | |
| Regel ohne Ausnahme! Es gibt baulich hervorgehobene Grabsteine, die die | |
| Spannung zwischen dem Gleichheits- und Führerprinzip plastisch zum Ausdruck | |
| bringen. Überraschend: Nur zwei US-Präsidenten sind in Arlington bestattet: | |
| Howard Taft und John F. Kennedy. Sein Grab ist zu einer Pilgerstätte | |
| geworden: Um dorthin zu kommen, müssen die Besucher einen kleinen Hügel | |
| hinaufsteigen. Die beiden Grabplatten des 35. US-Präsidenten und seiner | |
| Frau Jaqueline Kennedy Onassis sind identisch und schlicht in den Boden | |
| eingelassen. Ein dünnes Seil hält die Besucher davon ab, daraufzutreten. In | |
| der Mitte des Grabes: eine ewige Flamme, die von einer unterirdischen | |
| Gasleitung gespeist wird. | |
| Von hier blickt man auf eine friedliche Landschaft mit bunten Laubbäumen, | |
| Wiesen, kleinen Hügeln. Der Nationalfriedhof von Arlington wurde als | |
| Landschaftsfriedhof entworfen, als Ort rangunabhängiger Bestattungen und | |
| stiller Trauer und weniger als ein Friedhof im Monumentalstil. Idylle. | |
| Draußen dagegen tobte der Krieg. | |
| Am 15. Juni 1864, mitten im Bürgerkrieg, richtete der Nordstaatengeneral | |
| Montgomery C. Meigs den Soldatenfriedhof ein. Damit die zigtausend | |
| Gefallenen nicht auf dem Schlachtfeld zurückgelassen werden mussten. | |
| Arlington war damals weniger eine Frage der nationalen Ehre, sondern eher | |
| einer schlichten Notwendigkeit geschuldet: Mehr als 600.000 Soldaten | |
| starben während des blutigen Sezessionskriegs. An manchen Stellen ragten | |
| Arme und Beine und gelegentlich auch Köpfe aus dem Boden heraus, berichtete | |
| ein Augenzeuge über die hastig verscharrten Toten der Schlachtfelder. Der | |
| Friedhof war eine Lösung für ein akutes logistisches wie ethisches Problem. | |
| Ironie der Geschichte: Das herrschaftliche Anwesen samt Park am Ufer des | |
| Potomac gehörte der Familie des Südstaatengenerals Robert Lee und wurde von | |
| Nordstaatenpräsident Lincoln konfisziert. Begraben wurden nur gefallene | |
| Nordstaatler, nicht aber Konföderierte. Deren Tote mussten draußen bleiben. | |
| Überhaupt spiegelt der Nationalfriedhof die geltende Gesellschaftsordnung | |
| wider: Bei seiner Gründung inmitten des Sezessionskriegs wurden in | |
| Extrasektionen die schwarzen Soldaten bestattet. Heute gibt es 70 | |
| verschiedene Bereiche in Arlington: einen für die Toten der Kriege in Irak | |
| und Afghanistan, einen für Frauen in der Armee, für Krankenschwestern – und | |
| einen für 3.800 ehemalige Sklaven. | |
| Weitere Kriege brachten viele neue Gräber mit sich. Nach dem Zweiten | |
| Weltkrieg dann erste Platznot. Deshalb wurde 1948 durch US-Präsident Harry | |
| S. Truman festgelegt: Es dürfen nur noch einen Meter hohe rechteckige, | |
| weiße Marmorgrabsteine – am Kopf mit einem Rundbogen versehen – verwendet | |
| werden: egal ob für einen General oder einen Infanteristen. | |
| Nur im Tod sind hier alle gleich. Unzählige Glaubensgemeinschaften sind auf | |
| dem Friedhof vertreten. Siebzig religiöse Symbole auf den | |
| Einheitsgrabsteinen erlaubt das US-Militär – darunter Embleme für | |
| Atheisten, Buddhisten, Christen, Muslime, Zoroastrier – sogar Thors Hammer | |
| für das Germanische Neuheidentum darf als Zierschmuck verwendet werden. | |
| Schnittblumen sind erlaubt, Topfpflanzen nicht. Ansonsten ist es verboten, | |
| die Grabsteine zu schmücken. Trotzdem werden immer wieder Fotos oder kleine | |
| persönliche Gegenstände der Verstorbenen angebracht. | |
| Ausgerechnet am Veterans Day, wenn jedes Grab in Arlington mit einem | |
| Sternenbanner versehen wird, melden sich Ärzte und Veteranenverbände zu | |
| Worte: Denn laut einer Studie von 2018 haben Suizide unter Soldaten*innen | |
| um 32 Prozent zugenommen. Jeder Fünfte von einem Kriegseinsatz | |
| Zurückkehrende leide an posttraumatischen Belastungsstörungen. Höhepunkt | |
| der Arlingtonkritik dürfte 1967 gewesen sein. Demonstranten protestierten | |
| zwischen den Gräberreihen gegen die monumentale Heldenverehrung und den | |
| Vernichtungskrieg in Vietnam. | |
| Vor einigen Jahren erschütterte ein Skandal den Heldenfriedhof. Sterbliche | |
| Überreste waren verlorengegangen oder wurden in falschen Gräbern bestattet. | |
| Ein Albtraum für die Verantwortlichen und Angehörigen: ein christlicher | |
| Leichnam, der unter dem Grabstein eines Atheisten ruht. „Wir hatten keine | |
| auf Geodaten gestützte Kartierung der Gräber“, erklärt Pressesprecherin | |
| Kerry Meeker. „Das war ein riesiges Problem. Jetzt mit der digitalen | |
| Kartierung können wir jedes einzelne Grab genau zuordnen.“ | |
| Arlington ist mehr als ein heiliger Schrein, es ist auch ein ganz normaler | |
| Friedhof: Jeden Werktag gibt es im Schnitt 30 Beerdigungen. In den | |
| allermeisten Fällen werden Veteranen oder die Gefallenen der Kriege in Irak | |
| und in Afghanistan sowie deren Familienangehörige zu Grabe getragen. | |
| Der Dienst in der Armee als patriotische Bürgerpflicht – ob auch die | |
| Besucher in Arlington den Kampf gegen das Böse als die ureigene Pflicht der | |
| USA sehen und Soldaten für die Helden der Nation halten? Auf dem Poloshirt | |
| von Cara O’Donnell steht „Stay Arlington. National History. Nature | |
| Flavour“. Das bedeutet so viel wie: „Komm nach Arlington – Landesgeschich… | |
| ganz natürlich!“ | |
| 20 Sep 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Marek | |
| Anja Steinbuch | |
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