# taz.de -- Erfolgreich nach der Flucht: „Sprache ist die Basis für alles“ | |
> Zakariya Fustok flüchtete 2014 aus Syrien. Im Juni schloss er seine | |
> Ausbildung bei der BVG ab. Und wurde übernommen. | |
Bild: Aderendhülsenquetschzange war eins der Worte, die Zakariya Fustok in sei… | |
taz: Herr Fustok, Sie sind diesen Juni mit Ihrer Ausbildung zum | |
Elektroniker für Betriebstechnik bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) | |
fertig geworden. Sind Sie stolz? | |
Zakariya Fustok: Auf jeden Fall! Ich bin vor allem stolz darauf, dass ich | |
die Ausbildung vorzeitig beendet habe, sechs Monate früher als vorgesehen. | |
Mir wurde erzählt, dass manche Leute die Ausbildung um sechs Monate | |
verkürzen, aber ich dachte: Das schaffe ich nie. Ja, jetzt habe ich es doch | |
geschafft, auch mit guten Noten, Gott sei Dank. | |
Sie sind aus Aleppo in Syrien geflüchtet. Wie haben Sie die ersten Wochen | |
und Monate in Deutschland erlebt? | |
Die ersten zwei, drei Monate waren sehr schwierig, weil ich die Sprache | |
noch nicht sprechen konnte – kein Wort, keine Zahl, nichts. Es war | |
schwierig, mit den Leuten zu kommunizieren. Nicht jeder hier spricht | |
Englisch und mein Englisch war auch nicht so gut. In der Schule hatte ich | |
Französischunterricht. Manchmal habe ich mich gefühlt wie ein Tauber auf | |
einer Hochzeitsfeier, der nichts hört, während um ihn herum alle tanzen. Es | |
war auch wirklich schwierig, einen Job zu finden. Ich wusste nicht, wie ich | |
das ohne die Sprache schaffen sollte. | |
Bei der BVG haben Sie dann Fuß fassen können, zunächst über eine | |
sechsmonatige sogenannte Einstiegsqualifizierung. Wie kam es dazu? | |
Als ich nach Deutschland gekommen bin, habe ich beim BAMF gesagt, dass ich | |
so schnell wie möglich arbeiten möchte. Dann haben sie mich zur Agentur für | |
Arbeit geschickt, die haben alle meine Daten aufgenommen und mir ein paar | |
Monate später eine Einladung zu einem Termin geschickt. Dort hat mir mein | |
zuständiger Betreuer einige Jobangebote gezeigt, im Anschluss hatte ich | |
mehrere Vorstellungsgespräche. Am Ende bin ich bei der BVG gelandet. Das | |
war im März 2017. Da konnte ich auch schon etwas Deutsch, denn ich hatte | |
bis dahin drei Deutschkurse gemacht, bis Level B1. | |
Wie sah Ihr Alltag während der EQ-Maßnahme aus? | |
Von 7 Uhr morgens bis 15 Uhr nachmittags waren wir im Ausbildungszentrum | |
der BVG. Von 15 bis 16.30 Uhr hatten wir dann immer einen Deutschkurs. Ein | |
Teil der EQ-Maßnahme war im Bereich der Industriemechanik, ein Teil im | |
Bereich Elektronik und zwei Wochen waren wir im Bereich Gleisbau. Alle zwei | |
Wochen hatten wir eine Schulwoche, auch da haben wir meistens Elektronik | |
gemacht. Was ich in der EQ-Maßnahme gelernt habe, war später sehr wichtig | |
für die Ausbildung. Man frischt auch das Wissen aus der Schule auf, zum | |
Beispiel in Mathematik und Physik. | |
Im September 2017 wurden Sie in die Ausbildung übernommen. Warum haben Sie | |
sich ausgerechnet für den Ausbildungsgang Elektroniker für Betriebstechnik | |
entschieden? | |
Weil dieser Bereich erweiterbar ist. Man kann danach einen Meister machen, | |
eine weitere Ausbildung zum Techniker oder studieren. Ich wollte mich | |
weiterbilden können, das will ich immer noch. Am liebsten als Techniker in | |
einem Entwicklungsbereich, wenn ich die Chance bekäme. Wenn nicht, dann | |
würde ich studieren, zum Beispiel Elektrotechnik. | |
Was braucht es Ihrer Meinung nach, um in Deutschland Fuß zu fassen? | |
Auf jeden Fall die Sprache, sie ist das wichtigste. Ohne Sprache kann man | |
nichts machen. Weder eine Ausbildung noch arbeiten. Und die Arbeit ist auch | |
sehr wichtig, um anzukommen. Aber zunächst Sprache, das ist die Basis für | |
alles. Dafür muss man mit Leuten reden. Wenn man zu Anfang keine deutschen | |
Freunde hat, sollte man mit jemandem sprechen, der die Sprache auch lernen | |
will. Das haben wir in den Sprachkursen auch so gemacht. Wir waren ja alle | |
arabische Muttersprachler, aber haben in den Pausen versucht, deutsch | |
miteinander zu reden. Es gab in der Ausbildung sehr fachspezifische Wörter | |
– zum Beispiel Aderendhülsenquetschzange (lacht). | |
Mittlerweile sprechen Sie perfekt Deutsch. Wie ist es Ihnen privat | |
ergangen? | |
Ich habe eine kleine Tochter, sie ist im September 2019 geboren. Meine Frau | |
habe ich hier in Deutschland kennengelernt. Sie hat mir sehr geholfen und | |
mir Ruhe verschafft, wenn ich zuhause lernen musste, vor allem in den | |
Monaten vor der Prüfung. Sie ist dann mit unserer Tochter für ein paar | |
Stunden rausgegangen. Ich habe hier inzwischen auch einen guten | |
Freundeskreis von 8 oder 9 Leuten, wir kommen von überall her – aus | |
Deutschland, Kanada, England und arabischen Ländern. | |
Als Sie 2015 in Berlin ankamen, waren Sie allein. Darf ich fragen, was aus | |
Ihrer Familie geworden ist? | |
Alles gut, das können Sie ruhig fragen. Wir sind fünf Geschwister. Mein | |
Vater ist vor drei Jahren verstorben. Man hat auf der Autobahn auf ihn | |
geschossen, wir wissen bis heute nicht, wer es war. Meine Mutter und meine | |
Geschwister sind nach und nach in die Türkei geflüchtet. In Syrien gelten | |
meine Brüder und ich als Verräter, weil wir vor dem Einzug in die Armee der | |
Regierung geflüchtet sind. Das bedeutet Gefängnis oder Hinrichtung. Mein | |
Bruder ist vor einigen Tagen nach Berlin gekommen mit einem Arbeitsvisum. | |
Meine Mutter ist mit meinen anderen Geschwistern noch immer in der Türkei. | |
Sie haben trotz dieser Erfahrungen Ihre Ausbildung erfolgreich beendet und | |
wirken so zuversichtlich. Wie schaffen Sie das? | |
Na ja, man muss irgendwie weitermachen, ob man müde oder depressiv ist oder | |
was auch immer: Man muss nach vorne gucken. Unabhängig von den eigenen | |
Emotionen muss man auch logisch denken. Wenn man nichts tut, passiert eben | |
nichts. Es bringt nichts, in der Vergangenheit zu hängen – und man lernt, | |
mit vielen Dingen umzugehen. Auch, wenn man natürlich nicht vergisst, was | |
hinter einem liegt. | |
19 Sep 2020 | |
## AUTOREN | |
Anna Kühne | |
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