# taz.de -- Die Wahrheit: Sechs Jahre in Annies Fass | |
> Es gibt 56 Akzente im Vereinigten Königreich. Zu den erotischsten zählt | |
> angeblich der Dialekt aus Glasgow. Und da fängt das Problem auch schon | |
> an. | |
Die Schotten haben es nicht leicht. Niemand versteht sie. Woher soll man | |
als Nichtschotte auch wissen, dass mit „Smirr“ ein Nieselregen gemeint ist? | |
„Dreich“ ist schon ein etwas stärkerer Regen, und wenn der Schotte von | |
„Drookit“ spricht, gießt es in Strömen. Diese drei Wörter reichen, um das | |
schottische Wetter zu beschreiben. | |
Im britischen Parlament in London dürfen die schottischen Abgeordneten zwar | |
Fragen stellen, aber sie erhalten selten eine Antwort. Das liegt nicht an | |
Ungezogenheit, denn englische Parlamentarier sind höflich, aber sie haben | |
keine Ahnung, was die Schotten eigentlich von ihnen wollen. So vertrösten | |
sie die Kollegen aus dem Norden stets auf eine schriftliche Antwort. Die | |
Protokollführer schicken unterdessen dringende Bitten an die schottischen | |
Abgeordneten, damit sie aufschreiben, was sie gesagt haben. | |
Es gibt 56 Akzente im Vereinigten Königreich. Zu den erotischsten, so hat | |
eine Umfrage unter 1,5 Millionen Menschen ergeben, zählt der Dialekt aus | |
Glasgow. Den kann man nicht nachahmen, wie der irische Schauspieler Brian | |
Gleeson feststellen musste. Für seine Rolle als Jimmy McCavern, den Chef | |
der Billiy Boys in der großartigen Serie „Peaky Blinders“, kam er auf die | |
Liste der peinlichsten Akzentversager, auf der Mel Gibson als „Braveheart“ | |
ganz oben steht. | |
Die Justiz hat ebenfalls Schwierigkeiten mit dem Dialekt – sogar die | |
schottischen Gerichte. Die haben nämlich die Niederschrift der | |
Gerichtsprotokolle extern in Auftrag gegeben, und zwar an eine Firma in | |
Devon. Weiter weg von Schottland wäre nur Cornwall, aber das gehört wie | |
Schottland zu den keltischen Ländern. Dort würde man den Dialekt bestimmt | |
gut verstehen. | |
In Devon versteht man ihn nicht. Aus „Barlinnie“ wurde deshalb „Barrel | |
Annie“. Barlinnie ist das größte Gefängnis in Schottland, es liegt in einem | |
Vorort von Glasgow. Laut offiziellem Gerichtsprotokoll muss der Angeklagte | |
nun sechs Jahre in „Annies Fass“ verbringen. Merkwürdig, dass das dem | |
Transkriptor nicht aufgefallen ist. Vermutlich hält er die Menschen | |
nördlich der Grenze für Barbaren. | |
Die Supermarktkette Aldi ist mal wegen Rassismus angezeigt worden, weil sie | |
im australischen Radio in einer Werbung für Whisky den schottischen Brenner | |
von einer Engländerin dolmetschen ließ. Die Beschwerdestelle wies die Klage | |
zurück: Die Werbung sei lustig, hieß es in der Begründung. Das ist | |
australischer Humor. | |
Ein Sketch der BBC-Serie „Burnistoun“ veranschaulichte das | |
Verständigungsproblem für Schotten mit englischem Humor: Zwei schottische | |
Büro-Angestellte wollen dem durch Spracherkennung gesteuerten Fahrstuhl | |
erklären, dass sie bitte in den elften Stock möchten, was der von | |
Engländern programmierte Fahrstuhl aber einfach nicht versteht. Am Ende | |
rasten die beiden aus und brüllen: „Schottland! Freiheit!“ Spätestens beim | |
nächsten Unabhängigkeitsreferendum sollte es klappen. | |
7 Sep 2020 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
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