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# taz.de -- Ideologien und kognitive Fähigkeiten: Den Tunnel überwinden
> Je überzeugter wir sind, dass unsere Haltung die einzig richtige ist,
> umso schlechter steht es wohl um unsere kognitiven Fähigkeiten, sagt eine
> Studie.
Bild: Je mehr wir von der eigenen Meinung überzeugt sind, umso leichter gerate…
Vor ein paar Wochen beendete ich eine meiner engsten Freundschaften via
WhatsApp. Thema war das [1][Berliner Antidiskriminierungsgesetz]. Meine
Freundin war dagegen, ich dafür. Es ging hin und her, bis sie schrieb, das
Gesetz diskriminiere die Polizei – und das sei genauso schlimm wie die
Diskriminierung von Minderheiten wie [2][BPoCs]. Ich erstarrte. Sie
verglich die Staatsgewalt mit rassistisch diskriminierten Minderheiten?
Sie, die sich leidenschaftlich gegen Rassismus einsetzt? Ich sah nur noch
diesen einen Satz.
Meine Freundin sah ich nicht mehr. Ich schrieb, dass ich ihr nichts mehr zu
sagen hätte. Später fragte ich mich: So falsch ich ihre Aussage fand, warum
hörte ich meiner Freundin nicht mehr zu? Warum verneinte ich, dass sie,
genau wie ich, aus mehr besteht als nur aus einer einzigen Haltung, einem
einzigen Satz?
Du siehst es wie ich oder du stehst auf der falschen Seite – so führen wir
viele Diskussionen. Etwas ist richtig oder falsch. Ist kapitalistisch oder
eben, was sonst, kommunistisch. [3][Man nimmt die Polizei in Schutz oder
man ist, logisch, gleich ganz gegen Polizei und Staat]. Du bist entweder
gegen Abtreibung oder, klar, du unterstützt Mord. Israelis oder
Palästinenser. Gesundheit oder Wirtschaft. Freund oder Feind. Rechts oder
links. Es gibt nichts dazwischen. Unsere Oder-Reihe ist endlos.
Zu diesem Tunnelblick gibt es psychologische Korrelate. In einer [4][Studie
der Universität Cambridge] wurde die kognitive Flexibilität
US-amerikanischer Studienteilnehmender untersucht. Ergebnis: Wer sich
stärker an eine Ideologie, an eine Idee band, hatte auch tendenziell
schlechtere kognitive Fähigkeiten bei der allgemeinen Verarbeitung von
Informationen. Frei interpretiert könnte man sagen: Je mehr wir überzeugt
sind, dass unsere Haltung die einzig richtige ist, umso stärker unser
Tunnelblick, umso erstarrter unser Geist.
## Nicht im Tunnel verschwinden
Heißt das, dass wir nicht für unsere Überzeugungen einstehen sollen? Dass
wir akzeptieren sollen, dass sich Dinge nicht zum Besseren verändern? Nein.
Im Gegenteil. Wenn wir uns einfangen können in dem Moment, in dem wir
drohen im Tunnel zu verschwinden, weitet sich unsere Wahrnehmung. Wir haben
mehr Möglichkeiten zu reagieren, zu überzeugen, nicht weniger. Wir haben
Zugang zu all unseren intellektuellen Ressourcen. Unser Geist bleibt wach,
anstatt im Oder-Land zu verschwinden.
Nichts davon gilt für [5][menschenverachtende, rechtsextreme Ideologien];
bei Menschen, die diesen anhängen, ist die Identifizierung mit der Idee so
vollkommen, dass sich die kognitiven Fähigkeiten verabschiedet zu haben
scheinen. Überhaupt behaupte ich, dass die kognitive Einengung rechts
stärker ist als links. Oder ist das meine eigene kognitive Einengung?
Meine Freundin und ich haben uns vor Kurzem, nach langer Funkstille, wieder
getroffen. Wir haben auch über das Antidiskriminierungsgesetz gesprochen.
Ohne im Tunnel zu verschwinden. Es war gut.
8 Sep 2020
## LINKS
[1] /Berliner-Antidiskriminierungsgesetz/!5689671
[2] /Antirassistische-Sprache/!5702930
[3] /Schwerpunkt-Polizeigewalt-und-Rassismus/!t5008089/
[4] https://www.researchgate.net/publication/334984865_The_partisan_mind_Is_ext…
[5] /Schwerpunkt-Wie-umgehen-mit-Rechten/!t5567883/
## AUTOREN
Gilda Sahebi
## TAGS
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