# taz.de -- Frauenhaus-Mitarbeiterin über Femizid: „Das ist ein Schock“ | |
> In Hameln kam es vorvergangene Woche zu einem Femizid. Zuvor schaffte es | |
> die Frau, vor ihrem Ex-Partner in ein Frauenhaus zu flüchten. | |
Bild: Protest in Hameln 2016, nachdem ein Mann eine Frau am Auto durch die Stad… | |
taz: Frau Eichler, vorvergangene Woche tötete ein Mann in Hameln seine | |
ehemalige Lebensgefährtin. Die Frau war kurz zuvor in das Frauenhaus | |
gezogen, in dem Sie arbeiten. Wie geht es Ihnen und ihren Kolleginnen nach | |
der Tat? | |
Anke Eichler: Wir waren sehr betroffen. Ich arbeite hier seit 30 Jahren und | |
wir haben hier auch schon Morde erlebt, aber nicht an Frauen, die zu diesem | |
Zeitpunkt im Frauenhaus wohnten. Man denkt: Die Frau ist hier sicher, wir | |
geben ihr den Schutz, den sie braucht. Und dann passiert diese Tat. Das ist | |
ein Schock. | |
Und wie geht es den anderen Frauen, die bei Ihnen unterkommen? | |
Die waren auch sehr erschrocken und auch sehr ängstlich. Wir haben dann | |
Gesprächsangebote zur Aufarbeitung organisiert. Grundsätzlich hilfreich ist | |
immer, dass sich die Frauen untereinander austauschen. Wenn sie gegenseitig | |
von ihren Gewalterfahrungen berichten, merken sie, dass sie damit nicht | |
alleine sind. Es hilft, über die Erfahrungen zu sprechen. | |
Man könnte annehmen, dass Frauen ab dem Moment sicher sind, in dem sie in | |
einem Frauenhaus Schutz gesucht haben. Warum hat das nicht ausgereicht? | |
Ihr wurde auf dem Weg zur Arbeit aufgelauert und dann wurde sie ermordet. | |
Sie hatte sich dafür entschieden, weiter zur Arbeit zu gehen – und das ist | |
auch ihr gutes Recht gewesen. Sie wollte sich in ihrer Freiheit nicht | |
einschränken lassen. Aber ja, eigentlich ist berechtigterweise anzunehmen, | |
dass Frauen ab diesem Moment sicher sind. Und das ist in der Regel auch der | |
Fall. Wobei immer zu bedenken ist: Die ersten Wochen nach einer Trennung | |
oder nach einem Auszug sind die gefährlichsten. | |
Wie können solche Morde verhindert werden? | |
Es gibt ja seit Langem viele Forderungen von Frauenverbänden und | |
-institutionen. Grundsätzlich müssen Anzeigen von Frauen ernst genommen | |
werden. Gefährliche Täter müssen schneller verfolgt werden. Das dauert | |
meist einfach zu lange und es werden viele Verfahren zu schnell eingestellt | |
… | |
... aus Mangel an Beweisen. | |
Da müssten Staatsanwält*innen und Richter*innen vielleicht mehr | |
sensibilisiert werden. Das ist ein wichtiger Punkt. | |
Aber ist denn der Schutz, also das Frauenhaus, ausreichend ausgestattet? | |
Das Budget für unser Frauenhaus wurde in den vergangenen Jahren erhöht, | |
aber wir sind immer noch auf Spenden angewiesen. [1][Es könnte höher sein.] | |
Zu Beginn der Coronapandemie stand die Befürchtung im Raum, dass es einen | |
massiven Anstieg an häuslicher Gewalt geben würde. Hat sich das bestätigt? | |
Es gibt andere Häuser, die einen deutlicheren Anstieg verzeichnet haben. | |
Bei uns war es die ambulante Beratung, die angestiegen ist. Allerdings: Wir | |
hatten im Frauenhaus deutlich mehr Anfragen, konnten diese aber nicht | |
annehmen, weil wir voll waren. | |
Jeden dritten Tag gibt es in Deutschland einen Femizid – prägt diese | |
Tatsache ihre tägliche Arbeit? | |
Eigentlich nicht, ich habe nicht die Angst, dass das nächste Woche wieder | |
passiert. Aber die Zahlen sind erschreckend und es ist schwer zu | |
realisieren, wie häufig das passiert. Aber wenn ich nicht eine ordentliche | |
Portion Optimismus und Engagement mitbringe, könnte ich diese Arbeit nicht | |
machen. | |
Sie hatten nun eine öffentliche Gedenkkundgebung in Hameln organisiert. Wie | |
waren die Reaktionen? | |
Unterschiedlich. Viele sind stehen geblieben und haben sich das mal | |
angeschaut. Aber weitgehend, würde ich sagen, waren die Reaktionen | |
aufgeschlossen, interessiert und positiv. | |
Ich frage, weil [2][vor drei Jahren in Hameln ein Mann seine Frau am Auto | |
durch die Stadt geschleift hat.] | |
Dieser Fall hatte eine große Öffentlichkeit geschaffen. Und sie hat auch | |
die Bedeutung unserer Arbeit sichtbar gemacht. Wir bekamen plötzlich mehr | |
Aufmerksamkeit und viele Spenden. Die öffentliche Empörung war | |
interessanterweise damals deutlich größer als beim jetzigen Mord. | |
Vielleicht weil anfänglich in der lokalen Berichterstattung von „Drama“ und | |
„Tragödie“ die Rede war und nicht direkt von einem Mord, einem Femizid | |
gesprochen wurde? | |
Das ist ein Fehler. Das ist der Mord an einer Frau gewesen, weil sie eine | |
Frau ist – ein Femizid. Wir wundern uns, dass der Täter bislang nicht als | |
Mörder bezeichnet wurde. | |
Haben es [3][Frauen in kleinen Städten und ländlichen Regionen] besonders | |
schwer, vor gewalttätigen Männern zu flüchten? | |
Vielleicht, ja. Deshalb verweisen wir Frauen, die aus der Umgebung kommen | |
und massiv bedroht sind, auch meist an Frauenhäuser in anderen Städten – | |
sofern das angesichts der Kapazitäten möglich ist. | |
8 Sep 2020 | |
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## AUTOREN | |
André Zuschlag | |
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