# taz.de -- Julia Reda über EU-Urheberrecht: „Die Nutzer:innen bekommen nich… | |
> Wie soll die neue EU-Urheberrechts-Richtlinie umgesetzt werden? | |
> Netzexpertin Julia Reda vermisst grundsätzliche Regelungen. | |
Bild: „Save the internet“: Demonstration gegen die EU-Urheberrechtsreform i… | |
taz: Frau Reda, als Europaparlamentarierin haben Sie gegen Uploadfilter im | |
Internet gekämpft, sich sagen lassen müssen, die werde es nicht geben, und | |
nun ist klar: Sie kommen doch. Was denkt man in so einem Moment? | |
Julia Reda: Besonders überraschend kam es leider nicht, schließlich hatten | |
alle Experten genau davor gewarnt. Gleichzeitig zeigt der Entwurf für die | |
Umsetzung der [1][EU-Urheberrechtsreform], den die Bundesregierung jetzt | |
vorgelegt hat: Die großen Proteste, die es damals gab, als die EU die | |
Reform beschlossen hat, die haben schon etwas gebracht. | |
An welchen Stellen? | |
Zum einen wird endlich die Alltagskultur im Netz ernst genommen. So soll es | |
erlaubt sein, fremde Videoausschnitte, die kürzer als 20 Sekunden sind, für | |
nichtkommerzielle Zwecke zu verwenden. Die ursprünglichen Urheberinnen und | |
Urheber sollen dafür eine pauschale Vergütung bekommen, wie man das | |
beispielsweise kennt vom Recht auf Privatkopie. Der zweite Punkt ist, dass | |
zum ersten Mal anerkannt wird, dass Systeme wie Content ID systematisch | |
missbraucht werden. | |
Content ID, das System, mit dem Youtube hochgeladene Inhalte automatisiert | |
auf mögliche Urheberrechtsverletzungen untersucht. | |
Genau. Da passiert es immer wieder, dass Inhalte, die berechtigterweise | |
genutzt wurden, gesperrt werden, zum Beispiel wenn angebliche | |
Rechteinhaber:innen falsche Angaben machen. Hier sieht der deutsche | |
Gesetzentwurf Maßnahmen vor gegen Missbrauch. | |
Die 20 freien Sekunden – ist das jetzt schon [2][das lange geforderte Recht | |
auf Remix?] | |
Einerseits ist es weniger, andererseits ist es mehr. Weniger, weil die 20 | |
Sekunden nur für nichtkommerzielle Nutzung gelten. Es besteht also die | |
Gefahr, dass, wer auf Youtube Werbung vor seinem Video erlaubt, nicht mehr | |
darunterfällt. Gleichzeitig ist es mehr, weil die 20 Sekunden keine | |
Veränderung des Materials voraussetzen, was ja bei einem Remix eigentlich | |
der Fall ist. Zum Beispiel das Reaction-GIF, ein alltägliches | |
Internetphänomen. Bei dem wird eine ganz kurze Sequenz aus einem Film | |
genommen, nur mit Untertiteln, um etwas zu kommentieren. Und so etwas wie | |
diese kurzen Sequenzen, aber auch die Nutzung von Inhalten in Parodien, das | |
waren ja auch Punkte, für die die Menschen damals auf die Straße gegangen | |
sind. | |
Und wo ist der Haken? | |
Das größte Problem ist, dass es trotz allem immer noch zur automatischen | |
Sperrung legaler Inhalte kommen wird. Zum Beispiel: Ich habe etwas | |
hochgeladen, aber jemand anders behauptet, das sei sein Inhalt. Das | |
passiert häufig, wenn zum Beispiel Fernsehsender alle ihre Inhalte in einen | |
Filter wie Content ID einspeisen, ohne zu prüfen, ob sie auch an allem die | |
Rechte haben. In solchen Fällen können Nutzerinnen und Nutzer dann nur im | |
Nachhinein gegen eine Sperrung vorgehen und das bedeutet: Einen langen | |
Prozess – und das Video ist erst mal weg. | |
Wie ginge es besser? | |
Das Problem ist, dass der umstrittene Artikel 17 widersprüchlich ist: | |
Einerseits verlangt er von den Plattformen, alles zu unternehmen, um | |
Urheberrechtsverletzungen zu verhindern. Andererseits sieht er vor, dass | |
legale Inhalte nicht gesperrt werden dürfen. Daher finde ich, es muss immer | |
noch eine händische Prüfung geben durch einen hinreichend qualifizierten | |
Menschen. | |
Die EU-Kommission entwickelt gerade Handreichungen für die Umsetzung der | |
Urheberrechtsreform, auch in Deutschland wird es noch dauern, bis das | |
Gesetz fertig ist. Welche Spielräume sehen Sie? | |
Einige. Deutschland könnte zum Beispiel sagen: Wir halten Uploadfilter für | |
grundrechtswidrig. Am vielversprechendsten wäre es, wenn Deutschland seinen | |
Einfluss nutzt, um die Diskussion auf EU-Ebene dahingehend zu beeinflussen. | |
Ein kleines bisschen passiert das schon. Zum Beispiel hat Frankreich in | |
seinem ersten Entwurf für die Umsetzung der Richtlinie den Punkt, dass | |
legale Inhalte nicht gesperrt werden dürfen, gar nicht berücksichtigt. Dann | |
hat Deutschland seinen Entwurf veröffentlicht, auch auf Englisch, und damit | |
die Position der EU-Kommission unterstützt, die in Richtung Frankreich | |
gesagt hat: Das geht so nicht. Kleine Mitgliedstaaten orientieren sich oft | |
daran, wie die Großen EU-Richtlinien umsetzen. Deshalb war es wichtig, dem | |
französischen Vorschlag etwas entgegenzusetzen. | |
Das alte Urheberrecht war reformbedürftig, weil es nicht für das digitale | |
Zeitalter taugte. Wie zukunftsfest ist das neue? | |
Die grundsätzlichen Fragen, die das digitale Zeitalter für das Urheberrecht | |
aufgeworfen hat, werden überhaupt nicht angegangen. | |
Zum Beispiel? | |
Urheberrecht war ja immer ein Ding für spezielle Branchen, wie die Musik- | |
oder Filmindustrie. Jetzt haben auf einmal alle damit zu tun, jeder nutzt | |
das Internet. Und dafür ist auch das neue Urheberrecht überhaupt nicht | |
gemacht. Genauso wenig dafür, dass es mittlerweile Geschäftsmodelle wie | |
Plattformen gibt, die so verschränkend arbeiten, dass sie sich an teilweise | |
widersprüchliche nationale Gesetze halten müssen. | |
Wie ließe sich das lösen? | |
Das hätte sich durch ein einheitliches europäisches Urheberrecht lösen | |
lassen, also durch eine Verordnung. Das war damals in der Diskussion, aber | |
die EU-Kommission hat sich dagegen entschieden und nur eine Richtlinie | |
vorgeschlagen, deren Details jedes EU-Land anders umsetzen kann. Und wir | |
haben weiter lauter kleine Spezialregeln: Die Musikindustrie bekommt | |
Artikel 17, der die Uploadfilter ermöglicht. Die Presseverlage bekommen das | |
Leistungsschutzrecht und die Bibliotheken das Recht, Kopien von Werken in | |
ihren Beständen anzulegen. Nur die Nutzerinnen und Nutzer bekommen nichts. | |
Und die 20-Sekunden-Regelung wird die dann nur in Deutschland gelten? | |
Eine schwierige Frage. Es könnte darauf hinauslaufen, dass sie tatsächlich | |
nur in Deutschland gilt – in anderen Ländern müssten Plattformen diese | |
Nutzungen dann womöglich geoblocken. Aber ob das tatsächlich so kommt, das | |
werden wohl Gerichte klären müssen. Am besten wäre es, wenn andere | |
EU-Länder sich an dem Vorschlag ein Beispiel nehmen und vergleichbare | |
Regelungen einführen. | |
10 Sep 2020 | |
## LINKS | |
[1] /EU-Urheberrechtsreform/!t5582466/ | |
[2] https://rechtaufremix.org/ | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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